Wirtschaftliche Vorteile für den Anwender erschließen:Datenbanken und KI müssen künftig Hand in Hand arbeiten

02.10.1987

Auch in den Anwenderbetrieben haben Expertensysteme inzwischen bis zu einem gewissen Grad Fuß gefaßt. Denn gerade unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist es oft unerläßlich, das Wissen einiger weniger Fachleute einer größeren Anzahl von Mitarbeitern verfügbar zu machen. Speziell von der Verknüpfung wissensbasierter Systeme mit komplexen Datenbanken sind entscheidende Impulse zu erwarten.

Das weite Feld der Anwendungsmöglichkeiten von Expertensystemen ist heute noch gar nicht überschaubar. Sicher ist nur, daß sie in den nächsten Jahren in den unterschiedlichsten Aufgabenfeldern eingesetzt werden können. Ein Beispiel für den praktischen Einsatz eines solchen Expertensystems zeigen die Ford-Werke im Bereich der Getriebewartung. Weitere Einsatzmöglichkeiten liegen in der medizinischen Diagnostik oder bei der häufigen Fragestellung nach logisch bildbaren, aber nicht vorhersehbaren Varianten bei der Einzelfertigung und im Anlagen- und Stahlbau.

Auch kleinere Betriebe kommen als User in Frage

Besonders kleinere und mittelständische Unternehmen stehen vor der Frage, ob ein Expertensystem innerhalb eines wirtschaftlich tragbaren Rahmens eingesetzt werden kann. Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit einer solchen Software stehen nicht in einem proportionalen Verhältnis zur Größe - und damit verbunden zur Investitionskraft - eines Unternehmens. Oft ist es genau umgekehrt: Kleinere Unternehmen mit hoher Spezialisierung haben komplexere Fragestellungen als Großbetriebe.

Dedizierte Expertensysteme, solche Expertensysteme also, die auf ganz bestimmte Fragestellungen exakt zugeschnitten sind, geraten aufgrund der hohen individuellen Entwicklungskosten meist zu teuer. Die Entwicklung eines solchen Expertensystems verschlingt oft mehr Geld, als entsprechende Experten auf Jahre hinaus kosten. Der Effekt, schneller und durch einen "Laien" an Expertenwissen zu kommen, verpufft folglich im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit .

Eine Lösung bieten sogenannte offene Expertensysteme, die - verbunden mit einer relationalen Datenbank - viele Arten von Aufgabenstellungen verarbeiten können. Entscheidend für das Ergebnis ist hier das in den Datenbanken repräsentierte Expertenwissen, Bei der Anlagenprojektierung können das zum Beispiel Konstruktionsstücklisten, bei der Partnervermittlung entsprechende Partner-Eigenschaften sein.

Je mächtiger die Struktur angelegt ist, in die der Experte sein Wissen "packt" desto mehr verliert der Einwand an Bedeutung, Individuallösungen seien Standardlösungen vorzuziehen. Auch wenn dedizierte Systeme meist für ihre einzelne Aufgabenstellung besser geeignet sind, ist es von der Kostenseite aus betrachtet kaum möglich, einen Funktionsumfang zu realisieren, den gute Standardlösungen heute bieten.

Ein "Offenes Expertensystem", das dieses Prädikat zu Recht trägt, muß flexibel jede Art der Fragestellung bearbeiten können. Damit ist der Katalog der Anforderungen jedoch nur angeschnitten. Der Weg zur Entscheidung von hochkomplexen Fragestellungen muß die Gedankenstrukturen und Arbeitsweisen eines "echten" Experten simulieren.

Da auf dem Weg zum Ergebnis in den meisten Fällen eine sehr große Menge an Daten realtime verarbeitet werden muß, sind Geschwindigkeit und Kapazität des Expertensystems als Software-Komponente und der damit verbundenen Hardware von großer Bedeutung. Lösungsansätze mit der statischen Struktur hierarchischer Datenbanken sind naturgemäß aufgrund der mangelnden Flexibilität problematisch. Überhaupt erweisen sich dateiorientierte Datenabbildungen für den Aufbau eines Expertensystems als nur unzureichend geeignet. Dagegen bieten relationale Datenbanksysteme hier weitreichende Möglichkeiten, auch andere Grundforderungen an ein offenes Expertensystem zu erfüllen.

Dazu gehört eine Erklärungskomponente: Das System muß in der Lage sein, jederzeit über jede getroffene Entscheidung und alle Bearbeitungspfade Auskunft zu geben. Automatisch getroffene Entscheidungen, die das Ergebnis beeinflussen, sollten an jedem Entscheidungsknoten manuell revidiert werden können. Ein weiteres Kennzeichen eines Expertensystems ist die Wissenerwerbskomponente, die selbst mit lückenhaften und unvollständigen Ausgangsdaten einen Inferenzprozeß einleiten und durchführen kann. Hier ist es Aufgabe des Systems, sich alle notwendigen Informationen im Dialog mit dem Anwender zu beschaffen. Ausgangs- und Endpunkte des Inferenzprozesses sind nicht bekannt. Wie bei "echten" Expertenbearbeitungen determiniert erst die konkrete Problemstellung die Datenstrukturen.

Der Aufbau der Datenbasis muß diesem hochkomplexen Anforderungsspektrum entsprechen. Wie dieser Aufbau aussehen kann, zeigt Abbildung 1. Grundsätzlich muß ein offenes Expertensystem gleichzeitig zwei unterschiedliche Bereiche von Daten verarbeiten, nämlich statische und dynamische Datensegmente. Entsprechend gliedert sich die Datenbasis in einen statischen und einen dynamischen Datenbankbereich.

Statische Daten (Regeln, Strukturen, Merkmale) sind Grund- oder Stamminformationen, auf die das Anwendungssystem aufbaut, wenn Vorgänge bearbeitet werden (siehe Abbildung 2). Dynamische Daten sind Daten, die je nach Anwendungsgebiet die definierten Ausprägungen enthalten. Zum Bereich der dynamischen Daten gehören auch das Archiv, das Auskunftssystem (Logging) und die Ergebnisdatenbank.

Alle Bereiche werden durch ein Inferenzprogramm koordiniert. Dieses Inferenzprogramm enthält selbst kein Expertenwissen, sondern verarbeitet im Dialog eingehende Fragestellungen. Die statische Datenbank "S1" (siehe Abbildung 1) enthält die Strukturen oder Ablaufreihenfolgen, nach denen das System Entscheidungen treffen wird. Diese Strukturen sind ein wesentlicher Faktor für die Leistungsfähigkeit des Systems. Ob eine oder mehrere Strukturen verwendet werden, hängt von der Art der Gliederung und der Strukturtiefe ab. Die Strukturierung wiederum ist abhängig von der Menge der abgebildeten Fälle.

Strukturen können vom System selbst nicht gebildet werden. Hier entscheidet der Experte über den Aufbau und den Ablauf innerhalb der Struktur. Dabei ist es die Aufgabe des Experten, mögliche und bekannte Start- und Endpunkte zu definieren, logische Ablaufreihenfolgen festzulegen, Top-down-Prozesse zu strukturieren und nichtentscheidbare Knoten den entsprechenden Regeleinflüssen zu unterwerfen.

Es muß möglich sein, Strukturen an jeder Stelle zu unterbrechen beziehungsweise mit der Verarbeitung an jedem Punkt aufzusetzen. Für die logische Abfolge ist es dabei aber wichtig, daß Vorgänge nur methodisch von oben nach unter (Top-down) erfolgen können. Es wäre schließlich wenig sinnvoll, in eine Garage zu fahren, wenn nicht zuvor das Tor geöffnet wurde.

Eine weitere statische Datenbank (S2) enthält Regeln, die zur Entscheidungsfindung herangezogen werden. Ob das System überhaupt - und wenn ja, mit welcher Qualität - Entscheidungen treffen kann, hängt davon ab, ob das Inferenzprogramm für anstehende Entscheidungen Regeln hinzuziehen kann. Die Qualität der Entscheidung ist damit abhängig von der Anzahl der relevanten Regeln innerhalb des Systems.

Ein offenes Expertensystem kann zu Beginn auch ohne Regeln starten, wobei es hier Aufgabe des Anwenders ist, dem "regellosen" Expertensystem die Entscheidungen abzunehmen. Mit der Antwort des Experten an den Entscheidungsknoten lernt das System, so daß getroffene Entscheidungen mittels dieser Regeln Bestandteil der Datenbank werden, um später gegebenenfalls automatisch nachvollziehbar zu sein. Damit man von einem offenen Expertensystem reden kann, müssen die Regeln innerhalb von Pools "frei vagabundieren" können, so daß für jede Art der Fragestellung abhängig vom Entscheidungsknoten klassifiziert zugegriffen werden kann.

Entscheidungsknoten bauen dabei auf ein festes Regelwerk auf. Obgleich ein offenes Expertensystem in der Lage sein muß, neue Regeln zu integrieren, fehlt die Möglichkeit, neue Regeln aus einem laufenden Inferenzprozeß assoziativ abzuleiten. Dies kann künftig nur mit Künstlicher Intelligenz (KI) gelöst werden.

Für viele ist Künstliche Intelligenz ein unabdingbarer Bestandteil eines Offenen Expertensystems. Der systemtheoretische Begriff der Künstlichen Intelligenz und der pragmatische Einsatz von Expertensystemen muß aus zwei Gründen gesondert betrachtet werden: Zum einen existieren nur ansatzweise klare Vorstellungen und Definitionen darüber, was Kl ist und was sie leisten kann. Es gibt zwar Kl-Programme, diese sind aber heute vorwiegend in der theoretischen Wissenschaft in Erprobung. Angesichts des Entwicklungsstandes muß hier auf künftige Entwicklungen verwiesen werden. Ein weiterer Grund liegt darin, daß es heute Expertensysteme gibt, die ohne Künstliche Intelligenz durchaus gute Ergebnisse liefern.

Statische und dynamische Datenbanken ergänzen sich

Die dritte statische Datenbank (S3) enthält Strukturmerkmale (Ausprägungen). Die durch das System getroffenen Entscheidungen hängen vom Ergebnis der Verknüpfung von Regeln und Ausprägungen ab. Dabei werden zwei Typen von Ausprägungen unterschieden: Startausprägungen als Einflußgrößen für den Fragevorgang und Archivausprägungen, die durch Analogieverfahren als Vergleichsgrößen herangezogen werden. Archivausprägungen sind im System integriertes Expertenwissen oder aus Erfahrungen gewonnene Erkenntnisse. Abgebildet werden diese Merkmale mit ihren Ausprägungen durch ein offenes Klassifizierungssystem.

Der Bereich der dynamischen Daten wird im wesentlichen mit Hilfe von vier Datenbanken abgebildet Datenbank D1 enthält Vorgangsdeterminanten, die als beeinflussende Größen oder Faktoren den Prozeßablauf bestimmen. Diese Vorgangsausprägungen müssen dem System zusätzlich zur Grundfragestellung mitgeteilt werden. Man unterscheidet Muß- und Kann-, lokale und globale Ausprägungen. Wenn Muß-Ausprägungen fehlen, werden sie realtime vom System im Dialog abgefragt, um die Regeln für eine Entscheidung heranziehen zu können.

Ähnlich dem menschlichen Langzeitgedächtnis muß ein offenes Expertensystem über ein Archiv verfügen. Diese Wissenserwerbskomponente ist Bestandteil der zweiten dynamischen Datenbank D2. Als Archiv enthält sie die Summe der Erfahrungen aller bisher mit dem System bearbeiteten Vorgänge - und damit das Wissen der Experten.

Zusammen mit den aktuellen Werten des Vorgangs versucht das System, anhand von Analogien Schlußfolgerungen für die aktuelle Fragestellung herbeizuführen. Der Benutzer ist nur noch dann aufgefordert, einzugreifen, wenn keine Analogie und keine verwendbare Regel zur Entscheidung führt. Dies kann bis hin zum vollautomatischen Inferenzprozeß reichen.

Die Erklärungskomponente (Abbildung 1, dynamische Datenbank D3) sorgt für Transparenz bei der Entscheidungsfindung; eine Voraussetzung, die jedes Expertensystem erfüllen muß. Dabei werden alle verwendeten Regeln und aus dem Archiv übernommenen Erfahrungen zur Auskunft bereitgehalten. Jeder Entscheidungspfad kann so innerhalb der gesamten Struktur lückenlos zurückverfolgt werden. Entscheidungen des Systems können an jedem Entscheidungsknoten nachträglich manuell geändert werden, so daß stets Revisionen möglich sind.

Der Einsatz von Logging oder Journalverfahren als Baustein für die Erklärungskomponente hat bewirkt, daß bei Systemausfällen während des Inferenzprozesses innerhalb kürzester Zeit der Ausgangszustand mit einem automatischen Wiederanlaufverfahren hergestellt werden kann. Dem Experten gehen auf diese Weise keine Ergebnisse verloren.

Die gebildeten Ergebnisdaten werden schließlich in einer Ergebnisdatenbank D4 abgebildet. Dies ist dann sinnvoll, wenn mit diesen Ergebnissen weitergearbeitet wird. So kann zum Beispiel ein vom Expertensystem kreiertes logisch bildbares, aber nicht vorhersehbares Produkt in Form einer Stückliste an CAD- oder PPS-Anwendungen weitergeleitet werden, oder eine getroffene Krebsdiagnose wird an eine Zentraldatenbank übermittelt.

Mit einer relationalen Datenbank die in ihrem Aufbau und ihren Komponenten diesem High-Level-Design entspricht, ist es möglich, ohne Kompromisse an Qualität und Geschwindigkeit ein offenes Expertensystem aufzubauen, das durch sein weites Einsatzspektrum auch für Klein- und Mittelbetriebe in den Bereich der praktischen Anwendung tritt.