"Wir wollen uns die 8890-Kunden erhalten"

14.12.1990

Heftige Kritik übte Hans-Peter Nickenig, erster Vorsitzender der Benutzergruppe NIBEG, in einem Inerview mit der COMPUTERWOCHE (siehe CW Nr. 45 vom 9. November 1990, Seite 7) an der 8890-Informationspolitik der Nixdorf Computer AG, als die Rechnerserie 1989 eingestellt wurde. Auch die mangelhafte Zusammenarbeit der Paderborner mit der Anwendervereinigung kam dabei zur Sprache. Dazu nahmen nun ehemalige Nixdorf- und heutige SNI-Manager Stellung. Mit Heinz-Dieter Wendorff, Mitglied des Vorstandes, Bereich Vertrieb, der Siemens Nixdorf Informationssysteme AG (SNI), und Dietrich Zeh, ehemals bei der Nixdorf Computer AG verantwortlich für den Produktbereich CIS (Compatible Informations Systeme) und jetzt bei SNI innerhalb der Systemplanung verantwortlich für Systemkonzept und Architektur, sprachen Dieter Eckbauer und Beate Kneuse.

CW: Ende des vergangenen Jahres gab Nixdorf bekannt, die 8890-Rechnerserie einzustellen beziehungsweise Comparex die Systemverantwortung zu übertragen. Viele Kunden waren überrascht, aber auch empört, weil sie sich durch Nixdorfs Informationspolitik getäuscht fühlten. Warum hat man den Kunden nicht früher reinen Wein eingeschenkt?

Wendorff: Wir haben uns damals die Entscheidung, die 8890-Serie einzustellen, nicht leicht gemacht. Was uns als Verzögerungstaktik vorgeworfen wurde, war ein langer Prozeß des Analysierens unserer Produktbereiche unter dem Gesichtspunkt, welche Lösungen sich mit in die Unix-Welt nehmen lassen, der wir uns mit Blick auf offene Systeme verschrieben hatten. Diese Analyse war bei der 8890 gar nicht so einfach, denn wir mußten dabei ja zwei Benutzergruppen berücksichtigen: die Anwender unter VM-Basic, die von der 8870 auf die 8890 umgestiegen waren, weil sie mehr Rechnerleistung brauchten, und die Nidos-Kunden, die die 8890 als IBM-kompatible Maschine nutzten. Wir hatten also zu prüfen, welchem Teil dieses Kundenkreises wir die Unix-Schiene anbieten konnten und welcher Teil auf einer kompatiblen Hardware weitergeführt werden mußte. Bei letzterem hatten wir uns damals dann für Comparex entschieden. Deshalb hat sich bei der 8890 eine klare Aussage etwas länger hinausgeschoben. Und diese Situation stellte sich für den Außenstehenden und auch für unsere Kunden teilweise etwas undurchsichtig dar.

Zeh: Definitiv bekanntgaben wir unsere Entscheidung, die 8890 auslaufen zu lassen, zur CeBIT '89. Von diesem Zeitpunkt an haben wir unsere Kunden und unseren Vertrieb informiert. Allerdings hatten wir auch schon im Februar 1989 als die 8890-Benutzergruppe NIBEG uns zu einer ihrer Konferenzen eingeladen hatte - klar und deutlich gesagt, daß die 8890-Linie auslaufen wird, obwohl der Zeitpunkt dafür in unserem Hause noch nicht endgültig feststand. Wir haben die Gründe genannt und vorgeschlagen, gemeinsam zu überlegen, welche Anwendungsentwicklungen noch erforderlich sind. Einer der Kardinalwünsche der NIBEG war: "Wir brauchen größere CPUs." Dies wiederum war der Anlaß für uns, mit unserem Partner Comparex zu verhandeln, der den Kunden größere CPUs zur Verfügung stellen konnte. Dieser Vertrag trat am 1. September 1989 in Kraft.

CW: Gerade die Benutzergruppe NIBEG hat Ihnen aber vorgeworfen, einerseits mit Ihren Informationen sehr zurückhaltend gewesen zu sein und andererseits die Arbeit der in dieser Gruppe zusammengeschlossenen Anwender nur wenig unterstützt zu haben.

Wendorff: 1988/89 sind wir Nixdorfer zum ersten Mal überhaupt mit einer Benutzergruppe konfrontiert worden, das heißt, wir mußten erst einmal lernen, mit einer solchen Vereinigung umzugehen. In diesen Lernprozeß fiel die Entscheidung über die 8890, und so kam es unter Umständen zu Informationslücken. Dies war aber nie bewußte Politik unseres Hauses. Darüber hinaus muß ich sagen, daß Herr Nickenig mit der Kritik an uns Nixdorfern in Sachen Benutzergruppe durchaus recht hat. Wir haben uns anfangs schwergetan, mit

der NIBEG umzugehen. Das war einfach die Anlaufzeit. Aber im zweiten Halbjahr 1989 hatten wir der NIBEG bereits Lösungen angeboten, die Ergebnis der Zusammenarbeit waren. Zum Beispiel wurde Comet Top II noch für die 8890 bereitgestellt, was für uns einen erheblichen Entwicklungsaufwand bedeutete.

CW: Die Übertragung der Systemverantwortung auf Comparex hat die 8890-Nidos-Anwender nicht gerade glücklich gemacht. Denn die Mannheimer lehnten es kategorisch ab, sich mit dem Nidos-Betriebssystem auseinanderzusetzen.

Zeh: Viele 8890-Kunden wollten eine Perspektive für größere CPUs. Diese hätten sie fortan von Comparex direkt beziehen können. Was die Betriebssysteme anbelangte, hatten wir uns verpflichtet, unsererseits auch diese Kunden bis 1995 weiter zu betreuen.

CW: Die Aussagen der NIBEG sind nun nicht Kritik einer wie auch immer gearteten anonymen Gruppe, sondern sie fassen die Erfahrungen, einzelner Kunden mit dem Hersteller zusammen. Damit ist die Kritik, die sich in dieser Form artikuliert, letztlich Zeichen dafür, daß es in dem Verhältnis von einzelnen Kunden zum Hersteller nicht gestimmt hat. Müssen Sie sich nicht im nachhinein vorwerfen, daß Sie die Bedürfnisse dieser 8890-Kunden als Hersteller nicht ernst genommen haben?

Wendorff: Nein, das war sicher nicht der Fall. Wir waren immer mit unseren Kunden in Kontakt. Nur: Als wir uns entschieden, in die offene Welt zu gehen und unsere Produkte dorthin zu überführen, haben wir vielleicht die Problematik des 8890-Umstiegs etwas unterschätzt.

Zeh: Man muß dabei auch sehen, daß es immer einige Anwendungen gibt, die Probleme bereiten. Solche Installationen hat jeder Hersteller. Ich glaube, damit muß man leben, aber es ist andererseits auch eine Herausforderung. In der NIBEG schlossen sich Kunden

zusammen, die gleichartige Forderungen hatten. Wir konnten zum Beispiel bei der Übernahme der Comet-Software auf die 8890 in einigen Bereichen die Funktionen nicht so anbieten, wie das auf der 8870 nun einmal technisch möglich ist. Unsere gesamte 8890-Entwicklungs- und Wartungsmannschaft hat versucht, diese Funktionsunterschiede aufzuheben. Daneben gab es sicherlich auch Fehler, deren Behebung etwas länger gedauert hat. Allerdings stellte sich manchmal heraus, daß der Grund auch für schwerwiegendere Probleme die individuelle Anwendungsprogrammierung in Basic war.

CW: Aber Herr Zeh, ist Ihre Aussage, daß letztlich jeder Hersteller mit ein Paar unzufriedenen Kunden leben kann, nicht ein bißchen zu salopp?

Zeh: So habe ich es nicht gesagt. Ich glaube, diese Kunden sind eine fortwährende Herausforderung, denn gerade die Einzelfälle sind es, die das Image eines Unternehmens beeinflussen, wenn sie in die Öffentlichkeit getragen werden. Es muß die Aufgabe eines Herstellers sein, sich um jeden einzelnen Kunden so zu bemühen, daß man mit ihm zu einer vernünftigen Einigung kommt.

CW: Was ist aus dem Vertrag mit Comparex geworden, nachdem Nixdorf mit dem DI-Bereich von Siemens zur SNI zusammengelegt wurde?

Zeh: Der Vertrag läuft in beiderseitigem Einvernehmen zum Ende dieses Jahres aus.

Wendorff: Nun können wir den Kunden ja selbst eine CPU-Alternative bieten.

CW: Und die wäre?

Wendorff: Unser gesamtes BS2000-Leistungsspektrum bis hoch zum Modell H120 der Rechnerserie 7.500.

CW: Aber wie vereinbart sich Ihre Empfehlung für BS2000 - und damit für ein proprietäres Betriebssystem - mit Ihrem Anspruch, in Zukunft auf offene Systeme, sprich: Unix, zu setzen?

Wendorff: Das läßt sich deshalb vereinbaren, weil wir den 8890-Kunden ja nicht nur die Migration auf ein proprietäres System anbieten. Die zweite Alternative heißt bei uns eindeutig Unix. Darüber diskutieren wir natürlich auch mit den 8890-Anwendern.

CW: Wie wird sich denn SNI verhalten, wenn sich die 8890-Anwender für keine der beiden Alternativen entscheiden, sondern sich noch vor Vertragsende einem anderen Lieferanten zuwenden wollen?

Wendorff: Vorausschicken möchte ich, daß wir die Ankündigung vom Februar 1989, Wartung und Pflege der 8890 nur noch bis 1995 durchzuführen, sofort nach Bekanntgabe des Zusammenschlusses von Nixdorf und Siemens-DI zurückgenommen haben. Die Kunden haben jetzt die Sicherheit, daß wir die Rechner solange betreuen, bis sie in den Unternehmen ausgedient haben, also abgelöst werden. Darüber hinaus haben wir auch im Softwarebereich etliche Weiterentwicklungen gemacht.

Zeh: Wir hatten bereits 1989 anläßlich einer NIBEG-Tagung erklärt, daß wir keinem Nixdorf-Kunden verwehren werden, unsere Software auf Rechner anderer Hersteller mitzunehmen, sofern er eine einmalige Lizenz für diese Software erworben hat. Dieses Angebot gilt nach wie vor.

Wendorff: Natürlich ist es unser Bestreben, diese Kunden bei uns zu halten.

CW: Aber wenn es nicht zur Fusion mit Siemens gekommen wäre, hätten Sie die Kunden ja auch verloren, denn die 8890 wäre dann spätestens 1995 bei Ihnen kein Thema mehr gewesen...

Wendorff: Gut, nur gibt es jetzt die SNI, und wir werden alles versuchen, um mit diesem Kundenstamm einen optimalen gemeinsamen Weg zu finden.

CW: Die NIBEG ist an die SNI-Geschäftsleitung unter anderem mit der Forderung nach einem finanziellen Entgegenkommen bei den anstehenden Systemumrüstungen herangetreten. Was wird da von Ihrer Seite aus Geschehen?

Wendorff: Bei solchen Forderungen muß man sicherlich jeden Fall einzeln untersuchen. Erfolgt beispielsweise ein Umstieg in Richtung offene Systeme, bedeutet das für uns, eine ganz andere Softwarewelt verfügbar machen zu müssen. Hier investieren wir erhebliche Summen in neue Lösungen, die üblicherweise über Verkaufspreise finanziert werden. Schließlich handelt es sich dabei für den Kunden auch um einen technologischen Fortschritt in Hard- und Software. Wer in Richtung BS2000 gehen möchte, dem können wir einige Kostenvorteile anbieten. In diesem Fall braucht der Anwender nämlich keinen Systemumstieg vorzunehmen, sondern zunächst nur einen CPU-Austausch.

Wir haben sichergestellt, daß die vorab getätigten Investitionen des 8890-Anwenders beim Wechsel in die BS2000-Welt weitgehend geschätzt sind. Auf kostenlose Dienstleistungen aber, wie beispielsweise freies Manpower-Leasing und ähnliche Forderungen, werden wir uns sicherlich nicht einlassen können. Aber ich glaube, mit unserem Angebot bieten wir den 8890-Kunden auch so die attraktivste Lösung für kontinuierliches Wachstum.