Zwischen Arbeit und Freizeit wird beim Lernen kaum unterschieden

Wissensarbeiter lernen problemorientierter und vernetzter

04.12.2017
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Wissensarbeiter treffen sich in ihren Communities, um sich gegenseitig Videos und Artikel zu empfehlen. Das Lernen von heute hat ganz offensichtlich neue Formen angenommen: vernetzter, problemorientierter und offener, wann und wo es stattfindet.

Wenn Benny Luz ein Problem hat, geht er ins Internet - wie alle. Allerdings durchforstet der Webentwickler das Netz sehr gezielt, denn manchmal steht er bei spezifischen Themen vor einem Problem und dann können ihm bestimmte Artikel, Blogs oder Youtube-Videos helfen. Oft braucht der 26-jährige Medieninformatiker nur eine Viertelstunde, dann kommt er mit seinem Wissen wieder weiter. Lernen on demand heißt der Trend, problemorientiertes Lernen, eben dann, wenn man es braucht. "Die grundlegenden Technologien bestehen teilweise seit Jahrzehnten", erzählt Luz, aber es gebe gerade in seinem Arbeitsbereich kontinuierlich Weiterentwicklungen. Da müsse er auf dem Laufenden bleiben.

Wenn Wissensarbeiter auf Probleme stoßen, suchen sie die Lösung problemorientiert und vernetzt.
Wenn Wissensarbeiter auf Probleme stoßen, suchen sie die Lösung problemorientiert und vernetzt.
Foto: Twinsterphoto - shutterstock.com

Sein Arbeitgeber, der IT-Dienstleister Easysoft, räumt seinen Mitarbeitern genau für solche kurzen Lernhäppchen Freiräume ein. Es ist gewünscht, dass sich alle Mitarbeiter weiterentwickeln. "Ich nutze das noch viel zu wenig", gibt der Wissensarbeiter zu. Das Metzinger Unternehmen geht einen Schritt weiter, neben den täglichen Lerneinheiten sind die Mitarbeiter verpflichtet, sich jährlich mindestens zwei Tage aufgabennah fortzubilden. So war Luz auf einem dreitägigen Seminar, um sich tiefer in ASP.net einzuarbeiten, das Software-Framework, das Easysoft für seine Seminar- und Personalentwicklungssoftware nutzt. Sein Arbeitgeber zahlte Seminarkosten, Anfahrt, Unterbringung und Spesen. Und: Urlaub brauchte er dafür nicht zu nehmen. Benny Luz war eher überrascht, denn das Unternehmen schwimmt offensichtlich gegen einen Trend.

Wissensarbeiter sehen sich selbst für Weiterbildung verantwortlich

Eine aktuelle Studie des Personaldienstleisters Hays und der Unternehmensberatung PAC ergab, dass knapp zwei Drittel der Wissensarbeiter finden: Sie sind dafür verantwortlich, in ihre Kompetenz zu investieren. So kümmern sich auch 64 Prozent der Befragten um ihre eigene Weiterbildung. Dafür nutzen drei von fünf Wissensarbeitern auch die Freizeit und knapp die Hälfte zahlt die Kosten für Bildung aus der eigenen Tasche. Ein Trend, der den Unternehmen durchaus gelegen kommt. So befürworten mehr als zwei Fünftel der befragten Führungskräfte das Lernen in der Freizeit und mehr als drei Fünftel begrüßen, dass sich Wissensarbeiter für ihre Weiterbildung verantwortlich fühlen.

"Ein zweischneidiges Schwert", findet Frank Schabel. Zwar sparen die Unternehmen Weiterbildungskosten, mittelfristig befeuern sie allerdings den War for Talents. Der Hays-Sprecher weist darauf hin, dass Wissensarbeiter, vor allem Ingenieure und IT-Spezialisten, gegenwärtig schon zum meistgesuchten Personal gehören. "Wenn diese Kandidaten durch Weiterbildung ihre Employability stärken und gleichzeitig das Gefühl bekommen, dass Unternehmen zunehmend weniger in sie investieren, dann steigt deren Wechselbereitschaft", so seine Vermutung.

"Wissensarbeiter wechseln schneller den Job und treiben die Gehaltsspirale nach oben. Das kann teuer werden" erklärt Frank Schabel von Hays.
"Wissensarbeiter wechseln schneller den Job und treiben die Gehaltsspirale nach oben. Das kann teuer werden" erklärt Frank Schabel von Hays.
Foto: Hays

"Wissensarbeiter wechseln schneller den Job und treiben die Gehaltsspirale nach oben. Das kann teuer werden." Deshalb gehöre bezahlte Weiterbildung zum Employer Branding von Unternehmen. Ganz ähnlich sieht das Christian Wachter. "Weiterbildung bedeutet nicht, dass sich entweder der Mitarbeiter oder das Unternehmen darum kümmert, sondern vielmehr ist es ein gemeinsames Interesse", sagt der Vorstand des E-Learning-Anbieters IMC. Die Mitarbeiter sind für regelmäßiges Lernen verantwortlich, um auf dem gegenwärtigen Wissenstand und damit interessant für ihre Arbeitgeber zu bleiben. Und die Unternehmen bleiben attraktiv, wenn sie ihre Mitarbeiter unterstützen und fördern. Ganz abgesehen davon, dass in einer immer komplexeren und dynamischeren Arbeitswelt nur die Menschen Arbeit haben und nur die Unternehmen überleben werden, die dem Thema Weiterbildung eine hohe Priorität einräumen.

Für Christian Wachter, Vorstand von IMC, ist Weiterbildung ein gemeinsames Interesse von Mitarbeiter und Unternehmen.
Für Christian Wachter, Vorstand von IMC, ist Weiterbildung ein gemeinsames Interesse von Mitarbeiter und Unternehmen.
Foto: IMC

Wachter hat nicht den Eindruck, dass Unternehmen weniger in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren, als es bisher der Fall war. Im Gegenteil: Die Saarbrücker entwickeln maßgeschneiderte Bildungsprogramme für Unternehmen - von der Strategie über die Konzeption bis zur Umsetzung. "In diesem Segment wachsen Kundenanzahl und Umsatz", sagt er. Die digitale Transformation sei so umfassend, dass sie individuell nicht bewältigt werden könne. Und der Bildungsexperte ergänzt: "Wir brauchen beides: die großen grundsätzlichen Bildungsangebote und die schnellen Hilfestellungen im Alltag."

Das Lernen wird kleinteiliger

Denn tatsächlich wird das Lernen kleinteiliger und durch unterschiedliche Angebote im Netz erleichtert. So stehen Mitarbeitern viele Möglichkeiten offen. Wer montags einen wichtigen Gesprächstermin hat, schaut sonntagsabends auf seinem Sofa vielleicht noch nach einem Serviceartikel: "Wie verschaffe ich mir einen guten ersten Eindruck?" Wissensarbeiter und Führungskräfte trennen ohnehin viel weniger zwischen Arbeits- und Freizeit. Zudem profitieren sie oft von flexiblen Arbeitszeiten und arbeiten teilweise im Home Office. Statt in den Pausen mit Kollegen einen Schwatz zu halten, wird eben der Abwasch erledigt. Im Gegenzug wird in der Freizeit auch mal gelernt. Die Übergänge sind für Kopfarbeiter fließend geworden.

Easysoft-Chef Andreas Nau schaut sich am Wochenende gerne ein kurzes Video über Führungsthemen an.
Easysoft-Chef Andreas Nau schaut sich am Wochenende gerne ein kurzes Video über Führungsthemen an.
Foto: Easysoft

Auch Easysoft-Chef Andreas Nau schaut sich am Wochenende gerne ein kurzes Video über Führungsthemen an, und ein Management-Buch oder eine Unternehmerbiographie liegt auch immer auf dem Wohnzimmertisch. "Persönliches und Unternehmenswachstum ist ein Wert, den wir leben", erzählt er. Deshalb unterstützt die Geschäftsführung, wenn Entwickler ein zweistündiges Online-Training absolvieren oder Vertriebler sich neuen Input in Workshops oder auf Konferenzen holen. Genauso wie Christian Wachter beobachtet er, dass die jüngere Generation einen anderen Umgang mit ihrem Wissen pflegt. Wesentlich bereitwilliger wird Gelerntes ausgetauscht und miteinander diskutiert, wie eine Software weiterentwickelt werden muss. Easysoft hat darauf reagiert, indem im Neubau bis zu 16 Mitarbeiter in einem größeren Büro miteinander arbeiten und diverse Kommunikationsflächen zum Austausch einladen. Wissensarbeiter treffen sich in ihren Communities und empfehlen sich gegenseitig Videos und Artikel. Das Lernen der Wissensarbeiter hat ganz offensichtlich neue Formen angenommen: vernetzter, problemorientierter und offener, wann und wo es stattfindet.