Produktivität könnte um 25 Prozent höher sein

Wissens-Management: Oft fehlt dafür die Zeit

04.09.1998

Die großen Unternehmensberatungen haben es als erste erkannt: Ohne systematisches Sammeln, Aufbereiten und Bereitstellen des gesammelten Wissens und der praktischen Erfahrungen ihrer Mitarbeiter können sie im Know-how-intensiven Consulting-Geschäft auf Dauer nicht bestehen. Deshalb investieren die Beratungshäuser im Durchschnitt rund zehn Prozent ihres Umsatzes in das Wissens-Management.

"Wir verfügen über eine weltweite Research- und Know-how-Management-Infrastruktur, in der Spezialisten an der Erhebung, Systematisierung und Dokumenta- tion studien- und klientenrelevanter Informationen arbeiten", erläutert Stefan Spang von der Unternehmensberatung McKinsey. Die bearbeiteten Informationen können jederzeit über weltweit vernetzte Informationssysteme von jedem einzelnen Berater abgerufen werden.

Basis des Wissens-Managements ist eine intern entwickelte umfassende logische Struktur, die das Know-how nach Industrie- und Themengebieten systematisiert. Außerdem wird jeder McKinsey-Berater nach seinem Erfahrungshintergrund und Spezialwissen in diese Systematik eingeordnet. Spang: "Für jedes Themenfeld sind dadurch die passenden internen Ansprechpartner dokumentiert, die im Bedarfsfall herangezogen werden können."

Das "implizite Wissen" - verborgenes Wissen, das in erster Linie auf persönlicher Erfahrung beruht - wird zum Teil im Rahmen der Projektarbeit zu Tage gefördert, zum Teil aber auch durch gezielte Coaching-Gespräche. Dazu ist der Aufbau einer entsprechenden Organisation notwendig, in der speziell ausgebildete "Knowledge-Aktivisten" das implizite Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter kontinuierlich in explizites Wissen umwandeln, das für alle Mitarbeiter verfügbar ist.

In den USA ist eine Reihe von Unternehmen bereits dazu übergegangen, ihre Führungsmann- schaft um die Stelle eines "Chief Knowledge Officer (CKO) zu erweitern.

Er trägt die Verantwortung für die systematische Ermittlung von Wissensbedarf im Unternehmen und der Umsetzung von Maßnahmen zur Schließung der vorhandenen Know-how-Lücken.

In Deutschland dagegen hat das Wissens-Management in den meisten Betrieben noch mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zwar geht nach einer aktuellen Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart mehr als die Hälfte der Unternehmen davon aus, daß der Produktionsfaktor Wissen mit mehr als 60 Prozent an der Wertschöpfung beteiligt ist. 96 Prozent halten ein geordnetes Wissens-Management für "wichtig" oder "sehr wichtig".

Allerdings finden nur 20 Prozent der 311 befragten Firmen ihren bisherigen Umgang mit dieser lebenswichtigen Ressource "gut" oder "sehr gut". Nach Einschätzung der befragten Firmenchefs ließe sich die Produktivität der Unternehmen im Durchschnitt um rund 25 Prozent erhöhen, wenn auf das gesamte verfügbare Wissen der Mitarbeiter jederzeit zugegriffen werden könnte.

Keine Preisgabe von Herrschaftswissen

Aber warum werden dafür nicht die entsprechenden Struk- turen geschaffen? Mehr als 70 Prozent der Befragten gaben die Zeitknappheit als den entscheidenden Hinderungsgrund an, 67,7 Prozent konstatieren ein "fehlendes Bewußtsein" für diese Problematik in ihrem Unternehmen.

Trotz vorhandener technischer Voraussetzungen - zum Beispiel in Form eines Intranet oder einer Erfahrungsdatenbank - scheitert die Umsetzung oft daran, daß Angestellte aus Angst um ihre Posi- tion ihr vermeintliches "Herrschaftswissen" nicht preisgeben wollen. "Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die Bereitschaft der Mitarbeiter, ihr Wissen dem Gesamtunternehmen zur Verfü- gung zu stellen", zieht IAO-Experte Juan Prieto ein Fazit aus der von ihm geleiteten Untersuchung.

Das Siemens Systemhaus für Kommunikationslösungen in München, künftig zum neugebildeten I+K-Bereich Netzdienstleistungen zugehörig, ist einer der Pioniere in Deutschland, der bereits erste Erfolge beim Aufbau eines Knowledge-Management-Systems vorweisen kann. "Unser Kerngeschäft besteht zunehmend in der Anwendung von Wissen", begründet Christiane Löcken- hoff, Leiterin des im vergangenen Jahr eingerichteten Knowledge Office in dem 8000-Mitarbeiter-Bereich, die Aktivititäten auf diesem Gebiet.

Schaffung von Wissens-Netzwerken

Bereits heute werde mehr als die Hälfte des Systemhaus-Umsatzes nicht mehr alleine mit Produkten, sondern mit Know-how-intensiven Komplettlösungen erzielt. Und dieser Anteil soll weiter deutlich steigen. "Das Wissens-Management trägt nicht nur bei uns immer mehr direkt zur Wertschöpfung bei", ist die Projektleiterin überzeugt. Seit dem Start des Projektes "Knowledge Networking" wurden die Erfahrungen im eigenen und in anderen Unternehmen analysiert, Wissensziele definiert und ein Programm entwickelt, das derzeit auf breiter Front umgesetzt wird.

Am Anfang stand dabei eine klare Zielbestimmung: Knowledge-Management soll zur Steigerung von Qualität und Kundenzufriedenheit im Service durch Verbesserung des Know-how-Transfers führen, den Aufbau von Lösungskompetenz im gesam- ten Systemhaus durch den Austausch von Kunden- und Projekterfahrungen ermöglichen und schließlich zur effizienteren Nutzung von Information und Wissen als Produktionsfaktoren beitragen.

Konkret bringt das Knowledge-Office beispielsweise zur Bearbeitung wichtiger Themen Mitarbeiter aus den unterschiedlichen Regionen zusammen, um WissensNetzwerke zu entwickeln - und dies mitunter auch quer zu den vorhandenen Strukturen und Hierarchieebenen. So wurden im Regionalvertrieb sogenannte Competitor Monitoring Teams gebildet, die eine systematische Wissensbildung über den Wettbewerb ermöglichen. Dazu treffen sich Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen, die über Details zu bestimmten Wettbewerbern verfügen. Ihre Einzelinformationen werden gemeinsam bewertet, verdichtet und über einen Knowledge Broker aufbereitet und per Intranet verteilt. Erklärtes Ziel dieser Maßnahme: die Gewinnung von mehr Aufträgen zu besseren Preisen.

Mit systematischen Knowledge Reviews sollen sich nach und nach auch alle bereits im Unternehmen existierenden Teams, die regional verteilt und abteilungsübergreifend tätig sind, konkrete Maßnahmen für die eigene Tätigkeit erarbeiten. Dazu wird in mehreren Workshops innerhalb eines Zeitraums von etwa fünf Wochen mit professioneller Unterstützung durch das Knowledge-Office oder einem externen Berater über die Verbesserung der Wissensflüsse im eigenen Arbeitsprozeß nachgedacht. "Insgesamt wollen wir in den nächsten zwei Jahren etwa 160 dieser Knowledge-Reviews organisieren", erläutert Löckenhoff.

Im Service, der als besondere Schwachstelle erkannt wurde, fand eine weitere Maßnahme zur systematischen Dokumentation von Lösungswissen statt. Die Mitarbeiter können Tips aus ihrer praktischen Arbeit, die auch für andere Kollegen interessant sind, einfach per E-Mail, Papierzettel oder Voice-Mail in einem Fo- rum loswerden. Dabei muß nicht auf sprachliche Feinheiten geachtet werden, denn eine mehr- köpfige Fachredaktion aus erfahrenen Servicetechnikern bearbeitet die Eingänge und formu- liert sie zu Informationen für das Service-Informations-System (SIS).

Diese werden in einer Wissensdatenbank abgelegt und stehen über das Intranet unternehmensweit zur Verfügung. Auch in diesem Bereich gibt es zusätzliche Knowledge-Broker, die zum Beispiel registrieren, wenn zu einem konkreten Problem unterschiedliche Lösungswege gemeldet wurden. In diesem Fall können sie zu speziellen Themen Practice Groups einberufen, die die möglichen Varianten miteinander diskutieren. Unter Umständen entsteht dann aus diesem Gespräch wiederum ein gemeinsames SIS-Info, das dann im Intranet bereitgestellt wird.

"Spezielles Fachwissen bringen wir in der Regel mit bestimmten Personen in Verbindung, die wir bereits kennen oder die uns jemand empfiehlt", stellt die Knowledge-Office-Leiterin fest. So wende sich ein Vetriebsmitarbeiter, der zur Lösung eines Problems ein bestimmtes Erfahrungswissen benötige, an ihm bekannte Experten auf diesem Gebiet. Löckenhoff: "Themen hängen an Menschen und Menschen stehen für Themen." Doch bei 8000 Mitarbeitern stößt dieser direkte persönliche Kontakt schnell an seine Grenzen. Deshalb richtet das Systemhaus unter Berücksichtigung der gewohnten Denkstrukturen in seinem Intranet sogenannte Yellow Pages ein, über die wissenssuchende Mitarbeiter und Wissensträger schnell zusammenfinden. Jeder Mitarbeiter, der auf einem Arbeitsgebiet über besondere Qualifikationen verfügt, kann sich eine solche Seite einrichten.

Jeder ist für sein Profil verantwortlich

Während die Stammdaten auf diesen gelben Seiten wie Name, Adresse oder Kommunikationsverbindungen aus dem zentralen Siemens Corporate Directory automatisch erstellt und aktuell gehalten werden, ist jeder Mitarbeiter für die Pflege seines Profils selbst verantwortlich. So kann er ein Bild auf die Seite stellen oder Links zu seiner persönlichen Homepage und themenbezogenen Web-Sites legen. Auch die Einrichtung von Bereichen mit häufig gestellten Fragen samt passenden Antworten ist möglich. Die Adresse eines Stellvertreters oder Festlegungen zur persönlichen Erreichbarkeit lassen sich ebenfalls aufnehmen.

Das wichtigste Element der Yellow Pages sind jedoch die Funktions-, Team- und Projektbeschreibungen sowie die detailliert erläuterten Wissensfelder. "Um diese nachher besser für die Suchmaschine indizieren zu können, haben wir eine standardisierte Liste mit Auswahlmöglichkeiten erstellt", berichtet Löckenhoff.

* Stefanie Berg ist freie Journalistin in Düsseldorf.

Abb.1: Erwartungen

Der Einsatz von wissens-Management sol die Innovationsfähigkeit erhöhen (1 = gering, 3 = hoch). Quelle: FhG

Abb.2: Gestaltungsdimensionen

Ein Gleichgewicht der drei Säulen I+K-Technologie, Organisation und Personal-Management ist die Grundlage für die Einführung von Wissens-Management. Quelle: FhG