"Wir werden die gleichen Fehler nicht noch einmal machen"

14.10.1994

CW: Sie haben vor zwei Wochen bekanntgegeben, dass Sie das Betriebssystem der Apple-Rechner lizenzieren. Warum erst heute und nicht schon vor zehn Jahren?

Diery: Kennen Sie die alte Weisheit: "Hinterher ist man immer klueger?" Wir haben damals mehrere Fehler gemacht. So haben wir Anfang der achtziger Jahre mit 45 Prozent Gewinnmarge kalkuliert - haetten wir uns damals mit 25 Prozent begnuegt, dann koennten wir heute einen Marktanteil von 25 Prozent haben. [Anmerkung der Redaktion: Apple hat einen Anteil von zwoelf Prozent am PC-Geschaeft weltweit.] Als Windows 3.1 auf den Markt kam, waren wir nicht aggressiv genug. Das wird uns bei Windows 95 (Windows 4.0) nicht wieder passieren. Wir werden klarstellen, dass fuer Windows 95 eigentlich ein Hochleistungs-PC mit 486- oder Pentium-Prozessor noetig ist. Plug-and-play, das heisst die einfache Installation von Grafikkarten oder aehnlichem, funktioniert ebenfalls nur, wenn die Adapter neueren Datums sind. Auch die Software muss an Windows 95 angepasst werden - nur 32-Bit-Programme werden reibungslos laufen.

CW: Sind Sie finanziell stark genug, um den Konkurrenten aus dem Microsoft-Intel-Lager zu widerstehen?

Diery: Sicher.

CW: Wirklich? Sie investieren zur Zeit in mehreren Bereichen. Sie produzieren Hard- und Software, arbeiten am Power-PC-Prozessor mit und bauen die PC-Kommunikation

"E-World" auf. Haben Sie sich da nicht etwas viel vorgenommen?

Diery: Die Antwort ist ganz klar: Nein. Lassen Sie mich meine Zuversicht etwas erklaeren. Vor zwei Jahren haben wir Apple auf Vordermann gebracht und sparen seitdem 400 Millionen Dollar, bezogen auf einen Umsatz von 2,2 Milliarden Dollar. Im letzten Jahr haben wir insgesamt neun Milliarden Dollar Umsatz gemacht. Hier in Deutschland haben wir in den vergangenen zwoelf Monaten unsere Einnahmen fast verdoppelt. Ausserdem investieren wir mehr als jedes andere Unternehmen in Forschung und Entwicklung.

CW: Wieviel?

Diery: 1994 werden es etwas weniger als 600 Millionen Dollar sein.

CW: Windows 95 wird in etwa das leisten, was das Macintosh- Betriebssystem seit einigen Jahren kann. Wie wollen sie sich in Zukunft von Microsoft abheben, was bietet ihre grafische Oberflaeche mehr?

Diery: Zuletzt hatten wir uns auf die Mitarbeit am Power-PC- Prozessor und der Entwicklung der Version 7.5 unseres Betriebssystems konzentriert. Diese Arbeit ist abgeschlossen, und wir haben jetzt unsere Kraefte frei fuer Neues, zum Beispiel dreidimensionale grafische Oberflaechen, Spracherkennung oder den fliegenden Wechsel zwischen verschiedenen Betriebssystemen und ihren Applikationen.

CW: Wie gut verstehen Sie sich heute mit IBM? Big Blue scheint ja wieder unentschlossen zu sein, wie es mit der Eigenentwicklung eines Rechners mit Power-PC-Prozessor weitergehen soll.

Diery: IBM hat einen Prototypen gebaut und uns dann gefragt, ob wir die Power-Macintosh-Rechner kompatibel machen werden. Damit hatten wir einige Probleme. IBM wollte einen Server-PC bauen, der fuer Betriebssysteme wie OS/2, Windows NT oder Unix geeignet ist. Wir hingegen haben den Massenmarkt vor Augen. Deshalb konnten wir auf die Frage von IBM nur mit "Nein" antworten. Das konnten sie nicht verstehen. Erst als sie prueften, welche Standardsoftware heute fuer ihren Prototypen erhaeltlich ist, wurde IBM nachdenklich. Weder fuer Unix noch fuer OS/2 gibt es eine grosse Auswahl an Applikationen, und fuer Windows NT fehlen wichtige Standardanwendungen. Wir entschlossen uns, gemeinsam einen neuen Rechner zu entwickeln, mit dem sich ein Grossteil der heute vorhandenen Software nutzen laesst.

CW: Werden die Lizenznehmer fuer das Macintosh-Betriebssystem auf diesen Zug aufspringen? Was erwarten Sie sich von der Lizenzvergabe?

Diery: Wir rechnen damit, dass diese Firmen sich neuen Kunden zuwenden. Ich denke da zum Beispiel an Finanzunternehmen oder Banken. Oder an einen Apple-Vertriebspartner fuer China. Er muesste das Betriebssystem an die chinesische Sprache anpassen und, entsprechend den Vorgaben der chinesischen Regierung eine Produktion vor Ort aufbauen.

Mit Ian Diery, Chef der PC-Abteilung von Apple, sprach Thorsten Busse von der International Data Group (IDG). Die Uebersetzung und Dokumentation stammt von CW-Redakteur Walter Mehl.