Gefährdet KI die Demokratie? - Interview mit Yvonne Hofstetter

"Wollt Ihr die totale Überwachung?"

28.11.2016
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

Die Politik knickt vor der Wirtschaft ein

CW: Sie reden auch mit Politikern. Wenn Sie diese Themen anbringen, wimmeln die dann ab?

Hofstetter: Nicht auf EU-Ebene. Aber in Berlin sehe ich, dass sich eigentlich nur Bündnis90/die Grünen intensiv mit diesen Themen beschäftigen. Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland nicht unbedingt der politische Wille vorhanden ist, in diesen Fragen etwas zu tun. Die Politik knickt vor der Wirtschaft ein.

CW: Warum ist das so?

Hofstetter: Weil hier das Credo des Wirtschaftswachstums herrscht. Hier gilt das Prinzip der marktkonformen Demokratie. Ein Begriff, der Angela Merkel in den Mund gelegt wurde, obwohl sie es nie so gesagt hat. Schauen Sie sich Bayern an: Beim letzten CSU-Parteitag war von Digitalisierung praktisch nicht die Rede. Da heißt es: Lass das doch die Konzerne machen, also etwa Siemens, BMW, Audi. Jetzt hat man auch IBM nach München geholt (IBM hat seine weltweiten Watson-Entwicklungsaktivitäten konzentriert in den Münchner Norden, Anm.d.Red.). Da werden doch Arbeitsplätze geschaffen, heißt es dann. Die Themen gesellschaftlicher Gestaltung, über die wir hier diskutieren, überlässt man so völlig den Konzernen.

Nehmen Sie das Thema Standardisierung bei der Kommunikation, der Übertragung der Daten im Internet of Things. Solche Kommunikationsstandards müssten doch vergesellschaftet werden. Die nötigen Standards müssten gesellschaftlich vereinbart und verabschiedet werden. Diese Standards müssen der Gesellschaft gehören, denn es geht hier ja um unsere Daten. Und was macht die Politik? Sie sagt: "Lasst das doch mal die Konzerne machen. Die können das besser." Oder was immer die Begründung ist. Das halte ich für grundsätzlich falsch. Dann ist doch klar, wo die Sache hinläuft.

Ich bin jetzt seit 19 Jahren in der IT-Branche und mir macht das total Spaß, insbesondere die KI-Aspekte. Aber ich kann eben die juristischen Implikationen nicht hintanstellen. Ich würde mir wünschen, dass auch die Techniker ihre gesellschaftliche Verantwortung mehr auf dem Schirm haben. Sie lehnen sich zu oft zurück und verweisen auf die Freiheit der Forschung. Sie wollen immer bessere Fachexperten werden, dabei müssten sie auch verstehen, dass sie eine juristische, eine gesellschaftliche Verantwortung haben mit dem, was sie da entwickeln. Techniker sind doch auch Teil der Gesellschaft. Da sollten sie sich schon bewusst machen, was sie entwickeln.

"Wir brauchen kein Moratorium"

CW: Es gibt eine ganze Menge intelligenter Menschen mit Fachwissen auf dem Gebiet der IT und insbesondere der KI, die die momentane Entwicklung kritisch sehen und die deshalb ein Moratorium für die KI-Forschung in die Diskussion bringen. Was halten Sie davon?

Hofstetter: Ich schreibe in meinem Buch, dass wir uns immer mehr von der Natur entfernen, indem wir uns technisch immer weiterentwickeln. Das gehört zum Menschensein dazu. Technologieentwicklung ist eine menschliche Kulturleistung, die man nicht einfach stoppen kann. Wir brauchen kein Moratorium. Aber wir sollten gestaltend eingreifen als Gesellschaft. Und das eben auf den zwei angesprochenen Wegen: Stärkung des Rechts und Berücksichtigung unserer unveräußerlichen Werte.

CW: Man kann zudem ja auch ins Feld führen, dass es eine Menge Beispiele gibt, die zeigen, dass heute schon KI-Systeme sehr gute Arbeit leisten. Sei es in der Onkologie-Forschung, sei es in der Paartherapie, sei es bei der Beantwortung von Routine-Mails in Versicherungen etc. etc.

Hofstetter: Ja klar, all diese Beispiele gibt es. Und das ist auch gut. Und ja, solche Systeme können besser als ein Arzt gewisse Symptome erkennen und einordnen. Schon richtig. Das hat Vorteile. Und wir halten mit den neuen Technologien auch unsere Wirtschaft am Laufen. Wenn wir schon diesem Paradigma des Wirtschaftswachstums anhängen - womit ich übrigens meine Probleme habe -, dann kann man für die nächste Zeit schon Wirtschaftswachstum in diesem neuen Markt generieren. Da gibt es durchaus Vorteile für eine Gesellschaft. Das sollte man auch nicht stoppen.

Lasst ruhig Drohnen fliegen. Trifft schon immer einen Richtigen.

Aber man kann ja für andere Dinge sehr wohl einen Bann aussprechen: Denken Sie an autonom agierende Digitalwaffensysteme. Das sollte international verhandelt werden. Chemiewaffen- oder Atomwaffenabkommen zeigen ja, dass man derlei international gültige Abkommen schließen kann. Aber dazu braucht es auch ein entsprechendes Bewusstsein in der Bevölkerung. Solange man hier denkt, sollen doch die Amerikaner ihre Drohnen ruhig nach Afghanistan fliegen, da wird es schon immer einen Richtigen treffen, so lange ändert sich nichts. Das ist natürlich eine völlig falsche Haltung.

CW: Ein anderes großes Thema im Zusammenhang mit der Entwicklung von KI- und Robotik-Systemen hat zu tun mit den Arbeitsplätzen, genauer den massiven Arbeitsplatzverlusten. Die Oxford-Wissenschaftler Osborne und Frey hatten die Diskussion 2013 bereits angezettelt. Sie prognostizieren massive Arbeitsplatzverluste nicht nur bei den Blue-Collar-Jobs, sondern auch bei den Weiße-Kragen-Professionen. Eine Studie des World Economic Forum (WEF) von Anfang 2016 äußert sich ähnlich. Die Bank of America Merrill Lynch sieht mit der Robotik-Revolution erhebliche Arbeitsplatzverluste heraufziehen. Das McKinsey Global Institute rechnete vor, dass durch den Einsatz disruptiver Techniken neun Billionen Dollar an Arbeitskosten eingespart werden können. Diese Reihe ließe sich fortsetzen.

Professor Neil Jacobstein, Professor für KI und Robotik an der US-Elite-Universität Stanford, fragt sich in punkto Arbeitsplatzverlusten beziehungsweise neu zu schaffender Jobs durch die digitale Entwicklung, "wie sich Zerstörung und Aufbau die Waage halten".
Professor Neil Jacobstein, Professor für KI und Robotik an der US-Elite-Universität Stanford, fragt sich in punkto Arbeitsplatzverlusten beziehungsweise neu zu schaffender Jobs durch die digitale Entwicklung, "wie sich Zerstörung und Aufbau die Waage halten".
Foto: ECO Media/ZDF.de

Hier aber argumentieren die Befürworter der Digitalisierung und der KI, dass es schon immer so war, das neue Techniken alte Jobs zerstört, dafür aber jede Menge neue Arten von Tätigkeiten geschaffen haben. Allerdings gibt es mittlerweile auch kritische Stimmen, die sagen, erstmals in der Geschichte könnte diese Rechnung nicht mehr aufgehen. Ebenfalls das WEF diskutierte deshalb das Thema bedingungsloses Grundeinkommen. Da sind wir wieder bei Ihrer Forderung, dass die Politik solche Probleme zu lösen hat.

Hofstetter: Ganz richtig. Ich halte das Problem der Arbeitsplätze und deren Verlust für ein großes. Deshalb wird das auch auf so hohem gesellschaftlichen Level diskutiert. Das wird übrigens auch im Silicon Valley thematisiert. Denn der Anteil des Kapitals an der Produktivität ist ja heute schon viel höher als der menschlicher Arbeit.