Wird die Informatik zu einem Innovationshemmnis?

06.01.1989

Wolfgang Dernbach, Geschäftsführer der Diebold Deutschland GmbH, Frankfurt

In den Vorstandsetagen macht sich zunehmend Unbehagen über die Entwicklung der Informatik-Kosten breit. Verstärkt wird dieses Unbehagen noch durch die Erkenntnis, daß die Entwicklungszeiten für DV-Projekte sich immer mehr verlängern. Zu allem Übel ist auch meist der Gegenwert der höheren Kosten nicht erkennbar.

Zweifel hinsichtlich des Einflusses der Informatik auf die Wettbewerbsfähigkeit wurden spätestens genährt, nachdem die Ergebnisse einer US-Untersuchung bekannt wurden, denen zufolge kein Zusammenhang zwischen den Ausgaben für Informatik und der Umsatzrendite besteht. Auch in Diebold-Projekten wurden ähnliche Erkenntnisse gewonnen: Zwei Schwesterfirmen, die das gleiche Produktprogramm in zwei unterschiedlichen Industrieländern herstellen und vermarkten, geben 1,6 Prozent und 3,3 Prozent vom Umsatz für ihre Datenverarbeitung aus. Sowohl die Marktposition als auch die Umsatzrendite unterscheiden sich jedoch nur unwesentlich.

Die Skepsis im Top-Management ist also nicht ganz unberechtigt. Ob Investitionen in die Informatik durch Kosteneinsparungen in anderen Bereichen kompensiert werden, oder ob es gelingt, Marktanteile dazu zu gewinnen und damit Nutzen aus höherem Umsatzvolumen zu erzielen, ist nicht immer zu erkennen. Außer hohen Investitionen in Software und in die technische Infrastruktur sind dazu eine grundlegende organisatorische Anpassung bis ins mittlere Management Voraussetzung. Mit der Einsparung von Buchhaltern ist es dann nicht mehr getan.

Diese Auffassung, daß organisatorische Anpassungen in den Fachabteilungen Grundvoraussetzung sind für eine effiziente Nutzung der Informatik, wird in vielen Informatik-Abteilungen ohne Zögern geteilt. Jedoch ist die Frage zu stellen, ob das organisatorische Beharrungsvermögen, das den "Nutzer"-Abteilungen vorgeworfen wird, nicht in gleicher Weise für die Informatik-Abteilung gilt.

Ist die Art und Weise, wie Datenverarbeitung vor zehn Jahren betrieben wurde, überhaupt für die zukünftige komplexe technische Umwelt mit hochintegrierter Software, Datenbanken und Terminals an allen Arbeitsplätzen geeignet? Sind DV-Abteilungen auf diese Entwicklung hinreichend vorbereitet? Oder erfolgt nicht auch in der Informatik die Anpassung an veränderte Anforderungen zu langsam? Wird die Informatik nicht dadurch selbst zu einem Innovationshemmnis?

Tatsächlich wird in vielen Unternehmen die Datenverarbeitung noch genau so gemanagt wie zu Zeiten, als Abrechnungssysteme für administrative Aufgaben ausreichten, die Kosten zu senken und damit das Einspielen investierter Mittel sicherzustellen. Noch immer gründen sich DV-Konzepte ausschließlich auf Analysen, bei denen Fachabteilungen danach abgefragt werden, welche Anforderungen sie an die Informatik stellen. Das Resultat sind meist mehr oder weniger isolierte Anwendungen.

Solche Suboptimierungen auf der Basis von einzelnen Abteilungen müssen abgelöst werden durch eine Optimierung von Prozeßketten oder Managementsystemen, bei denen abteilungsübergreifende Lösungen im Vordergrund stehen. Damit verbunden ist eine veränderte Betrachtung der Organisation: Im Vordergrund steht nicht länger die Optimierung einzelner Funktionen, als vielmehr die Reduzierung der Durchlaufzeiten, beispielsweise für die Auftragsabwicklung oder den Fertigungsdurchlauf, und damit die Optimierung einer Prozeßkette. Da kein Unternehmen Datenverarbeitung auf der "grünen Wiese" aufbaut, sondern vorhandene Anwendungen durch verbesserte ersetzt, ist eine parallele Betrachtung von "Prozeßkettenorganisation" und den damit korrespondierenden DV-Programmen erforderlich. Die Wirtschaftlichkeitsberechnung von Investitionen in die Informatik baut damit auf wertanalytischen Ansätzen auf - allerdings nicht bezogen auf einzelne Abteilungen wie bei der Gemeinkosten-Wertanalyse, sondern im Hinblick auf Prozeßketten.

Als ein weiteres Hindernis für verbesserte DV-Lösungen ist die nach wie vor verbreitete projektorientierte Planung anzusehen. Sie verzichtet auf eine Mittelfristplanung, die diese Bezeichnung verdient und Prioritätsfestlegungen nach einem Projektportfolio auf Basis von Erfolgsfaktoren zuläßt. Ohne eine solche Mittelfristplanung können jedoch die Investitionen nicht auf die Projekte konzentriert werden, die im Hinblick auf die Stärkung der Wettbewerbskraft die größten Vorteile bringen. Zwar spricht fast jede DV-Abteilung von einem Mittelfristplan, der vorhanden sei; doch handelt es sich dabei meist um eine Zusammenstellung der Hardware, die in den nächsten Jahren installiert werden soll.

Ein noch stärkeres Festhalten an Regelungen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, ist bei der Organisation der Informatik zu erkennen. Nach wie vor existieren vor allem in Industrieunternehmen mehrere DV-Abteilungen, die alle sowohl für die Entwicklung von Anwendungssystemen als auch für die technische Infrastruktur sowie für die Verwaltung der Daten verantwortlich sind. Diese Vielfalt ist durch den PC-Boom noch erheblich angewachsen. Daß vor dem Hintergrund einer solchen Entwicklung allein schon durch die Vernetzung unterschiedlicher Hardware, die Betreuung einer Vielzahl von Betriebssystemen, Datenbanksystemen und Entwicklungstools oder auch durch die Einigung auf bestimmte Datenschnitt. stellen die Kosten in die Höhe getrieben werden, ist offensichtlich. Daß die Planung der Informatik einen geordneten Planungsprozeß, eine konzeptionelle 5-6-Jahres-Perspektive (Rahmenkonzept) und die Integration in die betriebliche Budgetierung erfordert - die. se Erkenntnis hat sich bislang selten durchgesetzt.

Natürlich ist auch in Zukunft eine an den Fachproblemen orientierte Organisation der Informatik erforderlich. Das gilt vor allem für die Entwicklung der Anwendungssoftware, die entsprechend fachliche Kenntnisse voraussetzt. Zweifel sind jedoch angebracht, ob nun gleich mehrere Abteilungen sich um die Beschaffung von Hardware, um Datenverwaltung, um die Netze oder ähnliche Fragen kümmern müssen, die für das gesamte Unternehmen von Bedeutung sind.

Das Unbehagen der Unternehmensleitungen über die Kostenentwicklung ist vor diesem Hintergrund also nicht ganz unberechtigt. Haben sich die DV-Abteilungen ausreichend vor dem Hintergrund der Veränderung der gesamten technischen Umwelt und der Anforderungen angepaßt? Viele Anzeichen sprechen dafür, daß der Anpassungsprozeß zwar von den Fachbereichen erwartet wird, von der DV selber aber erst in Ansätzen vollzogen ist. Die Frage nach der Innovationsbremse Informatik wird daher zu Recht gestellt. Eine Renovierung an "Haupt und Gliedern" scheint angebracht.