Im Future Shop testet Metro unter anderem Radiofrequenz-Identifikation

Wo der Kunde nicht hinsieht ...

09.05.2003
RHEINBERG (qua) - Die Metro AG hat ihren "Extra"-Markt in Rheinberg zum "Future Store" umgebaut. Er fungiert nun als Testlabor für ein ganzes Bündel von technischen Neuerungen. Viele davon sind für die Kundschaft direkt erfahrbar. Doch die eigentliche Revolution findet im Hintergrund statt.

Der Medienauftrieb zur Eröffnung konnte sich sehen lassen: Zig Fotografen und Reporter wollten für die Nachwelt festhalten, wie Rheinbergs berühmteste Tochter, Ex-Supermodel Claudia Schiffer, mit ihren gepflegten Händen einen Einkaufswagen durch den komplett renovierten Supermarkt schob und all die technischen Gimmicks ausprobierte, die dort um die Akzeptanz der Kundschaft buhlen.

So gibt es im Supermarkt der Zukunft beispielsweise eine "intelligente" Waage, die mit Hilfe einer eingebauten Digitalkamera die jeweils abgewogene Obst- oder Gemüsesorte weitgehend selbständig identifiziert. Dazu vergleicht sie das aktuelle Kamerabild mit bis zu zehn fotografischen Aufnahmen von jedem angebotenen Produkt.

Elektronische Displays an den Regalen und über den Köpfen der Einkaufswagen-Schieber dienen als flexibel anpassbare Werbeplakate. 14 über den Markt verteilte Informationsterminals versorgen die Verbraucher mit Zusatzinformationen, beispielsweise Kochrezepten, die sie ausgedruckt mit nach Hause nehmen können. Die herkömmlichen Regaletiketten mussten mehr als 37 000 Mini-Displays weichen; sie werden über ein Funknetz zentral gesteuert und sind direkt mit den Kassensystemen verbunden, so dass jede Preisänderung automatisch bei der Bezahlung zum Tragen kommt.

Den gesamten Supermarkt drahtlos zu vernetzen, bezeichnet Projektleiter Gerd Wolfram als die größte Herausforderung des Vorhabens. Unterstützt wurde er dabei von Cisco Systems. Auch die Integration sturkturierter und unstrukturierter Daten dürfte dem IT-Experten einiges Kopfzerbrechen bereitet haben. Eine Lösung fand er in der Softwareplattform "Pirobase CB".

Experimentierfreudige Kunden des neuen Extra-Markts lassen sich am Eingang einen Personal Digital Assistant (PDAs), von Metro als "persönlicher Einkaufsberater" bezeichnet, an den Einkaufswagen klemmen. Sobald sie ihn mit ihrer Kundenkarte ("Extra Future Card") gefüttert haben, spuckt der Display des Minicomputers die Einkaufsliste vom vorangegangenen Future-Store-Besuch aus. Zudem weist er auf Sonderangebote hin und schleust den Kunden durch die Großmarktgänge zu jedem gewünschten Artikeln.

Ein in den PDA integrierter Barcode-Leser dient dazu, die aktuellen Einkäufe zu registrieren, bevor sie in den Korb wandern. Auf diese Weise soll sich der Kunde das lästige Ausladen beim Checkout sparen: Da der PDA den Gesamtpreis der Waren schon addiert hat und das Kassensystem diese Informationen ohne weiteres Zutun übernimmt, muss der Käufer nur noch einen "Okay"-Button drücken und den Endbetrag bei der Kassiererin begleichen.

Nach Angaben von Zygmunt Mierdorf, Vorstandsmitglied der Metro AG, Düsseldorf, hilft dieser teilautomatisierte Vorgang, die Wartezeiten beim Checkout zu verringern. Sollte der Kunde keinen PDA und keine Kundenkarte nutzen wollen, muss er sich trotzdem nicht in der Warteschlange anstellen. An einer "Selbstzahler-Kasse" kann er den Checkout-Vorgang vom Einlesen der Strichcodes bis zur Bezahlung mit oder ohne Bargeld in Eigenregie vollziehen. Weil Vertrauen gut, Kontrolle aber billiger ist, vergleicht eine in die Packstation integrierte Waage das errechnete Soll- mit dem Ist-Gewicht der vollen Tüten. Wie sich sich diese technische Neuerung auf die Personalplanung der Metro auswirken wird, wollte das Management noch nicht kommentieren.

Das Regal warnt vor Stockouts

Wirklich bequem und noch weniger zeitaufwändig ließe sich die Bezahlung ohnehin erst bewerkstelligen, wenn die revolutionärste Neuerung des Future Store bereits flächendeckend realisiert wäre: Die Radio Frequency Identification (RFID). Doch bislang sind nur vier Artikelgruppen ("Philadelphia"-Frischkäse von Kraft Foods, Gillette-Rasierklingen des Typs "Mach 3 Turbo", "Pantène"-Shampoo von Procter & Gamble sowie CDs und Video-DVDs des Großhändlers Alpha) mit Chips und Antennen für die berührungslose Identifizierung ausgestattet.

Der in eine biegsame Folie integrierte Chip sendet kontinuierlich Daten über Art, Zustand und Handhabung der Ware, die von einem in das Regal integrierten Lesegerät empfangen werden. Damit lässt sich in Echtzeit der dort vorhandene Bestand prüfen; beim Unterschreiten eines definierten Schwellenwertes erhält der PDA des zuständigen Mitarbeiters automatisch eine Nachricht.

Nicht nur die einzelnen Packungen, sondern schon die Lieferpaletten der ausgewählten Produkte sind mit einem RFID-Tag versehen. Er wird beim Wareneingang ausgelesen. So weiß das Warenflusssystem des Future Store jederzeit, wie viel Bestand sich im Vor-OrtLager befindet. Dieses System wurde in Zusammenarbeit mit der SAP AG, Walldorf, entwickelt, die es später in ihr Produkt "Mysap SCM" integrieren will. Derzeit arbeitet die Software parallel zur zentralen Warenwirtschafts-Applikation, einer Metro-eigenen Entwicklung auf der Basis von Oracle-Software, von der es die Bestandsdaten übernimmt, ohne jedoch die Bewegungsdaten zurückzuspielen.

Wären alle Produkte mit RFID-Tags versehen, so ließe sich der unangenehme Teil des Einkaufens erheblich beschleunigen: Der Kunde müsste seinen Einkaufswagen nur noch durch ein Portal mit eingebautem Radiowellen-Lesegerät schieben, woraufhin der Endbetrag automatisch vom Kundenkonto abgebucht würde.

Standard in 13 Variationen

Dieses Szenario ist auch im Future Store noch Zukunftsmusik - obschon der Rheinberger Extra-Markt derzeit wohl den technologisch am weitesten entwickelten Kaufladen dieses Planeten darstellt. Wie Hans-Joachim Körber, Vorstandsvorsitzender der Metro AG, betonte, wurden hier erstmals alle informationstechnischen Neuerungen, die der Handel zu bieten hat, auf engstem Raum verwirklicht - mit Unterstützung durch eine ganze Reihe von IT-Anbietern, allen voran SAP und der Chipgigant Intel.

Beide Unternehmen waren auch maßgeblich an der Gründung der "Metro Group Future Store Initiative" im vergangenen Jahr beteiligt. Deren erklärtes Ziel ist es, so Körber, "die Entwicklung weltweit anerkannter und praktisch anwendbarer technischer Standards im Bereich des Handels voranzutreiben". Wer sich verdeutlicht, dass weltweit allein 13 Versionen der European Article Number (EAN) existieren und dass für RFID-Nachrichten auf jedem Kontinent eine andere Wellenlänge genutzt wird, weiß, wie viel Arbeit hier noch zu tun bleibt.

Bei der Definition der im Werden begriffenen Normen für eine Supply-Chain-übergreifende Nutzung von Echtzeit-Informationen will die Metro Group ein gewichtiges Wort mitreden. Schließlich beschäftigt sie sich Wolfram zufolge schon seit zweieinhalb Jahren mit dem Thema RFID. Der Future Store diene somit auch der Erprobung und Weiterentwicklung von Spezifikationen, wie sie das am Massachusetts Institute of Technology (MIT) beheimatete "Auto-ID Center" erarbeitet hat.

Dieser Teil des Projekts fand naturgemäß weniger Medienbeachtung als "Shopping mit La Schiffer". Doch der Handelskonzern und seine Partner sehen hier mindestens genauso viel Rationalisierungspotenzial wie beim Do-it-yourself der Kundschaft. "Alles, was vorn in technische Neuerungen investiert wird, muss hinten über Einsparungen bei den Prozessen bezahlt werden", erläuterte Jürgen Zencke, Vorstandsmitglied der SAP AG.

Auch der Kaufhof testet RFID

Zum konkreten Ausmaß der möglichen Einsparungen wollte sich allerdings noch niemand äußern. "Wir haben hier eine Laborsituation", begründete Mierdorf das Schweigen. "Sie dient zunächst dazu, ein Gefühl für die Technik und die Kundenakzeptanz zu bekommen." Auch auf die Frage nach den Kosten des Projekts schwiegen sich die Metro-Vorständler aus. "Wir quälen unser IT-Department nicht mit einer Wirtschaftlichkeitsrechnung", warf sich Körber in die Brust. "Denn wir sind überzeugt, dass sich die Technik am Ende rechnen wird."

Immerhin ließ der Metro-Vorstand durchblicken, dass ein erheblicher Teil des jährlichen Entwicklungsbudgets von zwei Milliarden Euro für die Future-Store-Initiative aufgewendet wird. Neben dem Hightech-Supermarkt in Rheinberg gibt es innerhalb der Metro Group aber auch andere, weniger spektakuläre Pilotprojekte. So testet beispielsweise die Kaufhof-Kette den Austausch von RFID-Informationen mit dem Textilhersteller Gerry Weber. Dem Vernehmen nach ist die SAP auch in dieses Vorhaben involviert.

Die Walldorfer tanzen auf vielen RFID-Hochzeiten. So erproben sie die Technik in den USA mit dem Rasierklingen-Hersteller Gillette. "Dieses Projekt ergibt sogar in sich selbst einen Sinn, weil es darum geht, den Schwund zu verringern", erläuterte Zencke. Davon abgesehen spiele die Radiofrequenzidentifikation ihre Vorteile jedoch vor allem in der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Teilnehmern einer Supply Chain aus. Eine Hauptmotivation für das Engagement in der Future-Store-Initiative habe deshalb auch aus Sicht der SAP darin bestanden, die einer solchen Collaboration zugrunde liegenden Standards "mitdefinieren" zu können.

Ein halbes Jahr Praxistest

Sechs Monate lang darf sich der Rheinberger Future Store im Alltag bewähren, bevor die Metro und ihre Partner über die weitere Zukunft der dort erprobten Technik entscheiden. Selbst wenn die Kunden die technischen Neuerungen zunächst ablehnen sollten, werden die Prozessverbesserungen im Hintergrund nicht aufzuhalten sein - auch nicht durch eventuelle Proteste von Datenschützern. Um diese ein wenig zu beruhigen, beteuerte Projektleiter Wolfram, dass zumindest die auf den RFID-Chips gespeicherten Informationen beim Checkout gelöscht werden.