Globale ERP-Projekte

Wo ERP-Hersteller bremsen

02.11.2009
Von Frank Naujoks und


Dr. Eric Scherer ist Geschäftfsührer der i2s consulting, Zürich und Waldshut-Tiengen (DE), und Lehrbeauftragter an der ETH Zürich. Er gilt als profunder Kenner des ERP-Marktes und unterstützt seit vielen Jahren Unternehmen in der Schweiz und im Ausland bei ERP-Strategien und –Investitionsentscheiden. Er ist Urheber und Initiator der „ERP-Zufriedenheitsstudie“ und berät mit seinem Beraterteam Unternehmen im gesamten deutschsprachigen Raum.

Ein heikles Thema: Die Anwenderkultur

5. Lokale Anforderungen beachten: Ein gefährlicher Fallstrick ist das Thema Lokalisierung. Damit beschreiben ERP-Anbieter die jeweils länderspezifischen Funktionen vor allem in den Bereichen Buchhaltung und gesetzliches Reporting. Hier ist grundsätzlich eine gewisse Vorsicht geboten: Viele Anbieter vermarkten halbfertige Einstellungen als Lokalisierung. Oft sind sie unvollständig, nicht mehr aktuell, oder es fehlen die notwendigen Zertifikate. Einige Softwareanbieter lassen ihre Lösungen von Drittpartnern anpassen, so dass die Qualität sehr unterschiedlich ist. Doch selbst bei Herstellern, die hier gewissenhaft arbeiten und ausgereifte Lokalisierungen anbieten, droht ein böses Erwachen. Immer wieder führt die Arbeit in Länder mit Gesetzen und Kontrollorganen, die einem ERP-Projektleiter das Leben erschweren. IT-Manager, die schon Erfahrungen mit Lokalisierungen in Ländern wie Brasilien, Ungarn oder Griechenland gesammelt haben, wissen ein Lied davon zu singen.

6. Abbildung echter Intercompany-Prozesse: Auch globale ERP-Projekte haben ihre eigenen Buzzwords. Sie lauten "Multisite" und "Intercompany" (siehe etwa ERP-Produktvergleich "SAP, IFS, Microsoft und Infor im Test oder Bilderstrecke unten"). Die Begriffe beschreiben die vereinfachte Abwicklung des Material- und Werteflusses zwischen den verschiedenen Gesellschaften einer Unternehmensgruppe. Ziel ist es, die gesamten Unternehmensprozesse über die einzelnen Gesellschaftsgrenzen hinweg durchgängig zu planen, abzuwickeln, zu steuern und zu kontrollieren. Hierzu gibt es so viele konzeptionelle Ansätze, wie es Systeme beziehungsweise Berater gibt. Bis auf wenige Ausnahmen haben ERP-Anbieter dieses Thema nur halbherzig gelöst. Es ist ein Feld für wilde Improvisation. Am Ende stehen dabei in der Regel "halbdurchgängige Systeme". Klare Kriterien für gut implementierte Prozesse gibt es letztlich nicht, und häufig wurde das Thema bislang vom Supply-Chain-Management an den Rand gedrängt. In einer Evaluation und einem Projekt müssen Intercompany-Prozesse im Zentrum stehen und nachhaltig verfolgt werden.

7. Lokale Anwenderkultur beachten: Zur echten Herausforderung werden die verschiedenen Anwenderkulturen und Arbeitsumgebungen. Eine Vier-Personen-Verkaufsabteilung in Singapur ist nun einmal anders organisiert als der Vierzig-Personen-Verkauf am Hauptsitz. Die Eigenheiten der Anwender hängen von der Kultur des Landes, dem Ausbildungssystem und der Führungspraxis ab. Die eher pedantische deutsche Anwenderkultur eignet sich dabei kaum als globale ERP-Blaupause. Ein Beispiel ist die chinesische ERP-Anwenderzentrale eines Schweizer Konzerns: An den gemäß Konzernstandard ausgerüsteten ERP-Arbeitsplätzen wurden Kleber angebracht: "Bitte nicht füttern!". Die einfachen chinesischen Mitarbeiter sollten bestimmte Arbeitsplätze nicht nutzen und diesen Job einigen Expatriates aus dem Management überlassen. Jeden Abend füttern sie in China das ERP-System so, dass die Schweizer Konzernzentrale die Daten gebrauchen kann. Das eigentliche Geschäft der 400-Personenfabrik steuern derweil eine chinesische Software und allerlei Excel-Sheets.

ERP-Systeme sammeln reicht nicht aus

Nun könnten Unternehmens- und IT-Verantwortliche angesichts der vielen Probleme und Fallstricke resignieren und von einem globalen ERP-Projekt die Finger lassen. Doch den Globalisierungsrisiken stehen die vielen Chancen gegenüber. Letztlich befindet sich das Thema ERP immer noch im Pionierzeitalter. Während es vor 20 Jahren darum ging, die Abteilungen im Unternehmen zu integrieren, besteht nun die Herausforderung darin, Länder und Kulturen zusammenzuführen. Unternehmen, die hier Lösungen finden, werden sich in Zukunft leichter tun, einem einfachen unternehmerischen Grundsatz zu folgen: "System follows Strategy". Als Sammler von verschiedenen ERP-Systemen für jedes Land sollte man sich nicht zufrieden geben. (jha)