Intershop-Vorstandschef Stephan Schambach im CW-Gespräch

"Wir wollen zur SAP beim E-Commerce werden"

07.05.1999
FÜR VIELE ist er noch immer der Shooting-Star der deutschen Softwareszene - anhaltend hohe Verluste sowie Übernahmegerüchte brachten seinem Unternehmen zuletzt jedoch negative Schlagzeilen. Mit Stephan Schambach, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Intershop Communications AG, sprach CW-Redakteur Gerhard Holzwart.

CW: Ihre jüngste Konzernbilanz war für viele Beobachter ernüchternd. Auf das Erreichen der Rentabilität scheint man bis zum Sankt Nimmerleinstag warten zu müssen - Banken und Anleger sind, so ist zu hören, zum Teil schon unruhig geworden. Hat die Erfolgsgeschichte von Intershop eine Pause eingelegt?

Schambach: Ich kann mir das - ehrlich gesagt - dumme Gerede in der Branche nicht erklären. Wir haben immer klar zum Ausdruck gebracht, daß wir extrem schnell wachsen wollen und auch müssen. So etwas ist nicht aus der Portokasse zu finanzieren. Wir liegen im Plan, auch wenn wir vereinzelt Investitionen vorziehen mußten, so daß sich unsere Verluste 1998 dramatischer darstellen, als sie tatsächlich sind. Es bleibt dabei, daß wir Ende 1999 den Break-even erreichen wollen.

CW: Was waren denn das für Investitionen, von denen Sie eben sprachen?

Schambach: Wir haben unsere Produktentwicklung intensiviert und weitere Büros eröffnet. Und wir haben erstmals Geld in die Hand genommen, um eine Akquisition zu finanzieren.

CW: Sie meinen den Kauf des New Yorker Internet-Dienstleisters Fountainhead Management. Die meisten Experten dürfte dieser verhältnismäßig kleine Deal nicht sonderlich beeindruckt haben. Der große Wurf in Sachen Internationalisierung kann dies jedenfalls noch nicht sein. Ein Unternehmen, das nicht an der Nasdaq notiert ist, hat im US-Markt auf Dauer ohnehin keine Chance, heißt es vielerorts. Warum haben Sie eigentlich von dem ursprünglich geplanten Dual-Listing wieder Abstand genommen?

Schambach: Ganz einfach: Steuerliche Gründe und die Performance des Neuen Marktes haben eindeutig für einen Börsengang in Deutschland gesprochen. Im übrigen sind damit etwaige andere Pläne noch nicht ad acta gelegt. Ich kann auch hier die Aufgeregtheiten nicht verstehen. Was wollen unsere Kritiker eigentlich? Wir sind ein noch junges Unternehmen, das jetzt erfolgreich den Kinderschuhen entwächst. Was unseren Erfolg im US-Markt angeht, sind wir fürs erste zufrieden. Mit dem Kauf unseres bisherigen Partners Fountainhead haben wir, wie es sich für ein Software-Unternehmen gehört, in erster Linie in Köpfe investiert. Mit 25 hochkarätigen Servicespezialisten können wir jetzt in der wichtigen Region Boston/New York ganz anders agieren.

CW: Das mit dem Entwachsen aus den Kinderschuhen beziehungsweise das Wachstumstempo, das Sie vorlegen, ist aber so eine Sache. Zumindest, wenn man die Umsatzentwicklung ihres Unternehmens beispielsweise mit der von Amazon.com vergleicht.

Schambach: Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Amazon.com und andere haben phantastische Ideen für Geschäfte im Internet. Wir wollen Firmen helfen, ihr entsprechendes Business-Konzept mit Hilfe einer geeigneten Softwareplattform zu realisieren. Im übrigen gehe ich in aller Bescheidenheit davon aus, daß wir eher als Amazon.com schwarze Zahlen schreiben, womit ich mich aber nicht in den Chor derer einreihen möchte, die die Amerikaner immer wieder als Beispiel für ein generelles Scheitern des E-Commerce heranziehen.

CW: Kommen wir auf die vermeintlich kleinen Probleme des Alltags zurück. Viele Kunden sind mit den Intershop-Produkten nicht glücklich. Sie sind kaum auf indviduelle Bedürfnisse zugeschnitten, an der Anbindung an das Back-Office mangelt es nach wie vor.

Schambach: Tut mir leid, wenn ich hier noch einmal polemisch werden muß. Ich halte das für ein gezieltes Hantieren mit Halbwahrheiten von interessierter Seite aus. Nennen Sie mir einen konkreten Fall, und ich werde ihnen keine Antwort schuldig bleiben. Wir liefern eine Standardsoftware, das darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen. Dennoch sind meiner Ansicht nach schlüsselfertige Lösungen, nicht nur unsere, in mehr als 90 Prozent aller Fälle die preisgünstigste und effektivste Möglicheit, Electronic Commerce zu betreiben.

Im übrigen sind viele Unternehmen auch nach dem Abschluß mit noch unsicher, wie sie das Thema Internet-Handel organisatorisch aufhängen sollen. Daraus mag vielleicht später auch die eine oder andere Unzufriedenheit mit unserem Produkt resultieren. Wir sind aber ein Softwarehersteller, keine Organisationsberater.

CW: Dürfte es nicht eher so sein, daß Sie über kurz oder lang die Leistungsfähigkeit Ihrer Software erhöhen und gleichzeitig massiv in eigene Beratungsressourcen investieren müssen?

Schambach: Ich habe es mir längst abgewöhnt, "nie" oder "niemals" zu sagen. Derzeit bin ich mit der Bandbreite unseres Produktportfolios und dem Anteil des Lizenzgeschäfts am Gesamtumsatz (63 Prozent im Geschäftsjahr 1998, Anm. d. Red.) mehr als zufrieden. Daran sollte sich so schnell auch nichts ändern.

CW: Ändern könnte sich vielleicht etwas ganz anderes. Gibt es Intershop in einem halben Jahr noch als selbständiges Unternehmen?

Schambach: Wenn Sie damit auf die Gerüchte um einen Kauf durch IBM, Oracle oder Microsoft anspielen - eindeutige Antwort: ja. Hier wollten wohl einige Anleger durch ein gezieltes Pushen unserer Aktie Kasse machen, anders kann ich mir das nicht erklären. Das Management denkt nicht daran, sich in die Hand eines der genannten Unternehmen zu begeben. Im Gegenteil: Wir haben noch einiges vor.

CW: Bei diesem Thema sind aber mindestens noch zwei andere Lesarten opportun. Zum einen könnten Sie angesichts im Zweifel doch unsicherer Geschäftsaussichten noch schnell Kasse machen wollen. Und - zweite Interpretation eventuell bevorstehender Ereignisse - wo steht denn geschrieben, daß der Intershop-Vorstand bei einem Merger überhaupt konsultiert würde?

Schambach: Können Sie sich an eine feindliche Übernahme in der Software-Industrie erinnern, die letztlich erfolgreich war? Ich habe eingangs erwähnt, wie die Merger in unserer Branche funktionieren - man muß in Köpfe investieren, die man zuvor für die eigene Sache gewonnen hat. Wenn morgen IBM oder wer auch immer sagen würde, wir machen einen Aktientausch, dann wären nicht nur ich, sondern auch alle 200 Intershop-Entwickler auf einen Schlag weg. Ich habe auch, um Ihre andere Theorie zu würdigen, Geld genug. Ich muß keine weiteren Anteile am Unternehmen verkaufen. Ich sage noch einmal: Wir haben noch eine Menge vor.

CW: Können Sie das präzisieren?

Schambach: Wir wollen in spätestens zehn Jahren auf der sogenannten Sell Side, also im Bereich Verkaufssysteme, der weltweit führende Anbieter von Electronic-Commerce-Software sein. Also eine derzeit wohl nur mit SAP vergleichbare Position besetzen. Und wir sind guten Mutes, dieses ehrgeizige Ziel auch zu erreichen.

Vorbild SAP

Noch ist der Vergleich mit Walldorf in Sachen Marktdominanz und Geschäftszahlen aberwitzig. In der gerade vorgelegten Konzernbilanz 1998 weist Intershop bei einem Umsatz von 35,0 Millionen Mark ein sattes Minus von 33,9 Millionen Mark aus; der Verlust aus dem operativen Geschäft war mit 37,1 Millionen Mark sogar noch höher. Im ersten Quartal konnte Intershop nach vorläufigen Zahlen die Einnahmen gegenüber dem Vorjahr um 98 Prozent von 6,7 auf 13,6 Millionen Mark steigern. Angaben zum Ertrag gibt allerdings noch keine.

Immer mehr Insider zweifeln jedoch daran, daß Intershop den Break-even Ende 1999 erreichen wird. Den Anbietern von E-Commerce-Standardsoftware weht derzeit der Wind ins Gesicht - vor allem, weil die Großen der Branche wie SAP, Oracle und Microsoft das Feld von hinten aufrollen. Vergleichbare kleinere US-Firmen wie I-Cat wurden aufgekauft; deutsche Player wie Brokat und Datadesign, die zwar mehr auf vertikale Märkte (Finanzdienstleister) fokussiert sind, krebsen ebenfalls noch in den roten Zahlen herum. Vieles spricht also für eine Konsolidierung auch in diesem Markt. Intershop-Chef Schambach hat deshalb nur eine Wahl: Durchstarten. Eilig werden jetzt diverse Marktstudien zitiert, die bei den eingerichteten Web-Stores schon jetzt eine globale Marktführerschaft suggerieren sollen. Gleichzeitig steht dem Vernehmen nach ein dreistelliger Millionenbetrag in Form eines bereits genehmigten Aktienkapitals zur Verfügung, um einen großen Deal zu landen. Fressen oder gefressen werden - für Intershop dürfte 1999 so oder so ein spannendes Jahr werden.