Wo Outsourcing-Projekte haken

05.04.2005
Das Geschäft mit der IT-Auslagerung blüht, doch die Berichte über kriselnde Beziehungen häufen sich. Outsourcing-Berater versuchen, die Interessen von Kunden und Dienstleistern in Einklang zu bringen.

Wer wissen will, wie viele Outsourcing-Projekte aus dem Ruder laufen, ist auf Schätzungen oder ältere Erhebungen angewiesen. Je nach Statistik bewegt sich die Flop-Rate zwischen 30 und 50 Prozent, für einzelne Servicesegmente wie Anwendungsentwicklung und -wartung werden auch schon mal 80 Prozent genannt. Nur ein Drittel der deutschen Outsourcing-Kunden ist wirklich zufrieden, schätzt Bernd Schäfer vom Beratungsunternehmen TPI Eurosourcing. Laut Peter Dück, Vice President Consulting bei Gartner, gelten europaweit 45 Prozent der Outsourcing-Deals als nicht erfolgreich.

Lerneffekte auf beiden Seiten

"Es kommt darauf an, wie man ein nicht erfolgreiches Projekt definiert", erläutert Frank Dzierzon, Deutschland-Geschäftsführer des Outsourcing-Beraters Clearview. In der Regel brächten die Dienstleister auch kriselnde Auslagerungsvorhaben über die Bühne, wenn auch manchmal zähneknirschend. Anders ausgedrückt: Die meisten Deals funktionieren irgendwie - allerdings, so Dzierzon, mit "erheblichen Lerneffekten" auf beiden Seiten.

Eindeutig äußern sich Outsourcing-Consultants, wenn es um die typischen Fehler in Auslagerungsprojekten geht. Am häufigsten nennen sie eine unzureichende Beschreibung der gewünschten Dienstleistungen (siehe Seite 40: "Wie sich IT-Services messen lassen"). So definierten die Kunden ihren Bedarf oft nicht präzise genug, berichtet Dzierzon. Formulierungen wie "Betrieb des SAP-Systems" reichten in der Praxis nicht aus.

Auch TPI-Berater Schäfer bemängelt unklare oder zu wenig detaillierte Leistungsbeschreibungen. Besonders bei der Definition von Service-Level-Agreements (SLAs), bei denen es zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlung keine gemessenen Ausgangswerte gibt, wirkten sich solche Versäumnisse negativ aus. Die Erwartungen der Fachabteilungen würden deshalb oft nicht getroffen, umgekehrt fehle dem Dienstleister die Basis, Verbesserungen der erbrachten IT-Dienste gegenüber dem Eigenbetrieb zu belegen. "Die Kunden sind von der Komplexität der Projekte meist völlig überfordert", beobachtet Torsten Gründer, Chef der auf Outsourcing-Beratung spezialisierten Firma Gründer Consulting. Ihnen fehle die Erfahrung und das Wissen, wie SLAs korrekt definiert und überwacht werden können.

Nach Schäfers Einschätzung verdient fast kein in Deutschland geschlossener Vertrag eine bessere Schulnote als Befriedigend - ganz im Gegensatz zu vergleichbaren Abkommen etwa im angelsächsischen Raum. Ein guter Kontrakt enthalte detaillierte Regeln, wie die Partner mit zukünftigen Veränderungen umgehen. Diese könnten sowohl das vom Provider eingesetzte Personal und die Governance-Struktur als auch technische Neuerungen oder die gewünschte Servicequalität betreffen. Wesentlich für die Kostenentwicklung beim Auftraggeber sei auch die Frage, wie der Dienstleister mit geringeren Volumina, sprich einem sinkenden Bedarf des Kunden, umgeht. Ohne eindeutige Regelungen sind Konflikte programmiert.

Manche Probleme treten erst nach einem Jahr zutage, so der Consultant, wenn auf beiden Seiten viele Ansprechpartner gewechselt haben. Die Nachfolger müssen sich dann auf das geschriebene Wort verlassen: "Und das ist in 90 Prozent der Fälle unzureichend."

"Die Fachabteilungen sind oft nicht willens oder in der Lage, klar zu definieren, was sie brauchen", kritisiert auch der Frankfurter Rechtsanwalt Joachim Schrey. Schwierig gestalteten sich eindeutige Beschreibungen unter anderem deshalb, weil die internen IT-Kosten nicht transparent sind. Projektverantwortlichen werde häufig nicht deutlich, was ein bestimmter Service-Level kosten darf. Probleme bereiteten zudem unflexible und intransparente Preismethoden der Anbieter, ergänzt Schäfer. Für Kunden erschienen sie oft als "Blackbox". Preise nach dem Motto: "Der SAP-Betrieb kostet eine Million Euro", ließen jedoch die Regeln für künftige Veränderungen außer Acht.

Nicht selten vergrößern harte Vorgaben des Managements die ohnehin vielfältigen Risiken, erläutert Schrey: "Der damit aufgebaute Zeitdruck wird der Tatsache, dass das Unternehmen auch weiterhin von IT leben muss, in keiner Weise gerecht." Auch Gartner-Experte Dück berichtet von Entscheidungen des Topmanagements, "die dann durchgeprügelt werden". Spezialisierte Outsourcing-Berater würden in der Regel zu spät eingeschaltet.

Abhängigkeit vom Dienstleister

Typischerweise kommen unabhängige Experten erst ins Spiel, wenn ein Projekt in der Sackgasse steckt, moniert Gründer, "oder wenn der Dienstleister den Kunden gnadenlos über den Tisch gezogen hat". Häufig sei die Abhängigkeit vom Serviceanbieter dann schon so groß, dass der Kunde kaum noch Einfluss nehmen könne.

Gerade deutsche Kunden versuchen meist, Outsourcing-Vorhaben aus eigener Kraft zu stemmen, klagen die Consultants nicht ohne Eigeninteresse. Dabei nimmt sich der Beratungsanteil gemessen an den Projektkosten bescheiden aus. Dück etwa hält ein Prozent des Vertragsvolumens für realistisch und sinnvoll: "Aber so viel geben Unternehmen in der Regel nicht aus."

An vielen Problemen sind die Serviceanbieter nicht unschuldig. Besonders Dienstleister aus der zweiten Reihe gingen oft skrupellos mit ihrer Klientel um, urteilt Gründer. Nicht selten verfügten sie über ebenso wenig Erfahrung wie ihre Auftraggeber. Immer wieder tauchten Vertriebsprofis beim Kunden auf, "die um jeden Preis den Deal haben wollen". Zwischen den Versprechen in der Anbahnungsphase und den tatsächlich erbrachten Leistungen klaffe oft eine große Lücke.

Meistens aber sitzen die Anbieter aufgrund ihrer Spezialisierung und des Wissensvorsprungs am längeren Hebel - und nutzen diesen Vorteil weidlich aus. Im Sinne einer langfristigen Partnerbeziehung sollte es zwar auch im Interesse des Dienstleisters liegen, solche Defizite auszugleichen, argumentiert Dück. Doch der dazu nötige "Erziehungsprozess" bleibe zumeist aus. In diese Lücke könnten Outsourcing-Berater stoßen.

Dennoch gehören zu einer funktionierenden Beziehung zwei. An diesem Punkt schieben die Consultants einmal mehr den Kunden den schwarzen Peter zu: Von einem professionellen Partner- oder Sourcing-Management sind die meisten Unternehmen noch immer weit entfernt, lautet der Vorwurf. Allzu oft gingen Auftraggeber von der falschen Erwartung aus, dass nach der Unterschrift die Hauptarbeit getan ist. Eine Fehleinschätzung, die die Kunden teuer zu stehen kommen kann, wie TPI-Manager Schäfer bestätigt: "Selbst in gut ausgehandelten Verträgen gibt es laufend Veränderungsbedarf." Aufträge über vermeintlich zuätzliche Leistungen, die nicht detailliert im Vertrag festgelegt sind, lassen sich die Dienstleister meist separat entlohnen.

Chief Sourcing Officers?

Ob die vielfach propagierte Position eines Chief Sourcing Officer (CSO) den Kunden weiterhilft, ist unter Servicexperten umstritten. Ein klares Berufsbild für diesen Manager-Typus fehlt bislang. Clearview-Chef Dzierzon empfiehlt denn auch, eine Stufe kleiner anzufangen und zunächst ein "Sourcing Office" unterhalb der CIO-Ebene einzurichten. Dieses sollte sich weniger um strategische Auslagerungsentscheidungen kümmern, sondern vielmehr die Steuerung und Kontrolle der Outsourcing-Partner übernehmen.

Trotz aller Hürden kommt es nur selten zum Worst Case, sprich zur Rückabwicklung noch laufender Verträge, so Dzierzon: "Man will die Kuh vom Eis kriegen." Ein Zurückholen der IT sei in der Regel mit einem kaum vertretbaren Aufwand verbunden. Sind Hardware- und Softwaresysteme erst einmal außer Haus, reduziert sich auch das interne IT-Personal auf ein Minimum. Dierzon: "Im Grunde muss der Kunde dann von vorne anfangen."