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Brad Chase weiß keine Anwort

Wo gibt es Netscape bei AOL?

12.02.1999
Von Michael Hufelschulte
Brad Chase weiß keine Anwort

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Im Kartellverfahren gegen Microsoft stand gestern Microsofts Marketing-Chef Brad Chase als Zeuge der Verteidigung dem Chefankläger David Boies Rede und teilweise auch Antwort. Wie alle bisherigen Microsoft-Zeugen machte Chase keine sonderlich gute Figur.

Zunächst ging es um den Vertrag, den die Gates-Company mit America Online (AOL) bezüglich der Integration des Internet Explorer in den Online-Dienst abgeschlossen hat. Nach einem Meeting im Januar 1996 hatte ein AOL-Manager ein firmeninternes Memo verschickt, in dem Bill Gates mit den Worten zitiert wird: "Was müssen wir Euch zahlen, um Netscape loszuwerden?" Chase bestand darauf, daß Gates dies nie so gesagt habe. Er sei selbst bei dem Meeting anwesend gewesen und wisse das genau. Nicht so genau wußte der Marketing-Mann allerdings, was sein Boß denn nun wirklich gesagt hatte. "Wir waren schon aggressiv [bei der Vermarktung unserer Produkte]...", so Chase. "Es mag sein, daß AOL das falsch verstanden hat. Die Äußerung ist aber so nicht gefallen."

Chase räumte ein, daß Microsofts Vertrag mit AOL eine Klausel enthalte, die den Online-Dienst dazu verpflichtet, ausschließlich den Internet Explorer zu promoten, zu vermarkten und zu verteilen. Der konkurrierende Netscape-Browser dürfe weder auf dem Eingangsbildschirm noch bei den "Keywords", dem zentralen Element der AOL-Benutzerführung, beworben werden. "Das ist aber deshalb noch kein Exklusivvertrag", erklärte der Microsoft-Mann. Er hatte bereits schriftlich ausgesagt, es gebe Ausnahmen von dieser Regelung. Und zwar dürfe AOL den "Navigator" entweder auf ausdrücklichen Wunsch eines Kunden oder auf Nicht-Windows-Plattformen (unter anderem Macintosh) anbieten. Boies bezeichnete diese Einschränkungen als "ziemlich weit hergeholt". Dieser Ausdruck stellte sich dann als Chase eigene Worte heraus. Der Ankläger zog ein E-Mail vom 14. März 1996 aus der Tasche, in dem der Marketing-Chef die Vertragsausnahmen mit exakt den selben Worten bezeichnet

hatte.

Anschließend nahm Boies Chase zu dessen Aussage ins Kreuzverhör, Konsumenten könnten sich jederzeit einen anderen Browser als den "Internet Explorer" aus dem Web laden. Das dauere zwar ein bißchen, aber Millionen Leute täten es schließlich trotzdem. Damit erwachse Microsoft durchaus eine ernstzunehmende Konkurrenz. Boies verwies darauf, daß viele Downloads fehlschlügen (bei Dateigrößen im zweistelligen Megabyte-Bereich an der Tagesordnung) oder nur dem Update bereits installierter älterer Versionen dienten. Es sei deswegen zweifelhaft, daß Microsoft dadurch Konkurrenz erwachse.

Als Beweis zitierte der Bundesanwalt unter anderem die Aussage des Microsoft-Programmierers Joe Balfiore, der im vergangenen Jahr ausgesagt hatte, das Herunterladen des Internet Explorer "dauere zu lange und sei zu schwierig." Ein weiterer Microsoft-Mann, Kumar Mehta, hatte in einem Memo vom März 1997 festgestellt, daß "60 Prozent aller Surfer noch nie einen Browser downgeloadet haben." Chase vertrat dazu die Ansicht, Zeit spiele keine Rolle. Man könne ja schließlich ein "paar Innings eines Football-Spiels anschauen", während die Daten übertragen werden. Mehtas Zahlen seien längst überholt, 70 Prozent der Internet-Nutzer hätten sich inzwischen Browser-Software aus dem Netz besorgt.