"Wir zeigen in klaren Worten den Mehrwert auf"

08.10.1999
Für internationale Konzerne bedeutet Informationstechnik mehr als das Betreiben von Computern, Netzwerken und Software. Klaus Muehleck, Chief Information Officer für den Automobilbereich des Daimler-Chrysler-Konzerns, berichtet im Gespräch mit CW-Redakteur Hermann Gfaller, wie er und seine Mitarbeiter weltweit den geschäftlichen Erfolg auf allen Ebenen von der Fachabteilung bis zum Vorstand mitprägen.

CW: Die Datenverarbeitung muß heute zum Unternehmenserfolg beitragen. Wie kommen Sie mit dieser Anforderung zurecht?

Muehleck: Eine meiner Aufgaben ist es, das Selbstverständnis aller IT-Mitarbeiter zu verändern. Die Datenverarbeiter gibt es zwar auch in Zukunft, aber ihre Rolle wandelt sich zu der des Informa- tions-Managers. Es geht nicht mehr nur darum, Rechenzentren zu betreiben und PCs zu installieren, sondern wir bieten den Geschäftsbereichen Hilfe, um den Unternehmenserfolg zu steigern. Dazu gehört die Unterstützung für Organisationsentwicklung und Prozeßgestaltung bis hin zur Beratung des Vorstands hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeiten von Informationstechniken.

CW: Sie haben als CIO Automotive viel mit dem Vorstand zu tun. Wird Ihr Job dadurch einfacher oder schwieriger?

Muehleck: Als besonders positiv empfinde ich, daß die konsequente Orientierung am Geschäft uns jeden Tag Erfolgserlebnisse beschert, weil wir für die Unternehmensbereiche wertvolle Techniken liefern können, die zum Geschäftserfolg beitragen. Negativ ist die fast unüberschaubare Menge an Informationstechniken. Für uns ist es nicht immer sinnvoll, sich an allen Innovationszyklen der IT-Industrie zu orientieren. Diese passen oft nicht mehr zu unseren Investitionszyklen. Schwierig ist es auch, die für uns wichtigen Techniken aus denen herauszufiltern, die lediglich der Computerindustrie nützen.

CW: Werden Sie im Vorstand und in den Fachbereichen verstanden?

Muehleck: Ich spreche nicht über IEEE 802.3 und über 400-Megahertz-Prozessoren, sondern versuche, die Sprache der Entscheidungsträger zu treffen. Wir zeigen in klaren Worten den Mehrwert auf, den IT für die einzelnen Geschäftsfelder und Prozeßketten bietet.

CW: Verstehen Sie sich als Dienstleister für die nichttechnischen Entscheidungsträger, oder sehen Sie sich mehr als Treiber neuer Entwicklungen?

Muehleck: Der Rollenwandel des IT-Mitarbeiters weg vom reinen Fachmann hin zum interdisziplinär denkenden Partner für die Geschäftsbereiche ist im Fluß. Es geschieht bei uns immer seltener, daß wir als Techniker gesehen werden, die nur die IT-Infrastruktur am Laufen halten sollen.

CW: Sie befreien sich also langsam aus der passiven Rolle des Dienstleisters?

Muehleck: Wir sitzen in den Gremien zur Prozeßgestaltung mit am Tisch und können daher auch Entwicklungen treiben. Wir bringen zum Beispiel Vorschläge ein, wie etwa Fabriken günstiger zu steuern sind. Einige Aktivitäten reichen über die Firmengrenzen hinaus.

CW: Welche?

Muehleck: Unsere Spezialisten aus dem IT-Bereich und den Fachabteilungen definieren zum Beispiel mit SAP zusammen Grundfunktionen der Automobilbranche.

CW: SAP wirbt für die Idee, daß diese Industrieprozesse über das SAP-Portal Mysap.com branchenweit, also auch von Konkurrenten, genutzt werden. Was halten Sie davon?

Muehleck: Unsere Kernprozesse wie Produktentstehung, Organisation von Zulieferketten und Auftragsentwicklung gestalten wir selbst. Das Anpassen von Funktionen an diesen Prozeßketten entlang ist ein Know-how, das wir nicht nach außen geben. Die Definition einzelner Grundfunktionen kann und sollte unternehmensübergreifend geschehen.

CW: Das Vorbild ist der PC-Konfektionär Dell, der nur noch die Logistik für den Zusammenbau steuert und nicht selbst fertigt.

Muehleck: Mit solchen Konzepten arbeitet Daimler-Chrysler schon lange. Die Lagerhaltung für Motoren und Getriebe ist durch Just-in-time-Abrufe durch die Montage in Sindelfingen abgelöst worden. Auch andere Module werden vormontiert und direkt ans Band geliefert. Wir koordinieren zudem die Lastwagen der Zulieferer, damit die Teile in der richtigen Reihenfolge kommen. Hier sind wir ziemlich weit.

CW: Inwieweit geht diese Organisation auf die Initiative des IT-Bereichs zurück?

Muehleck: Angestoßen wurde die Gestaltung des Zulieferverfahrens durch unsere internen Kunden etwa aus Logistik und Einkauf. Aber ohne moderne IT- und Kommunikationsverfahren wie Odette oder Edifact wären sie nicht möglich. Unsere Zulieferer bekommen heute eine Planungsvorschau bis in unsere Transaktionsebene und können dementsprechend kalkulieren.

CW: In den USA ist der Gedanke in Mode, daß Firmen einer Branche füreinander Prozesse quasi als Dienstleister übernehmen sollen. Könnten Sie sich vorstellen, Aufgaben beim Automobilbau gegen Entgelt für ein anderes Unternehmen zu erledigen?

Muehleck: Nein. Wir werden nicht unsere Prozesse, die wir für uns optimiert haben, anderen zur Verfügung stellen.

CW: Wie weit geht dann Ihr branchenweites Engagement mit der SAP?

Muehleck: Wir machen Mustervorgaben, sogenannte Templates für Grundfunktionen. Im Designbereich erstellen wir solche Grundmuster für die CAD/CAM-Software "Catia", im Planungs- und ERP-Umfeld (ERP = Enterprise Resource Planning, Anm. d. Red.) für die SAP-Produkte, und im Vertrieb existieren beispielsweise Java-Templates. Auf ähnliche Weise ist eine ENX genannte Kommunikationsplattform zwischen den europäischen Unternehmen der Automobilindustrie entstanden. An der Verbesserung unserer Kernprozesse arbeiten wir jedoch ausschließlich intern.

CW: Kann man klar aufzeigen, von wo ab Prozesse zum Unternehmenskern gehören?

Muehleck: Es gibt grundlegende Dinge wie die Aufstellung einer Stückliste, die alle Hersteller beschäftigt. Außerdem benötigen wir IT-Plattformen, um miteinander und mit den Zulieferern zu kommunizieren. Sich in solchen Bereichen einen eigenen Standard zu definieren bringt keinen Vorteil. Hier arbeiten wir branchenweit zusammen.

Die Organisation der Zulieferkette aber, innerhalb des Unternehmens und mit den Zulieferern, ist eine andere Sache. Solche Prozesse gestalten wir selbst. Weitere Abläufe, die wir als wichtiges Wettbewerbsinstrument sehen, sind die Auftragsentwicklung und die Produktentstehung. Aber auch hier gibt es einzelne Bereiche wie Engineering-Data-Management oder bestimmte Catia-Funktionen, über die wir mit Wettbewerbern reden.

CW: Die Diskussion um die intensivere und flexiblere Zusammenarbeit innerhalb einer Branche wird stark von den Möglichkeiten des Internet genährt. Inwieweit spielt dieses Medium bei Ihnen eine Rolle?

Muehleck: Das Internet erweitert die Funktionalität unserer Systeme. So hat sich EDI zum Internet-fähigen ENX weiterentwickelt. Ein weiteres Beispiel ist die Gestaltung der Zulieferkette mit Hilfe von Internet-Werkzeugen. Wir wissen heute genau, wo sich ein Lkw und damit die Ladung gerade aufhält.

CW: Zurück zur Rolle der IT...

Muehleck: Die IT unterstützt die internen Prozesse, die Anbindung der Zulieferer, und sie bringt die Flexibilität, um die verschiedenen Arbeitsmodelle zu unterstützen.

CW: Wie sieht das organisatorisch aus?

Muehleck: Wichtig ist, daß wir sehr früh in die Projekte unserer internen Kunden eingebunden sind. Auf diese Weise wandeln wir uns vom reinen Umsetzer zum Mitgestalter.

CW: Das bedeutet, daß Ihre Mitarbeiter in den Fachabteilungen sitzen müssen.

Muehleck: Wir haben uns im Rahmen des Daimler-Chrysler-Mergers zu einer integrierenden IT-Organisation gewandelt. Praktisch leben wir das seit 1. Juli (siehe Abbildung "IT und die Fachbereiche").

CW: Was meinen Sie damit?

Muehleck: Es gibt eine IT-Infrastruktur, die sich durch das ganze Unternehmen zieht und das Fundament für die weiteren Prozesse bildet. Hier sorgt eine weltweite Organisation dafür, daß die für Netzwerke, Client-Server-Systeme, User-Support und so weiter geltenden Standards eingehalten werden. Zu ihnen gehören bei uns im Automotive-Bereich auch Basisanwendungen wie die Groupware Lotus Domino und das Office-Paket von Microsoft. Hinzu kommen unter dem Begriff Basic-Enablers Festlegungen, welche Dinge etwa mit SAP-Software, Peoplesoft oder Catia gemacht werden. Das sind Grundfunktionen, auf deren Basis die firmenspezifische Ausgestaltung der Kernprozesse erfolgt. Ebenfalls konzernweit funktionieren die Systeme für Finanzwesen, Controlling und Personal.

Auf dieser Infrastruktur setzt eine IT-Organisation auf, die sich an Geschäftsprozessen orientiert. Dazu gehören Produktentwicklung, Auftragsabwicklung, Produktionsplanung und Logistik. Zur Gestaltung dieser Abläufe steht der Fachabteilung für Beratung und Umsetzung jeweils ein Ansprechpartner aus der IT-Organisation zur Verfügung. Diese IT-Ansprechpartner gibt es für jeden Unternehmensbereich und für alle Kernprozesse.

CW: Verstehe ich richtig, daß Ihre über die Fachbereiche verteilten Mitarbeiter immer einem Bereichsleiter und einem IT-Leiter zugeordnet sind?

Muehleck: Ja.

CW: Wer entscheidet bei Streitfällen in einer solchen Matrix-Organisation?

Muehleck: Es gibt oft einen Zielkonflikt zwischen Kundenorientierung auf Geschäftsseite und dem Standardisierungsinteresse auf IT-Seite. Da setzen wir uns zusammen und suchen nach einer Lösung. Bisher haben wir immer eine gefunden. Das gilt besonders für die Prozeßseite, die sich permanent weiterentwickelt. Bei den Basissystemen hilft die Einigung auf eine konzernweite Infrastruktur.

CW: Ich kann nicht glauben, daß das so reibungslos geht. Je mehr Leute mitbestimmen, desto mehr Probleme gibt es doch in der Regel.

Muehleck: Über diesen Punkt sind wir hinweg. Wir bilden für bestimmte Themen Gruppen, in denen wir gemeinsam mit den Entscheidungsträgern Strategien erarbeiten. Darüber hinaus gibt es gemeinsame Workshops, und wir veranstalten Technologietage, eine Art interne Messen, auf denen wir IT und Geschäftsbereiche zusammenbringen.

CW: Ist es umgekehrt für Sie ein Problem, daß Vorstände und Bereichsleiter sich immer mehr IT-Know-how zutrauen und daher mit nicht immer realistischen Erwartungen zu Ihnen kommen?

Muehleck: Ich sehe das eher als Herausforderung. Es gibt immer mehr Menschen, die sich enorm viele IT-Kenntnisse angeeignet haben. Wir versuchen, deren Ideen einfließen zu lassen.

CW: Wie verändern Internet und Electronic Business ihre Abläufe?

Muehleck: Wir befassen uns an vielen Stellen im Unternehmen mit solchen Projekten. Für Vertrieb und Ersatzteilversorgung gibt es mit dem internen "Star Network" bereits Lösungen.

CW: Können Sie einen Kernprozeß nennen, der durch Internet-Techniken verändert wurde?

Muehleck: Unsere Prozesse werden ständig verändert, um im Wettbewerb vorne zu bleiben. Man kann hier nicht von einem Umbruch sprechen, eher von kontinuierlichen Verbesserungen. Konkrete Überlegungen und auch Pilotversuche gibt es für die elektronische Beschaffung. Außerdem haben wir eine Intranet-basierte Wettbewerber-Datenbank. Wir überlegen auch, ob es sinnvoll sein könnte, digitale Vertriebskanäle anzubieten, über die Kunden sich ihre Autos selbst konfigurieren und bestellen könnten.

CW: Ich kann mich an einen Daimler-Manager erinnern, der keine Preise ins Internet stellen wollte, weil das gleiche Auto in verschiedenen Ländern unterschiedlich teuer ist.

Muehleck: Wir bauen gerade am Internet-Auftritt des Vertriebs. Schon heute finden Sie dort gebrauchte Mercedes-Benz-Fahrzeuge mit Preisen und Ausstattungsmerkmalen. Nach und nach wird so die Vertriebsstruktur im Internet abgebildet. Die Veröffentlichung der Preise von Neufahrzeugen wird ebenfalls erwogen.

CW: Und was sagen Ihre Vertragshändler dazu, wenn Daimler-Chrysler an ihnen vorbei via Web verkauft?

Muehleck: Wir können ausschließen, daß Mercedes-Benz-Fahrzeuge künftig ganz ohne Händler verkauft werden. Die Händler sind für uns ein wichtiges Bindeglied zwischen der Marke und den Kunden. Das Internet bringt zudem auch den Händlern Vorteile.

CW: Welche?

Muehleck: Für sie ist es ein zusätzliches Medium, um die Kunden zu informieren und größere Zielgruppen zu erreichen.

CW: Der Merger von Daimler und Chrysler muß aus DV-technischer Sicht ein Riesenprojekt sein.

Muehleck: Es ist ein Glück, daß die Konzerne auch aus diesem Blickwinkel zusammenpassen. Wir haben im Entwicklungsbereich beide Catia genutzt und können daher schon jetzt Daten austauschen und über die wechselseitige Verwendung von Modulen nachdenken. Zudem verbinden uns SAP-Erfahrungen, wir arbeiten beide mit beim Personalwesen mit Peoplesoft beziehungsweise Paisy und vieles mehr.

CW: Bei Chrysler waren die Prozesse doch sicher anders organisiert als bei Daimler-Benz. Ist das nicht eine Quelle großer Schwierigkeiten bei der Integration?

Muehleck: Bis Ende des Jahres werden wir die auf die Informationstechnik bezogenen Merger-Aktivitäten organisatorisch abgeschlossen haben.

CW: Und technisch?

Muehleck: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir kommunizieren heute über unser gemeinsames Netz, wir tauschen zwischen allen Standorten Daten aus. Aber Sie wissen, daß die Feinarbeiten bei Systemgestaltungen in der Regel zwölf bis 24 Monate dauern.

CW: Wie läuft es denn menschlich mit den US-Kollegen?

Muehleck: Wir bauen die jeweiligen Stärken aus. Die Stra- tegieentwicklung im IT-Bereich ist durch das stark strukturier- te Verfahren der ehemaligen Daimler-Benz-Kollegen geprägt. Die ehemaligen Chrysler-Mitarbeiter haben hingegen das pragmatische Denken und die schnelle Umsetzung mit in die Prozesse eingebracht. Wir lernen voneinander.

CW: Schlußfrage: Welche Geschäftsziele verfolgen Sie als CIO Automotive für Daimler-Chrysler?

Muehleck: Ich will die Effizienz durch Kostenersparnis im Infrastrukturbereich heben und die Effektivität durch die Weiterentwicklung der Prozesse erhöhen. Mir geht es darum, den Unternehmenserfolg positiv zu beeinflussen.