Nischenanbieter tun sich oft leichter als die Platzhirsche

Wo im E-Commerce wirklich Geld verdient wird

16.07.1999
MÜNCHEN (CW) - Leuchtende Vorbilder vor Augen, glauben viele Firmenbosse an die schnelle Mark im Online-Geschäft. Dabei profitieren bisher meist nur Nischenanbieter und Dienstleister vom digitalen Goldrausch. Das Marktforschungsunternehmen Activemedia stellt den meist blumigen E-Commerce-Prognosen reale Zahlen gegenüber.

Zunächst die gute Nachricht: In den meisten Fällen wird im Internet rasch Geld verdient. 45,6 Prozent aller Websites sind schon heute profitabel, ergab die großangelegte Activemedia-Untersuchung "Real Numbers behind Net Profits". Doch nun die Kehrseite: Ein Online-Angebot ist beileibe keine sprudelnde Geldquelle, bei der einfach nur der Hahn aufgedreht zu werden braucht. Erfolg im elektronischen Handel erfordert dauerhafte Investitionen und muß von einigen Marktteilnehmern wesentlich härter erkämpft werden als von anderen. Zwar wird der Umsatzkuchen insgesamt immer größer, je mehr kaufwillige Internet-Nutzer es gibt, dafür wollen aber auch immer mehr Wettbewerber ein Stück davon abbekommen.

In allen Bereichen beschleunigen sich derzeit die Wachstumsraten: Die Zahl der Menschen mit Anbindung an das World Wide Web (WWW) wächst rasanter denn je und mit ihr die Menge der Online-Käufer. Die kommerziellen Websites haben sich in den letzten zwei Jahren auf weit über eine halbe Million verdreifacht, und auch die weltweiten E-Commerce-Einahmen setzten zu einem gewaltigen Sprung an. Seit Einführung der wichtigsten kommerziellen Domain-Endung "com" im Jahr 1994 stiegen die Einkünfte kontinuierlich auf 38 Milliarden Dollar 1998. Dieses Jahr aber werden nach den Erwartungen der beinahe 900 von Activemedia befragten Unternehmen bereits 95 Milliarden Dollar im Web verdient - eine Steigerung um 150 Prozent. Im Jahr 2002 sieht Deloitte Consulting die Billionengrenze fallen, die Kollegen von der International Data Corp. (IDC) ein Jahr später. Activemedia selbst schätzt den gesamten E-Commerce-Markt im Jahr 2003 auf 1,3 Billionen Dollar.

Diese Zahlen wecken Begehrlichkeiten - und das längst nicht mehr nur unter findigen Startup-Firmen oder mutigen Garagentüftlern. E-Commerce dient heute dem Main- stream-Business als weiterer, nicht selten strategischer Vertriebskanal. Kein Wunder: Fast 30 Prozent aller Firmen freuen sich über Umsatzsteigerungen von zehn Prozent und mehr, seitdem sie ins Internet gegangen sind. Vier Fünftel aller Einzelhandels-Websites haben Gegenstücke aus Stein und Beton. Zwei Drittel aller Business-to-Consumer-Sites (B-to-C) verkaufen sowohl on- als auch offline - lediglich jede sechste B-to-C-Site ist eine reine Online-Veranstaltung. Amazon.com ist damit eine vielbeachtete Ausnahme von der Regel. Mit 78 Prozent ist das Gros aller Firmen im Internet-Geschäft noch immer in den USA beheimatet (siehe Grafik). Andere Regionen holen jedoch stark auf.

Die Activemedia-Befragung widerlegt die weitverbreitete Einschätzung, Business-to-Business- (B-to-B-)Geschäfte stellten das Gros des E-Commerce dar. Mit 25,9 Milliarden Dollar oder 68 Prozent konnten verbraucherorientierte Online-Angebote 1998 den Löwenanteil der Web-Umsätze für sich verbuchen - obwohl jede fünfte B-to-C-Site ein reines Informationsangebot zur Unterstützung anderer Vertriebskanäle ist. Ein Beispiel dafür ist das Online-Angebot des Gartengeräteherstellers Wolf-Garten. Händler erhalten von den Betzdorfern personalisierte Verkaufsunterstützung und Gartenfans Tips zu Anbau, Pflege und Klima. Endkundenorientierte E-Commerce-Angebote sind zudem profitabler als ihre Business-Gegenstücke. Zum Umfragezeitpunkt arbeiteten bereits 53,8 Prozent von ihnen gewinnbringend, während B-to-B-Sites zumeist unter dem allgemeinen Schnitt von 45,2 Prozent lagen (siehe Tabelle). Dabei ist es grundsätzlich problematisch, Business- und Consumer-Angebote direkt zu vergleichen.

B-to-B-Sites kämpfen mit der Integration von Geschäftsprozessen über Kunden- und Zulieferergrenzen hinweg. Die wertvollen Informationen über Transaktionen befinden sich in der Regel in Legacy-Systemen, deren Anbindung an Web-Technologie oft ein langsamer, arbeitsintensiver und damit teurer Prozeß ist. Meistens sind sogar maßgeschneiderte, auf die Firmenbedürfnisse abgestimmte Lösungen erforderlich. Viele IT-Manager setzen daher große Hoffnungen auf die Extensible Markup Language (XML), um eines Tages zumindest zu einem einheitlichen Format zum Austausch strukturierter Unternehmensdaten zu kommen. Ein Grund für den unerwartet hohen Marktanteil von Consumer-Sites könnte auch sein, daß sich B-to-B-Sites stärker auf Vertriebsförderung und Kundenpflege konzentrieren. Nicht einmal zwei Fünftel verkaufen laut Activemedia online. Der menschliche Kontakt - sei es über Call-Center oder angeschlossene Händler - bleibt allerdings für alle Web-Anbieter gleichermaßen bedeutend.

Das Leben an der Spitze des Internet-Business ist härter geworden, seitdem Online-Verkaufen für immer mehr traditionelle Unternehmen zur Selbstverständlichkeit wird. Scharfer Wettbewerb, dünne Margen und hohe Marketing-Kosten zermürben die Web-Pioniere. Die Platzhirsche bezahlen mit ihren aktuellen Gewinnen eine Option auf potentielle künftige Marktanteile. Um ihre Führungsposition in einem Markt abzusichern, investieren etablierte Hersteller in diesem Jahr laut Activemedia mit durchschnittlich 61000 Dollar beinahe dreimal soviel in ihre Website wie neuere Wettbewerber. Im Mittelfeld des E-Commerce läßt es sich dagegen meist ganz gut leben. Anbieter von Nischen-, Designer- oder (oft maßgefertigten) Spezialprodukten sowie Gourmet- und Spezialitätenwaren fahren überdurchschnittliche Gewinne ein. Demgegenüber liefern sich Online-Pioniere wie Amazon.com mit einem durchschnittlichen Warenkorb aus Büchern, CDs oder Videos ein kräftezehrendes Armdrücken mit der geballten Marketing-Macht etablierter Medienkonzerne.

Die steigende Zahl von Spezialanbietern im Web eröffnet auch den Servicebetrieben neue Chancen. Jenseits der Unterstützung von Kommunikation, Multimedia und Transaktionsabwicklung bieten spezialisierte Dienstleister inzwischen Call-Center, Lagerhaltung, Auftragsbearbeitung, Versand und Auslieferung sowie Kundendienst und andere Services an. Mit anderen Worten: Es entsteht eine Infrastruktur, um den elektronischen Handel so zu untermauern, daß auch Kleinanbieter ihre Waren und Dienstleistungen in jeden Winkel der Erde verschicken können. Für die klassischen Internet-Service-Provider (ISPs) wird es allerdings immer enger, je mehr sich der Web-Zugang zum meist kostenlosen Allgemeingut entwickelt. Sie müssen sich auf die Rundumbetreuung großer Unternehmen konzentrieren oder sich als Infrastruktur- und Hosting-Dienstleister neu positionieren. Denn nicht jeder kleine Anbieter kann seinen Web-Shop selbst auf die Beine stellen oder pflegen.

Der Internet-Goldrausch sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß bereits ein harter Verteilungswettkampf eingesetzt hat. Ein bemerkenswertes Ergebnis der Activemedia-Studie ist die Tatsache, daß offenbar auch im Internet die kleinen und mittleren Mitspieler das Fundament des Wirtschaftslebens bilden.

Sichere Online-Geschäfte

Betrug oder Sicherheitsprobleme behindern nach den Erhebungen von Activemedia das Geschäft im Web erstaunlicherweise kaum. Stornierungen von Kreditkartenzahlungen sind bei Online-Transaktionen seltener als im realen Leben. Bei der überwiegenden Mehrheit machen sie gerade einmal ein Prozent des Geschäftsvolumens aus. Insgesamt liegen die Betrugsraten zwischen 2,75 und 3,5 Prozent. Den meisten Website-Betreibern reicht eine Absicherung der Transaktionen mit Hilfe des Secure-Sockets-Layer-(SSL-)Protokolls aus. Immerhin ein Drittel arbeitet mit Paßwörtern, Registrierungen und/oder Cookies. Nicht einmal jede fünfte Website setzt ständige Überwachungs- oder Warnsysteme ein - und weniger als ein Zehntel wird mittels digitaler Zertifikate oder dem Standard Secure Electronic Transaction (SET) abgesichert.