Extended-Reality-Pilotprojekte

Wo AR, VR & MR das Business umkrempeln

02.12.2020
Von 
Clint Boulton ist Senior Writer bei der US-Schwesterpublikation cio.com.
Extended-Reality-, beziehungsweise Augmented-, Virtual- und Mixed-Reality-Implementierungen schaffen in immer mehr Unternehmen Mehrwert, wie diese vier Beispiele zeigen.
Extended-Reality-Technologien schaffen Business-Mehrwert, wie diese Beispiele verdeutlichen.
Extended-Reality-Technologien schaffen Business-Mehrwert, wie diese Beispiele verdeutlichen.
Foto: Sergey Nivens - shutterstock.com

Extended-Reality-Technologien (XR) bereichern zunehmend alle Branchen und Wirtschaftszweige - vom Flugzeugbau über die industrielle Fertigung bis hin zum Außendienst. Dabei bildet XR den Dachbegriff, der Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Mixed Reality (MR) zusammenfasst.

Augmented Reality ermöglicht die Einbindung softwaregenerierter Informationen in die echte Welt - beispielsweise über Smartphones, Tablets und Head-up Displays. Virtual Reality versetzt die Benutzer in einen immersiven, vollständig digitalen Raum, was im Regelfall über VR-Headsets geschieht. Mixed Reality hingegen kombiniert Elemente von AR und VR.

Ursprünglich gingen die Marktforscher von IDC davon aus, dass der Einsatz von XR-Technologien im Unternehmensumfeld 2020 deutlich zunimmt. Im Zuge der Corona-Pandemie korrigierten die Analysten jedoch ihre Einschätzungen nach unten: Statt dem zuvor antizipierten weltweiten Marktvolumen von 18,8 Milliarden Dollar werden nun nur noch 10,7 Milliarden Dollar erwartet, da viele Unternehmen ihre Investments neu priorisieren mussten, um das Geschäft in der Krise am Laufen zu halten. Für AR, VR und MR im Business-Umfeld sieht es laut IDC dennoch rosig aus, schließlich seien Remote Work, kontaktlose Geschäftsprozesse oder virtuelle Meeting-Räume für die Zukunft gesetzt.

Diverse Pilotprojekte zeigen außerdem, dass XR-Technologien dem Experimentierstatus immer mehr entwachsen. Wir zeigen Ihnen anhand von vier Beispielen, wie AR, VR und MR das Business bereichern können.

Goodyear kreiert Reifen mit AR

Ende 2019 startete Goodyear ein Augmented-Reality-Pilotprojekt. AR-Headsets von RealWear sollten dabei helfen, weltweit spezifische Prozesse in den Reifenfabriken zu virtualisieren. Die RealWear-Displays passen unter die Schutzhelme der Arbeiter und können per Sprachbefehl bedient werden. Sie unterstützen die Mitarbeiter bei der Interaktion mit Partnern und Kunden - beispielsweise, wenn es um Design- und Testprozesse geht. Ein Mehrwert, der durch die Corona-bedingten Reisebeschränkungen Anfang 2020 noch verstärkt wurde.

Dank einer engen Integration der RealWear Hardware mit Microsoft Teams war es Goodyear-Ingenieuren in den USA so ohne Weiteres möglich, sich mit Konstrukteuren in Deutschland auszutauschen. In diesem konkreten Fall mussten gemeinsam Testläufe für riesige Reifen, die im Bergbau zum Einsatz kommen, gefahren werden, gibt John Wright, Senior Director of Global Technology IT bei Goodyear, preis. Auch Außendienstmitarbeiter könnten sich nun bei Notfällen und Problemen zeitraubende Reisen sparen - stattdessen leisten sie AR-gestützte Remote Assistance per Microsoft Teams.

Aufgrund der positiven Erfahrungen hat Goodyear sein AR-Pilotprojekt inzwischen deutlich erweitert: Anfangs lief das Projekt mit sechs RealWear-Headsets, inzwischen kommen mehr als 40 Exemplare der Hardware zum Einsatz.

GlobalFoundries legt den AR-Turbo ein

Der Halbleiterproduzent GlobalFoundries setzt ebenfalls auf Augmented Reality: Mit Hilfe der Technologie will das Unternehmen neue "Innovationshebel" identifizieren, wie DP Prakash, Global Head of Innovation, es formuliert. In erster Linie geht es dabei darum, den Fokus von immer kleineren Schaltkreisen auf neue Designs zu richten - ein Shift, der die gesamte Halbleiterindustrie beschäftigt, weil die bewährten Fertigungsmethoden (Stichwort Moorsches Gesetz) allmählich an ihre Grenzen stoßen.

Auch GlobalFoundries setzt in Sachen Hardware auf RealWear - kombiniert die AR-Headsets jedoch mit Software von PTC (Vuforia Expert Capture), um die Fertigungsprozesse in den Fabriken aufzuzeichnen und später zu Schulungszwecken in Form von kontextuellen Overlays wiederzuverwenden. Nach Aussage des Unternehmens ermöglicht das um den Faktor Zehn beschleunigte Prozesse (im Vergleich zur vorherigen Praxis, bei der ein Camcorder zum Einsatz kam). Die insgesamt für Mitarbeitertrainings aufgewendete Zeit konnte mit Hilfe von AR um ganze 50 Prozent reduziert werden: "Der Effizienzfaktor macht die Technologie zum Game Changer", ist Prakash überzeugt.

Darüber hinaus ermöglicht der AR-Einsatz auch Mitarbeitern von GlobalFoundries, Live Video Feeds ihrer Arbeit an einen Remote-Ingenieur zu übertragen, der sie dann bei Reparaturen und anderen Aufgaben unterstützen und anleiten kann. Auch diese Vorgänge werden aufgezeichnet, was dem Chiphersteller dabei hilft, institutionalisiertes Wissen zu konservieren.

Airbus wartet mit AR-Brillen

Der Flugzeugbauer Airbus testet im Rahmen eines Pilotprojekts mit ThinkReality-X6-Brillen von Lenovo die Möglichkeit, Reparatur- und Wartungszeiten zu reduzieren und Fehler zu vermeiden. In einem Szenario erhalten Airbus-Techniker dabei Anweisungen von einem remote zugeschalteten Experten per Smartglasses, berichtet Michael Leone - beim Flugzeugbauer verantwortlich für kommerzielle AR und VR-Initiativen.

Darüber hinaus könnten auch Piloten künftig mit Augmented-Reality-Brillen ausgestattet werden, beispielsweise, um Checklisten vor dem Flug abzuarbeiten oder bestimmte Dokumente auf Abruf zu haben. "Solche Remote-Assistance-Szenarien werden auch im Healthcare-Bereich und in der industriellen Fertigung bald gang und gäbe sein", meint Leone.

Accenture setzt auf MR-Training

Die Möglichkeit, mit XR-Technologien freihändig und mit Remote-Unterstützung zu arbeiten, ist ein wesentlicher Treiber für ihren Einsatz in der Industrie. Im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst geht es hingegen vornehmlich darum, die Belegschaft weiterzubilden.

Accenture beispielsweise setzt VR Headsets ein, um noch unerfahrene Sachbearbeiter im Rahmen von Trainingssimulationen auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Dazu nutzt das Unternehmen immersives Storytelling und interaktive Szenarien mit Sprachausgabe. Das Ziel: "Neue Mitarbeiter sollen so schnell wie möglich mit der Realität vertraut gemacht werden", sagt Rori DuBoff, Managing Director of Strategy and Innovation bei Accenture Interactive.

Ein Vorgehen, das gegenüber dem Engagement von externen Coaches zahlreiche Vorteile bietet: "Die Kosteneinsparungen sind immens und Anwenderunternehmen machen inkrementelle Schritte, um sich von ineffizienten Workflows zu verabschieden", so die Accenture-Managerin weiter.

Für die Zukunft rechnet DuBoff mit einer deutlichen Zunahme von XR Use Cases - insbesondere durch die Verbreitung von 5G und die damit schwindenden Probleme mit der Latenzzeit. Wie überzeugt man bei Accenture vom Potenzial der Extended-Reality-Technologien ist, zeigt auch das strategische Investment des Unternehmens in Upskill - ein Softwareunternehmen, das unter anderem Boeing und General Electric dabei unterstützt, Augmented-Reality-Lösungen im Business-Umfeld einzusetzen.

Extended Reality: Strategische Empfehlungen

Unter Experten ist man sich einig darüber, dass AR, VR und MR in Zukunft weiter reifen und preisgünstiger werden. Gleichzeitig fänden die Unternehmen immer weitere Anwendungsfälle, um mit dem Einsatz der Technologien Mehrwerte zu erschließen. Wenngleich insbesondere AR im Laufe des Jahres 2021 bei den Außendienstmitarbeitern von Industrieunternehmen an Zugkraft gewinnen wird, ist eine Marktsättigung laut Gartner jedoch noch etliche Jahre entfernt.

Gartner-Analyst Tuong Huy Nguyen empfiehlt Unternehmen, derzeit vor allem die Entwicklung von AR-Produkt-Features - insbesondere auf Smartphones - voranzutreiben, mit denen die Effizienz bei komplexen Aufgaben verbessert oder hohe Kosten und Ausfallzeiten verhindert werden.

In jedem Fall sollten Unternehmen, die XR-Technologien zum Einsatz bringen wollen, Case Studies aufsetzen. So lassen sich die Auswirkungen auf Effizienz, Effektivität und Kostenreduktion auch schwarz auf weiß belegen. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.