Wissens-Management - ein Trend mit Verfallsdatum?

Wissens-Management - ein Trend mit Verfallsdatum? Die verlorenen Visionen der Wissensjünger

12.02.1999
Von CW-Mitarbeiterin Alexandra Glasl FRANKFURT/M. - Der Euphorie folgte die Ernüchterung: Wissens- Management ist noch in aller Munde, aber die Fragen häufen sich, auf die es keine Antworten gibt. Statt der Vision eines "lernenden Unternehmens" näherzukommen, schlagen sich die Strategen mit organisatorischen Problemen herum.

Das Internet liefert das beste Anschauungsbeispiel dafür, was passiert, wenn man Wissens-Management falsch versteht. "Sammle alles Wissen und stelle es ins Netz, irgend jemand wird es schon finden", beschreibt Constantin Zirz von der Bayer AG, Leverkusen, die gängigen Methoden. "Bei so großen Konzernen wie Bayer ist ein solches Vorgehen nicht ganz auszuschließen." Zirz war nicht der einzige Referent auf der Konferenz von Management Circle in Frankfurt, der Schwierigkeiten im Wissens-Management einräumte.

Das Problem beginnt schon bei der Definition des Begriffes. Je nach Background und Interessenslage füllen die jeweils Projektbeteiligten den Begriff unterschiedlich. Auch wenn alle beteuern, daß sie ihr Unternehmen damit vorwärtsbringen wollen, variiert die Umsetzung stark: Für Jürgen Gärner, Leiter Marketing Information bei Hewlett-Packard, ist der Kaffeeautomat im Großraumbüro ein hervorragendes Tool für Wissens-Management, da hier oft die wichtigsten Informationen ausgetauscht würden. Thomas Dahlmanns, technischer Direktor bei der Multimedia-Agentur Pixelpark, hält es bereits für Wissens-Management, wenn bei Bertelsmann oder Lufthansa ein Manager dem anderen über Intranet eine Mail zuschickt. Pixelpark hat für beide Konzerne ein Intranet entwickelt, das nur den Führungskräften zugänglich ist und mitunter auch deren Hemmschwelle vor dem Computer als Kommunikations- und Arbeitsplattform abbauen soll.

Aus solchen Ansätzen wird deutlich, daß viele Unternehmen ihre hochfliegenden Hoffnungen, die sie mit Wissens-Management verbanden, zurechtgestutzt haben. Vergangen scheinen die Zeiten, in denen man die wachsende Komplexität unserer Informationsgesellschaft "beherrschen" wollte, indem man das Wissen der Mitarbeiter ermittelt und speichert, um es dann wiederfinden, aktivieren und mit ihm besser arbeiten zu können. Viel zu groß sind in der Realität die Widerstände gegen die Vision einer lernenden Organisation.

Nach einer weltweiten Befragung von 1000 Unternehmen durch die Marktforscher von Business Intelligence sind die Unternehmenskultur und die unzureichende Unterstützung durch das Management die zwei größten Barrieren.

Nach der Fusion mit Nixdorf hat Siemens zum Beispiel ein "Culture Change Program" aufgelegt, um die unterschiedlichen Firmenkulturen zusammenzuführen. Das konnte allerdings auch nicht verhindern, daß "der Fluß der Information nicht überall stattfand, wo er nötig war. Die Folge dieser Reibungsverluste war, daß viele Kunden abgewandert sind", erinnert sich Ulrich Schneider, der bei der Siemens Business Services GmbH die Position eines "Knowledge Evangelisten" bekleidet.

Auch bei Daimler-Chrysler hat man noch an den verschiedenen Mentalitäten der fusionierten Unternehmen zu knabbern. Beim Wissenstransfer werden schon die zwei Sprachen zum Problem. Andreas Dörner, der das Fachgebiet Wissens-Management im Geschäftsfeld Pkw leitet, hat seit kurzem eine amerikanische Chefin, die Meetings nur noch in Englisch haben will. Der Betriebsrat hält dagegen, daß Sitzungen in Deutschland auch auf deutsch abgehalten werden müssen. Der Kompromiß: Sämtliche Folien und Unterlagen gibt es künftig in zwei Sprachen.

Das Management muß dahinterstehen

Ein weiterer Knackpunkt ist die Rolle des Topmanagements. Auch wenn in der Regel der Vorstand Wissens-Management initiiert, muß das noch nicht heißen, daß die Unterstützung über die Jahre auch erhalten bleibt. Siemens Business Services hat zum Beispiel Anfang 1998 eigens die Position eines Chief Knowledge Officers geschaffen, der mit einem fünfköpfigen Team Wissen nicht nur sammeln, sondern daraus einen Mehrwert erzeugen sollte. Mittlerweile sei die Unterstützung durch das Topmanagement nicht mehr so ausgeprägt, so Schneider. Ein Grund dafür sei auch das Problem, den Erfolg zu messen. Auch wenn der Knowledge Evangelist seine ungewöhnliche Berufsbezeichnung ernst nimmt und die Ungläubigen zum Wissens-Management zu bekehren versucht, gibt er zu: "Man kann nicht guten Gewissens einen höheren Umsatz auf die Einführung von Wissens-Management zurückführen. Wenn es nur einer der Faktoren ist, die dazu beitragen, haben wir schon viel gewonnen." Darum haben sich die Wissensjünger bei Siemens auch auf die Strategie der schnellen Siege verlegt. Sie picken sich einen Bereich heraus, in dem drängende Probleme mit der Organisation des Informationsflusses gelöst werden können, um sich durch solche Erfolge weiteren Kredit bei Managern und Kollegen zu verschaffen.

Selbst wenn das Wohlwollen des Managements gesichert ist und die Mitarbeiter motiviert sind, ihr Wissen allen zur Verfügung zu stellen, bleiben noch viele organisatorische Fragen offen. Was geschieht, wenn Wissen veraltet? Wie komme ich schnell zu den richtigen Informationen? Wer pflegt die Datenbanken? Für Jochen Carle von Smart-Bauer Micro Compact Car, Renningen, sind solche Fragen offensichtlich kein größeres Problem: "Wir pflegen unsere Datenbank nicht, da sie sich organisch entwickelt. Ist eine Information schlecht oder falsch, merken das die Mitarbeiter, benutzen sie nicht oder benoten sie dementsprechend." Bei Bayer hat man sich dagegen Leitlinien für die Dokumentation von Forschungsergebnissen ausgedacht. "Das sind mehrere Seiten Papier, deren Inhalt leider nicht gelebt wird", räumt Zirz ein. " Die Unternehmensbereiche machen, was sie für richtig halten. Darum gibt es hier noch einige Lücken." Nichtsdestotrotz werde zum Beispiel die Datenbank über die chemischen Strukturen gut genutzt.

Ein weiteres Problem ist das schnelle Finden der richtigen Information. "Wir haben zwar Suchmaschinen, sind aber nicht mit ihnen zufrieden", sagt Dörner von Daimler-Chrysler. Das liegt oft an scheinbar banalen Problemen. "Bei zehn unterschiedlichen Schreibweisen für das Wort Sechskantschraube kapituliert die Suchmaschine."

Über solche organisatorischen Schwierigkeiten hat sich Microsoft Deutschland hinweggesetzt. Nicht, daß die Gates-Company die Patentlösung für effektives Wissens-Management gefunden hätte. Bei Microsoft hat man dem Kind aber einen anderen Namen gegeben und verfolgt "höhere Ziele", so Personalleiter Andreas Benkowitz. In den sogenannten Learning Networks treffen sich regelmäßig jeweils fünf bis acht Manager, um an ihrem Führungsstil zu arbeiten. "Es geht nicht um Wissen, sondern, noch einen Schritt weiter, um Verhaltensänderung", erklärt Benkowitz. Nach fast sechs Jahren Learning Networks sei die Bilanz durchaus positiv: Im Umgang miteinander hätten die Führungskräfte ihre Samthandschuhe schnell ausgezogen und lernten nun, schwierige Gespräche mit Mitarbeitern zu führen oder Konflikte mit diesen zu klären. In den Zirkeln kämen oft sogar Themen zur Sprache, die die Manager nicht einmal mit ihren Frauen bereden würden.

Während der Treffen bleiben die Microsoft-Manager übrigens unter sich, ein Trainer war nur bei der ersten Veranstaltung anwesend. Daß eine zentrale Steuerung das Wissens-Management nicht immer voranbringt, hat man auch bei Siemens erfahren: Seitdem der eigens installierte Chief Knowledge Officer (CKO) Ludwig Zink ein attraktives Jobangebot aus den USA bekommen hatte und wechselte, ist die Stelle vakant und wird es nach Einschätzung von Schneider bis auf weiteres auch bleiben: "Die Gefahr liegt darin, daß der CKO als Gralshüter des Wissens angesehen wird und die Mitarbeiter sich ausklinken und nicht mehr mitmachen." Jetzt soll die Verantwortung für die Umsetzung wieder dorthin verlagert werden, wo das Wissen auch genutzt wird - in die einzelnen Bereiche. Eine solche Reak- tion ist ganz im Sinn der Analysten von Forrester Research, die das Verfallsdatum von Wissens-Management gekommen sehen und davon abraten, eine CKO-Stelle zu schaffen. Denn wer keinen Mehrwert wie Rückgang der Kosten oder Erhöhung des Umsatzes vorweisen könne, verliere auch die Argumentationsgrund- lage für Wissens-Management.