Business-Intelligence-Markt im Umbruch

Wissen ist nicht gleich Wissen

02.05.2003
MÜNCHEN (gh) - Der Markt für Business Intelligence (BI) galt in den vergangenen Jahren als eine Art Perle der Softwareindustrie. Zwar verlangsamte sich auch in diesem Segment das Wachstum, doch gemessen an der Tristesse anderer Bereiche wähnten sich die Anbieter bisher weitgehend auf der sicheren Seite. Das könnte sich mittelfristig ändern. Nicht nur in puncto Marktaussichten, sondern auch, was die gesamte Struktur der einschlägigen Szene angeht.

Die Antwort auf die Frage, was gemeinhin die Nachfrage nach Softwareprodukten auslöst, ist auf den ersten Blick einfach zu beantworten: Voraussetzung ist das Versprechen einer signifikanten Verbesserung von Arbeitsabläufen in Unternehmen und ein entsprechendes Marketing der Hersteller (Stichwort: Hype). Nach Möglichkeit sollte auch die betriebswirtschaftliche, produktionstechnische oder organisatorische Notwendigkeit des Einsatzes dieser Programme existieren. Im Idealfall trifft beides zu. Beim Thema BI gestaltet sich indes die Ursachenforschung für den derzeitigen Boom nicht ganz so trivial, auch wenn besagte Voraussetzungen hier in vollem Umfang gegeben sind.

Marktforscher noch zuversichtlich

Wie kaum ein anderes Segment trotzt das BI-Lager unter den Softwareanbietern im Moment der Krise - von Katzenjammer, der bei vielen Spezialisten für Enterprise Resource Planning (ERP), Supply-Chain-Management (SCM) oder Customer-Relationship-Management (CRM) herrscht, keine Spur! Kurze Schwächeperioden von Anbietern wie Cognos oder Hyperion, die Mitte 2001 mit Verlusten von sich reden machten, erscheinen heute als Episode. Glaubt man aktuellen Prognosen von IDC, soll der weltweite Markt für BI-Lösungen, der 2001 ein Volumen von zwei Milliarden Dollar hatte, binnen der kommenden drei Jahre auf fast zwölf Milliarden Dollar expandieren. Laut Meta Group werden Ende 2004 rund 60 Prozent der weltweit 3000 größten Konzerne "strategische BI-Tools" im Einsatz haben. Auch bei Gartner lesen sich die einschlägigen Vorhersagen ähnlich. Marktbetrachtungen also, die man sonst derzeit - wenn überhaupt - nur aus dem Security-Bereich kennt.

Obwohl in Zeiten wie diesen solche Prognosen geradezu abenteuerlich erscheinen, werden sie von den jüngsten Ergebnissen wichtiger Player zumindest nicht völlig ad absurdum geführt (siehe Kasten "Noch Ruhe an der BI-Front"). Das Problem ist jedoch weniger, dass die genannten Auguren, was ihre optimistische Einschätzung der Entwicklung des BI-Markts angeht, in absehbarer Zeit möglicherweise zurückrudern müssen. Vielmehr hat man es mit einem Segment der Softwarebranche zu tun, das in puncto Vielfalt der Anbieterszene, den unterschiedlichen Marktfaktoren sowie einer langen, nicht immer ruhmreichen Historie seinesgleichen sucht.

Denn die Problematik, die hinter dem BI-Begriff steckt, ist alles andere als neu. Schon Ende der 60er Jahre wurde mit dem Management-Information-System (MIS) ein Schlagwort kreiert, das in den frühen 80er Jahren in Form weiterer "Philosophien" wie "DSS" (Decision-Support-System), "FIS" (Führungs-Informations-System) oder "EIS" (Executive-Information-System) die Agenda der IT-Verantwortlichen teilweise entscheidend bestimmte. Stets ging es darum, dem Management des Unternehmens aussagefähige Daten aus den operativen Systemen zur Verfügung zu stellen und damit wirksame Planungsinstrumente an die Hand zu geben.

Data Warehouses nur ein Zwischenschritt

Ein alles andere als einfaches Unterfangen, nicht nur in der monolithisch geprägten Großrechner-Ära vergangener Tage. Auch in den 90er Jahren änderte sich daran mit den aufkommenden Data Warehouses und multidimensionalen Modellierungstechniken wie Online Analytical Processing (Olap) kaum etwas. Noch heute müssen, wie Gartner-Analystin Lee Geishecker es vor einigen Wochen auf einer BI-Konferenz ihrer Company in Amsterdam ironisch auf den Punkt brachte, die Anwender mit dem wohl größten Defizit der Softwareindustrie leben: Den "nur geringen Möglichkeiten", aus einer Fülle von unternehmenskritischen Daten, dem Rohstoff Wissen sozusagen, im Sinne einer strategischen Planung entsprechenden Nutzen für das eigene Geschäft zu ziehen. Eine "Enttäuschung", die, so Geishecker, in den zurückliegenden Jahren vor allem die ERP-Anbieter ihren Kunden mit falschen Versprechen bereitet haben.

Bleibt man bei dieser Ironie, müsste man - ähnlich wie beim Thema Enterprise Application Integration (EAI) - feststellen: Die Softwarebranche schafft sich durch ihre eigenen Unzulänglichkeiten stets neue Nischen und Absatzmärkte. Nicht umsonst konnten jedenfalls heutige BI-Spezialisten wie Cognos und Business Objects bereits in den 90er Jahren damit beginnen, ihre Erfolgsgeschichte zu schreiben, indem sie Abfrage-("Query")Tools und erste Analysewerkzeuge lieferten, mit denen sich in einem Data Warehouse historisierte Daten, beispielsweise aus ERP- oder CRM-Systemen, halbwegs mundgerecht für die Unternehmensführung aufbereiten lassen. Applikationen übrigens, die auch heute noch weitgehend die BI-Realität bei den Anwendern darstellen (siehe Grafik "Einsatzbereiche von Business Intelligence"). Der Begriff BI selbst entstand ebenfalls in den 90er Jahren, wo als weitere Neuerung auch entsprechende Web-Interfaces hinzukamen.

Diese Chronologie ist wichtig, weil sie entscheidend für die heutigen Strukturen des sehr heterogenen BI-Markts ist. Denn das Spektrum der Anbieter erstreckt sich, um nur die wichtigsten zu nennen, von den erwähnten Reporting- und Analyse-Tool-Spezialisten Cognos und Business Objects über Hyperion Solutions und Crystal Decisions, die ursprünglich aus den Bereich Olap und Finanzsoftware kommen bis hin zu Firmen wie Informatica, die sich anfangs vor allem auf Lösungen zur Extraktion, Transformation und zum Laden (ETL) operativer Daten fokussiert hatten und sich inzwischen ebenfalls als BI-Vollsortimenter bezeichnen. Änliches gilt für früher reine Datawarehouse-Lieferanten à la SAS Institute oder die NCR-Division Teradata. Und natürlich hat man es in diesem Segment auch mit den Datenbankriesen IBM und Oracle sowie ERP-Anbietern wie SAP, Peoplesoft oder Baan zu tun.

Viele der Hersteller verbindet, dass sie sich heute unter Zuhilfenahme von Schlagwörtern wie Business-Performance-Management (BPM), Enterprise-Performance-Management (EPM) oder Corporate-Performance-Management (CPM) positionieren. Zumindest Letzteres wurde von Gartner kreiert und soll implizieren, dass BI heutzutage mehr ist als reine Software, nämlich ein durchgängiger Prozess zur Unternehmenssteuerung. Dahinter steckt natürlich die Notwendigkeit, dass sich gerade in Krisenzeiten IT-Investitionen schneller rechnen und einen Mehrwert bieten müssen. Gleichzeitig suggerieren die Marketiers (und Gartner), dass BI unter dem CPM-Ansatz nun endlich in der Lage ist, alle Daten aus unterschiedlichsten Quellen zusammenzuführen, sie zu konsolidieren und in entscheidungsrelevante Informationen zu überführen. Das postulierte bereits der Data-Warehouse-Ansatz alter Prägung. Heute geht es aber auch darum, Planung und Budgets kurzfristig mit den operativen Ergebnissen abgleichen zu können.

Doch die BI-Anbieter unterschiedlichster Couleur segeln nicht nur unter der viel zitierten "RoI"- und "Integrations"-Flagge. Es gibt inzwischen auch noch andere Gründe für das Management in Unternehmen, sich für das Thema zu interessieren. Carsten Bange, Geschäftsführer des in Würzburg ansässigen Business Application Research Center (Barc) formuliert dies so: "Der BI-Markt hat 40 Jahre auf seinen Durchbruch warten müssen." Diese Aussage münzt der Kenner der BI-Szene allerdings nicht auf die geschilderten softwarestrategischen Defizite, sondern auf zum Teil dramatische Veränderungen im Wirtschafts- und Unternehmensrecht. Regelungen und Instrumente wie Basel II, Corporate Governance, KonTraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich) oder Balanced Scorecard sorgen dafür, dass Konzerne heute mehr und zeitnaher berichten müssen. Konkret: Wenn Vorstandsvorsitzende beziehungsweise Finanzvorstände zum Teil persönlich für extern berichtete Daten haften, sollten sie zumindest dafür Sorge tragen, dass ihnen nicht Fahrlässigkeit unterstellt werden kann. Bezogen auf die IT heißt dies für Bange, dass das Management "wenigstens nachweisen muss, dass es sich um die Systeme gekümmert hat".

Dass vor diesem Hintergrund Begriffe wie CPM gut in die Landschaft passen, versteht sich von selbst. Allerdings geht es nicht nur um das Controlling, sondern auch um andere Disziplinen wie Verkauf, Marketing und Personalwesen. Überträgt man das Credo dessen, was BI heute leisten muss, wieder auf die reine Produktebene, spricht man von End-to-End-Lösungen respektive ganzheitlichen BI-Suites. Mit anderen Worten: Neben dem vorwiegend Management-orientierten CPM-Ansatz und dessen deutlich stärkerer Planungskomponente geht es um durchgängige Systeme, die die Anwenderwerkzeuge zum Reporting und zur Analyse, die multidimensionale Aufbereitung von Daten (Olap), Data Warehouses und Programme zur Datenintegration (ETL) sowie Tools zur Transaktionsabwicklung quasi im Paket anbieten.

Aus Tools sollen Plattformen werden

Nicht umsonst wollen nahezu alle einschlägigen Anbieter in der BI-Szene ihre Tools zu entsprechenden Plattformen zusammenfassen - so weit dies mangels Masse möglich ist. Denn der ganzheitliche Ansatz, den die Marketiers vorbeten, lässt sich im Einzelfall oft nur schwer realisieren, zu unterschiedlich sind produkthistorische Herkunft und damit nach wie vor die Spezialisierung der einzelnen Hersteller. Konsequenz dieser Entwicklung ist eine immer stärker zu beobachtende Marktkonsolidierung, sei es durch Zukäufe oder in Form von Kooperationen, mit deren Hilfe einige BI-Anbieter unter dem Deckmantel eines "One-Stop-Shoppings" ihren Kunden indirekt weiterhin den altgewohnten Best-of-Breed-Gedanken servieren. So schluckte beispielsweise Business Objects Mitte 2002 die ETL-Programmierschmiede Acta Technology, Anfang dieses Jahres übernahm Cognos die auf Analyse- und Planungssoftware fokussierte US-Company Adaytum. Anfang April wartete Cognos zudem mit der Ankündigung auf, zusammen mit IBM komplette (im Wesentlichen auf der "DB2"-Plattform von Big Blue basierende) branchenspezifische BI-Suites entwickeln und vermarkten zu wollen - ein Feld, das Big Blue vorher mit Cognos-Wettbewerber Business Objects beackert hatte. Kooperationen meldeten in den letzten Tagen auch der EAI-Anbieter Webmethods und Informatica beziehungsweise Teradata und Business Objects.

Marktkonsolidierung ante portas?

Eine Bereinigung der BI-Szene könnte sich auch noch in anderer Hinsicht ergeben. Schließlich haben nicht nur IBM und Oracle, sondern auch ERP-Primus SAP dieses lukrative Marktsegment entdeckt. Und Microsoft. Bezeichnend für den Respekt, den der Gates-Company zumindestens Analysten zollten, war der Umstand, dass Mitte Februar die Aktienkurse von BI-Spezialisten wie Cognos, Business Objects und Microstrategy vorübergehend auf Talfahrt gingen, als Microsoft für den Nachfolger des SQL Servers "Yukon" eine integrierte Reporting-Engine ankündigte. Den Walldorfern, die ihr "Business Information Warehouse" im Rahmen von Mysap.com vermarkten, traut man ohnehin einiges in der BI-Arena zu. Zwar weist die SAP derzeit noch nicht wie bei ihren SCM- und CRM-Modulen die spezifischen Lizenzumsätze aus, Insider wollen jedoch von weltweit rund 6000 zumindest vorinstallierten "SAP-BW"-Systemen wissen. Viele Beobachter erwarten daher mittelfristig ein Shakeout unter den reinen BI-Anbietern, von denen einige schon heute, etwa Brio oder Sagent, zu kämpfen haben. Auch BI-Experte Bange sieht einen Mehrfrontenkrieg, auf den sich Cognos & Co. einstellen müssen: "Vor allem Microsoft und SAP besitzen durch ihre breite Kundenbasis einen sehr guten Marktzugang. Wenn man dann noch den generellen Trend bei den Anwendern in Richtung Konsolidierung berücksichtigt, dürfte die weitere Entwicklung spannend werden."

CW und BARC laden ein

Data-Warehouse-"Check"

Data-Warehouse-Lösungen bilden den Kern für analytische Anwendungen des Enterprise Performance Management. Neue Anwendungsgebiete lassen die Bedeutung von Softwarelösungen für die Integration, Speicherung und Aufbereitung von Daten weiter wachsen. Doch die Technik ist komplex, das Investitionsrisiko hoch. Die CW und das Business Application Research Center (BARC) in Würzburg haben deshalb die Veranstaltungsreihe "Data-Warehouse-Lösungen im direkten Vergleich" ins Leben gerufen. Sie soll helfen, die Lösungsangebote führender Anbieter besser bewerten zu können. Veranstaltungsorte sind Hamburg (25.6.03), Düsseldorf (3.7.03) und Stuttgart (9.7. 03). Der Unkostenbeitrag der ganztägigen Veranstaltung beträgt 150 Euro. Anmeldung und weitere Auskünfte bei Herrn Keller unter 0931/8806510 oder unter 0931/88065128 (Fax).

Noch Ruhe an der BI-Front

Auch bei ihren jüngsten Quartalszahlen zeigten die meisten BI-Anbieter kaum Schwächen. Während Cognos bereits Anfang April für das vierte Quartal und das am 28. Februar abgeschlossene komplette Geschäftsjahr 2002/03 Rekordumsätze von 163,7 beziehungsweise 551 Millionen Dollar bei einem Nettoprofit von 29,6 respektive 73,1 Millionen Dollar ausgewiesen hat, zog Wettbewerber Business Objects nun nach. Das Unternehmen, das sein Geschäftsjahr 2002 (Ende: 31. Dezember) mit einer gegenüber dem Vorjahr neunprozentigen Steigerung der Einnahmen auf 454,8 Millionen Dollar und einem Gewinn nach Steuern von 40,6 Millionen Dollar abgeschlossen hatte, meldete nun für das erste Quartal 2003 einen Umsatz von 118,5 Millionen Dollar, zehn Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dabei ging jedoch der Nettogewinn von 11,0 auf 8,8 Millionen Dollar zurück.

Bernard Liautaud, Chairman und CEO der französisch-US-amerikanischen Company, musste in der zurückliegenden Berichtsperiode zudem einen rund elfprozentigen Rückgang des Lizenzumsatzes mit den klassischen BI-Tools auf 56,2 Millionen Dollar hinnehmen. Über die Runden kam man, so Liautaud sinngemäß, nur mit einem guten Service- und Maintenance-Geschäft sowie dem florierenden Absatz neuer Analyseapplikationen. Man habe es mit "einem schwierigen ökonomischen und politischen Umfeld" zu tun gehabt, begründete der Business-Objects-Chef das für die eigenen Verhältnisse nicht überragende Ergebnis. Business Objects angesichts einer seit Anfang der 90er Jahre ungebrochenen Wachstumskurve eine Krise anzudichten wäre derzeit jedoch weit übertrieben.

Auch Hyperion Solutions konnte in seinem dritten Fiskalquartal 2003 (Ende: 31. März) eine weitere Umsatzsteigerung verzeichnen. Die Einnahmen kletterten gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode um sechs Prozent von 119,9 auf 126,5 Millionen Dollar, der Nettogewinn verbesserte sich von 3,08 auf 8,26 Millionen Dollar. Auf der Basis eines Neun-Monate-Abschlusses erhöhten sich die Umsätze von 356,1 auf 372,4 Millionen Dollar, der Ertrag nach Steuern von 8,7 auf 24,9 Millionen Dollar. Chairman und CEO Jeffrey Rodek sprach in einem offiziell verbreiteten Statement angesichts der weltweit sehr schwierigen Marktbedingungen von einem "soliden dritten Quartal".

Einbrüche beim Umsatz, wenn auch geringfügiger Natur, musste indes die auf Data-Warehouse-Plattformen spezialisierte NCR-Division Teradata hinnehmen, die im ersten Quartal 2003 mit 278 Millionen Dollar vier Prozent weniger Einnahmen verbuchen konnte als im Jahr zuvor. Dank einem guten Servicegeschäft und vor allem aufgrund drastischer Kosteneinsparungen verbesserte sich in der Berichtsperiode jedoch der operative Gewinn um fast 50 Prozent auf 31 Millionen Dollar.

Abb: Einsatzbereiche von BI

Noch korrespondiert das Marketing der Business-Intelligence-Anbieter nicht unbedingt mit der Realität bei den Anwendern. Quelle: Gartner