Knowledge-Management/Auf die Umsetzung kommt es an

Wissens-Management heißt: öfter mal die Business-Regeln ändern

27.02.1998

Die Wettbewerbsfähigkeit eines Anbieters im Markt hängt davon ab, inwieweit er die Anforderungen und Bedürfnisse seiner heutigen und künftigen Kunden versteht und rechtzeitig in entsprechende Angebote umsetzen kann. Dabei geht der Trend immer mehr zum Eins-zu-Eins-Marketing. In vielen Branchen verlangen Verbraucher und Unternehmen individuell auf sie zugeschnittene Produkte und Dienstleistungen. Systematisches Wissens-Management ist deshalb besonders interessant in unübersichtlichen und rasanten Märkten mit hohem Wettbewerb, für Branchen mit vielen Kunden und stark diversifizierten Produkten wie zum Beispiel Telekommunikation, Banken, Versicherungen, Transportwesen und Handel.

Um im Rennen zu bleiben, müssen Unternehmen vor allem ihre Reaktionszeit verbessern und sich kundenzentrisch organisieren. Das erfordert ein umfassendes Wissen über den Kunden, sein Kaufverhalten, demographische und psychographische Trends und alle anderen Komponenten, aus denen sich fokussierte Marketingstrategien ableiten lassen. Doch der Wert solchen Wissens zählt nicht - es sei denn, die Unternehmen wenden es an. Und hier spielt die Flexibilität der IT-Systeme eine immer entscheidendere Rolle: Wer als Bank oder Versicherung seine Angebote als erster in Software gießt oder wer als TK-Anbieter seine Tarife flexibel abrechnet, der besitzt einen Vorsprung im Markt. Immer kommt es darauf an, die eigenen Geschäftsprozesse, die eigenen "Business Rules", so schnell wie möglich auf neue Marktanforderungen einzustellen und in Marketing- und Vertriebsaktionen umzusetzen.

Das Wissens-Management im Unternehmen muß deshalb darauf ausgerichtet sein, Systeme, die aus Daten Wissen erzeugen, mit Systemen zu koppeln, die das Wissen operativ umsetzen. Hat etwa ein TK-Anbieter ein spezielles Angebot für ein bestimmtes Kundenprofil kreiert, kann er erst dann damit auf den Markt gehen, wenn er in der Lage ist, dieses Angebot auch abzurechnen. Sind die Systeme zu unflexibel, und dauert ihre Anpassung zu lange, ist die Marktchance vielleicht schon verpaßt.

Das Wissens-Management im Unternehmen besteht vor allem aus zwei Prozessen, die einen geschlossenen Regelkreis bilden und gemeinsam sicherstellen, daß das Unternehmen kundenzentriert und dynamisch am Markt agieren kann (siehe Grafik).

Auf der einen Seite steht dabei das Steuern und Kontrollieren der Geschäftsprozesse: Die aus den Kundendaten extrahierten Kundenprofile liefern das Wissen, mit dem Strategien entwickelt, Entscheidungen getroffen und Marketing-Aktionen angeschoben werden. Auf der anderen Seite folgt dann das Implementieren und Betreiben der Unternehmensprozesse: Neue Business Rules werden definiert und umgesetzt. Die Kunden erhalten neue Angebote. Ihre Reaktion darauf fließt in die Kundendaten zurück.

Daten sind die Rohstoffe des Wissens-Managements - unbearbeitet und nichtssagend. Es ist nötig, das Wissen um die Bedürfnisse der Kunden und um die eigenen Marktchancen muß im Unternehmen deshalb wie in einem Raffinierungsprozeß aus verschiedenen Datenquellen gesammelt und extrahiert werden, so daß sich Kundenprofile erstellen und entsprechende Marketing-Aktionen anstoßen lassen. Data-Warehouse, OLAP und Data Mining unterstützen Unternehmen dabei, aus den vorliegenden Daten die "richtigen" Profile herauszuarbeiten.

Ein Data-Warehouse ist das Informationslager eines Unternehmens. Es zieht die Daten aus den operativen Systemen und speichert sie. Nach den Erfolgen mit Data-Warehouse in den USA ist die Welle nun endgültig auch nach Deutschland geschwappt: Nach einer kürzlich von der Meta Group durchgeführten Blitzumfrage gibt es bei Systemintegratoren und Beratern aufgrund der gestiegenen Nachfrage inzwischen erhebliche Personalengpässe. Data-Warehousing ist das geeignete Konzept, um sich in kommenden Märkten kompetent zu behaupten. Damit lassen sich Trends frühzeitig aufdecken, Risiken exakter abschätzen, Produkte zielgruppengenau entwickeln oder das Verbraucherverhalten präzise analysieren.

Wie eine Wissens-Raffinerie des Unternehmens stellen Data-Warehouse, OLAP und Data-Mining den Entscheidern das Know-how zur Verfügung, das sie benötigen, um kundenorientiert und dynamisch am Markt zu agieren. Kein Wunder also, daß über 80 Prozent aller Data-Mining-Anwendungen im Marketing zu finden sind.

Es kommt jedoch nicht nur auf die neuen Erkenntnisse aus den Kundendaten an, sondern auch auf die Umsetzung der daraus folgenden Strategien am Markt. Das ist heute ohne die Unterstützung der unternehmenskritischen IT-Systeme nicht mehr möglich.

Wer sein Wissen also nicht für sich behalten, sondern in einen Wettbewerbsvorteil ummünzen will, der braucht eine intelligente und flexible IT-Architektur, welche die schnellen Wendungen der eigenen Business Rules mitmacht.

Business Rules repräsentieren Schlußfolgerungen oder Entscheidungen; sie reflektieren, wie in einem Unternehmen gearbeitet wird. Üblicherweise werden sie als Algorithmen explizit programmiert. Verändern sich aufgrund neuer Marktbedingungen die Arbeitsabläufe, müssen die IT-Lösungen häufig mühevoll und langwierig angepaßt werden. Eine Alternativlösung ist deshalb, die Geschäftsregeln nicht fest in den IT-Lösungen zu implementieren, sondern in einem eigenen Regelmodell für die gesamte Organisation zusammenzustellen. Werden Applikationen so mit einer Regelkomponente verbunden, können Anwendungen schnell und flexibel angepaßt werden. Änderungen in den Geschäftsprozessen lassen sich so ohne großen Aufwand in den Informationssystemen nachziehen. Die Dynamik des Unternehmens am Markt wird nicht mehr durch unzureichende Softwaretechnik gebremst.

Regelbasierte Systeme wie

-"Pluriform" von Pluriform Software in Veghe in den Niederlanden,

-"Usoft" von Usoft in Wittlich bei Düsseldorf oder

-"Elements" von Neuron Data, Neu Isenburg,

in die inzwischen mehr als zehn Jahre Erfahrung mit dieser Technologie eingeflossen sind, eignen sich besonders gut zur Modellierung der Geschäftsregeln eines Unternehmens. Sie wurden konzipiert, um komplexe Sachverhalte wie Ursache-Wirkungs-Prinzipien, Was-ist-wenn-Analysen, Randbedingungen oder Ausnahmen darzustellen. So lassen sich adaptive Applikationen für den unternehmenskritischen Einsatz auch im Intra- und Internet einfach und schnell entwickeln und pflegen.

Will ein Unternehmen einem durch Data-Mining entdeckten Kundensegment ein neues Produkt- oder Leistungsangebot unterbreiten, so sind mit regelbasierten Systemen nur die involvierten Business Rules in der Regelbibliothek zu ändern, damit sich diese Modifikationen in den Applikationen nachziehen lassen. Zwei Fälle seinen hier als Beispiele angeführt.

Ein TK-Anbieter sucht mit Hilfe eines Data-Mining-Systems die Call Detail Records nach unbekannten Mustern ab: Gibt es Gruppen von Kunden, die ein gleichwertiges Verhalten beim Telefonieren haben? So lassen sich neue Marktnischen aufdecken und Kundensegmente finden, für die ein neues Angebot interessant sein kann. Wenn sich der TK-Anbieter daraufhin entschließt, den "Mondschein"-Tarif von zehn Uhr auf neun Uhr vorzuverlegen, muß das Abrechnungssystem augenblicklich in der Lage sein, das neue Angebot richtig zu berechnen. In einem regelbasierten System braucht das nur eine kleine Änderung: "Wenn Zeit = 22.00 Uhr, dann berechne Mondscheintarif" wird ersetzt durch "Wenn Zeit = 21.00 Uhr, dann berechne Mondscheintarif".

Manche TK-Anbieter haben herausgefunden, daß viele ihrer privaten Teilnehmer bevorzugt mit bestimmten anderen Teilnehmern telefonieren. Sie bieten einen Family&Friends-Tarif, bei dem sich Kunden einige Telefonnummern aussuchen, mit denen sie günstig telefonieren wollen und die sie jederzeit selbst über die Tastatur ändern können. Mit einem regelbasierten System ist die Umsetzung einfach. Der Kundenzugriff auf die entsprechende Regel wird automatisiert, so daß der Anbieter dabei nicht einmal mehr selbst aktiv werden muß: "Wenn Telefonnummer = 12345, dann berechne Family&Friends-Tarif".

Viele Beispiele finden sich auch in der Finanzwirtschaft. Auch Banken oder Versicherungen, die mit Data-Mining neue Kundensegmente finden und für diese besondere Zielgruppe ein spezielles Kredit-, Geldanlage- oder Versicherungspaket auf den Markt bringen möchten, können die neuen Angebote mit Hilfe regelbasierter Systeme aus den bestehenden Angeboten ableiten: "Wenn Kreditnehmer = Mann zwischen 25 und 35 Jahren und monatlichem Nettoeinkommen über 3500 DM, dann Yuppie-Kredit". Die Konditionen des "Yuppie-Kredits" können dann in einer eigenen Regel definiert sein und ebenso einfach geändert werden.

Entscheidend für die Umsetzung des Unternehmenswissens ist hier, daß es lediglich nötig ist, die entsprechenden Regeln zu ändern. Wenn das Angebot später aufgrund neuer Erkenntnisse wieder geändert werden soll, ist das kein Problem. Sobald die Business Rules geändert sind, arbeiten die operativen Systeme automatisch mit diesem neuen Wissen. Das Time-to-market wird so drastisch reduziert, und das Unternehmen ist jederzeit in der Lage, kundenzentriert am Markt zu agieren.

Angeklickt

Am Beispiel eines regelbasierten Systems sei kurz umrissen, um was es bei der Integration von Business-Rules-Systemen in eine bestehende IT-Landschaft geht und welche Features vorhanden sein sollten, um die Geschäftsregeln effizient zu managen und schnell umzusetzen.

Worauf es ankommt:

- Regelbasierte Systeme müssen mit anderen Systemen des Unternehmens eng zusammenarbeiten und gut integriert sein, damit sich neue Business Rules schnell operativ umsetzen lassen.

- Sie sollten offen sein für neue Technologien wie Internet und Java und so dem Anwender ermöglichen, diese Technologien für seine Geschäfte zu nutzen.

- Sie müssen leistungsfähige Integrationsmechanismen zur Verfügung stellen, die etwa neue Java-Applikationen und bestehende Systeme interoperabel machen, um die Geschäftsprozesse reibungslos zu unterstützen.

- Sie sollten Migrationsmechanismen besitzen, mit denen sich bestehende Applikationen wie zum Beispiel grafische Benutzeroberflächen einfach nach Java konvertieren und so für neue Anwendungsbereicht weiter nutzen lassen.

- Für die effiziente Entwicklung benutzerfreundlicher Oberflächen (GUI) sollten Sie leistungsfähige Widgets bereitstellen. Gerade für Applikationen im E-Commerce, mit denen ungeübte Anwender zurechtkommen müssen, wird es immer wichtiger, die Oberflächen so einfach, aber so intelligent wie möglich zu gestalten.

*Dr. Wolfgang Martin ist Vice-President Europe, Application Development Strategies, beid er Meta Group.