"Wir sprechen von einer Chance durch Client-Server"

05.06.1992

Wer heutzutage Kongresse zu den auswechselbaren Themen Downsizing, Rightsizing oder Client-Server besucht, wird gelegentlich das Gefühl nicht los, auf der falschen Veranstaltung zu sein: Statt nüchterne DVer anzutreffen, die mit kargen, aber präzisen technischen Angaben das Für und Wider einer neuen Technologie erörtern, fühlt man sich in eine Arena religiöser Eiferer versetzt, die sich Glaubenssätze um die Ohren schlagen. Besonders heiß umkämpft ist die Frage, ob Unternehmen mit dem Einsatz neuer Architekturkonzepte Geld sparen oder nicht. Im folgenden sollen Analysten und Anwender zu Wort kommen, die erste Gehversuche in Sachen Downsizing hinter sich gebracht haben.

Bei solchen Nachrichten dürfte sich die IBM freuen: Kürzlich erst offerierten die Analysten des Marktforschungsunternehmens Gartner Group ihre neuesten Erkenntnisse in Sachen Client-Server-Technologie und versetzten Downsizing-Apologeten einen Schlag. Kernaussage: Der Umstieg auf Client-Server-Anwendungen führt nicht zu Einsparungen.

Als Grund hierfür gab Gartner an, die Kosten, um neue Programme zum Laufen zu bringen, seien die gleichen. Gemeint war wohl, die gleichen, als wenn der Anwender alles beim alten beließe. Die Marktbeobachter konzedieren jedoch, beim Einsatz der neuen Rechnertopologien sei eine Produktivitätssteigerung von 30 bis 50 Prozent zu erwarten. Sie lassen unberücksichtigt, daß solch ein Effekt bei einer Kostenplanung auch angerechnet werden müßte.

Die Gartner-Aussage ist darüber hinaus nicht unumstritten. Grundsätzlich trifft zwar zu, was ein Anwender mit Downsizing-Erfahrung zu den Schwierigkeiten einer Kostengegenüberstellung von Host- und PC-LAN-basierten Systemen zu bedenken gibt: In aller Regel wird kein Unternehmen im Parallelbetrieb beide Topologien fahren, um die ökonomischen Aspekte direkt miteinander vergleichen zu können. Trotzdem gibt es erste Erfahrungswerte von Anwendern, die - teils erhebliche - Kosteneinsparungen für Downsizing-Willige zu bestätigen scheinen.

Zu denen, die den Downsizing-Gospel mit Überzeugung anstimmen, gehört Thomas Fontaine. Sein Arbeitgeber, die Heidelberg Harris Inc. aus Dover im US-Bundesstaat New Hampshire, kann insofern als Exot bezeichnet werden, als die Mutter in Heidelberg sitzt. Er reist momentan als Entwicklungshelfer in Sachen Downsizing nach good old Germany, "unsere Muttergesellschaft kann man nämlich getrost als einen der größten Mainframe-Anwender in Deutschland bezeichnen". Fontaine soll den deutschen Managern von den Erfahrungen berichten, die Harris in den USA mit einem landesweiten und darüber hinaus bis in eine Niederlassung in Mexiko reichenden PC-LAN-Verbund macht, der Zug um Zug die proprietären NCR-, IBM-4381- und /36- sowie DEC-VAX-Welten ablösen soll.

Fontaine, der sich anläßlich einer Tagung der Hamburger GMO Gesellschaft für Management und Organisation AG in Neuss zum Thema Downsizing äußert, faßt seine Erfahrungen kurz und bündig zusammen: "Durch unseren Umstieg per Downsizing haben wir uns ein besseres, schnelleres und kostengünstigeres DV-System eingehandelt, als wir dies je auf einer Mainframe-Basis gekonnt hätten."

Die neuen Applikationen seien überdies leichter und schneller zu bedienen als in der Großrechnerwelt. Der Amerikaner widerspricht bei dieser Gelegenheit auch der Meinung etwa des Sybase-Präsidenten Robert Epstein, die Portierung von Mainframe-Software auf PC-Systeme betreffend: "Für uns zumindest war es einfacher, gewisse Host-Applikationen komplett zu portieren und nicht zu versuchen, sie für den Einsatz auf PCs zu modifizieren." Bei dem Bemühen, Mainframe-Anwendungen als Front-ends auf die Mikros zu bringen, habe man erkannt, daß der glatte Schnitt, durch die Portierung schneller und weniger kostenintensiv sein werde. "Bei neuen Applikationen ist es ohnehin keine Frage, daß Downsizing ein Vorteil ist."

Matthias Albrecht, Geschäftsführer der Softwareschmiede Xcom GmbH aus Griesheim, nähert sich dem Thema Kosteneinsparung von einer anderen Seite: Durch Downsizing werde die Mainframe-orientierte Unternehmens-DV zusehends in die PC-Welt gezogen. Gegenüber den zeichenorientierten Terminals der Host-Systeme sei es in der PC-Welt mit den hier mittlerweile üblichen grafischen Benutzeroberflächen nun erstmals der Fall, daß Software-Entwickler nicht mehr von einem einmal auserkorenen Standard abweichen.

Die Kalkulation ist dann ganz einfach: "Das bedeutet, daß sich neue Applikationen unter diesen GUIs (Grafical User Interfaces) wesentlich kostengünstiger realisieren lassen als früher in der zeichenorientierten Umgebung", rechnet der OS/2-Spezialist vor. Auch das Einführungstraining werde für GUI-basierte Anwendungen erheblich verkürzt. "Außerdem sollte man vor allem nicht vergessen, daß mit diesen GUIs heutzutage für Downsizing-Systeme Werkzeuge zur Verfügung stehen, die es für die Host-Umgebung mit Terminals nicht gab", so der Software-Entwickler. Er meint damit die in der Branche als hochinteressant, weil leistungsstark angesehenen Tools wie "Visual Basic" von Microsoft oder "Easel" vom AD/Cycle-Partner Easel Corp. "Heutzutage lassen sich grafische Benutzeroberflächen relativ leicht entwickeln, und die Kosten hierfür sinken."

Wenn auch nicht direkt auf diese Werkzeuge zur Entwicklung grafischer Benutzeroberflächen gemünzt, scheint zudem Albrechts Einschätzung interessant, "alle Host-Anwendungen, die nicht auf extrem große Datenbestände zugreifen müssen, lassen sich relativ leicht (auf kleinere Systeme, d. Red.) transferieren." Damit spricht Albrecht ein Tabu an, hört man doch - zumindest von deutschen Anwendern - immer wieder, die Portierung von Mainframe-Software auf PC-basierte LANs sei eigentlich nicht machbar.

George Schussel, Downsizing-Guru aus Andover, Massachusetts, und mit seiner Digital Consulting Inc. (DCI) beratend tätig, mag die Diskussion um Kosteneinsparungen schon gar nicht mehr hören. Nicht ohne Ironie gegenüber den mehrheitlich sehr mit Zweifeln belasteten deutschen DV-Managern, die sich in Neuss die Vor- und Nachteile von Client-Server-Konzepten zu Gemüte führten, meinte er: "Des Pudels Kern ist doch: Wie wirkt sich die DV auf das Budget eines Unternehmens aus? Und da frage ich, wie viele Beispiele wollen Sie von mir als Belege dafür, daß Sie mit Downsizing kostengünstiger fahren? 100, 2i00 oder 300? Ich gebe Sie Ihnen." Fast schon resignierend fragt er, ob deutsche DV-Manager nun von Beispielen wie dem der Harris Heidelberg hören und davon lernen wollen oder nicht. Der Zug in Richtung Downsizing sei doch sowieso nicht mehr zu stoppen.

Der Grund für die Skepsis in deutschen RZs ist möglicherweise bei der IBM zu suchen. Deren Manager Dieter Wollschläger etwa wird nicht müde, das Glaubensbekenntnis vom Mainframe als zentralem Server-System in der blauen Gemeinde zu verbreiten. Gerne zitiert er dabei auch einen Artikel aus dem Fachblatt "Informationweek" vom 18. November 1991, in dem von den "versteckten Kosten des Downsizing" die Rede ist. Vor allem die seiner Meinung nach extrem steigenden Aufwendungen für das Management dezentraler PC-Netz-Systeme dienen ihm dabei als Argument für die in neuem Tätigkeitsfeld operierenden Mainframes.

"Die Industrieerfahrung zeigt, daß man für 40 PCs einen Servicemann braucht, für das Management von LANs dürfen Sie den Faktor 5 bei den Kosten ansetzen", orakelt der IBM-Mann.

Einer, der es wissen müßte, weil er ein gebranntes Kind in Sachen Client-Server-Topologien ist, kontert Wollschläger denn auch ziemlich kühl: "Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen haben. Wenn die zuträfen, müßte ich bei mir in Norderstedt für die PC-Betreuung 20 Leute anheuern. Tatsächlich sind es jedoch nur vier. Und das reicht", so Dieter Weiss, Abteilungsleiter in Hamburg bei der Lufthansa und für den gesamten DV-Betrieb zuständig.

In enger Zusammenarbeit mit der Hamburger Enator Nord GmbH packte das jüngst durch riesige Verluste in die Schlagzeilen geratene deutsche Luftfahrtunternehmen schon 1987 die Aufgabe an, ein MSS-Projekt (Management Support System) mit der Kernanwendung RAS (Revenue Accounting System) zu entwickeln, das - wenn auch damals nicht so benannt - Downsizing-gerecht ausgelegt ist.

Grund für dieses in der obersten Lufthansa-Management-Ebene angesiedelte DV-Engagement war "das Fehlen eines geeigneten Instrumentariums zur Beurteilung der Streckenrentabilität und der Produktivität sowie der Steuerung und Optimierung des Verkaufs", wie Dirk Buddensiek von Enator attestiert. Für Abhilfe sollte ein DV-Projekt sorgen, das unter dem Arbeitstitel "Weltweite Sammlung von Abrechnungsdaten bei der Lufthansa AG" zunächst vor allem für Schweißausbrüche verantwortlich war. Unisono mit Fontaine oder seinem deutschen Downsizing-Kollegen Norbert Köhler von der Hanseatischen Klöckner Stahl in Bremen vertreten Weiss und seine Mitstreiter nämlich die Meinung, daß nur neueste Technologie gut genug sei für die Evolution im RZ.

"Das war eine mutige Entscheidung damals, und wir wurden auch herbe bestraft", resümiert der Airline-DVer im nachhinein die ursprüngliche Präferenz für einen damals gerade erst von der IBM auf den Markt gebrachten Rechner die AS/400. Diese Maschine sollte als File- und Communications-Server in den größeren Außenstellen Hunderte von PCs bedienen, während die Massen- und Batch-Verarbeitung auf dem Host-System in Frankfurt zentral erfolgte.

"Wir haben schnell gemerkt, daß die AS/400-Systeme den Anforderungen nicht gewachsen waren. Die Verbindung mit den PC-Systemen bedeutete nämlich, daß die AS/400 pro PC zwei Prozesse starten mußte, bei 30 angeschlossenen Mikros beschäftigte die AS/400 sich dann mit sich selbst." Ganz zu schweigen davon, daß man ja via 3270-Terminal-Emulation knapp 800 PCs bedienen wollte.

Damals sei fast das gesamte Projekt gekippt - eine Situation, die nur durch den Schwenk auf 3745-Systeme der IBM gerettet werden konnte und durch die Umorientierung auf ein Client-Server-Konzept unter OS/2.

Doch auch mit OS/2 gab es Probleme. Wie die AS/400 im Hardwarebereich stellte das damals noch von der IBM gemeinsam mit Microsoft entwickelte Betriebssystem die neueste Software-Entwicklung am Markt dar. "IBM hat uns eine Golden-Code-Version mit vielen Mängeln gegeben, die zum Teil auch nicht dokumentiert waren", erinnert sich Weiss. "Wegen all der bestellten und teils schon gelieferten PS/2-PCs. dem schon halb bezogenen neuen Haus und der bereits verlegten Verkabelung" hätten sie die Entscheidung jedoch nicht revidieren können.

Mittlerweile kann Weiss wieder lachen: Obwohl er auch in der Folgezeit mit den OS/2-Nachfolgeversionen noch einigen Ärger hatte - "Die OS/2-Version 1.3 ist aber relativ stabil" -, den er mit "direkten, nachweisbaren Kosten auf etwa 600 000 Mark" beziffert, "nicht eingerechnet die Nerven und den Verlust an Image beim Anwender", ist er jetzt zufrieden.

Der Airliner glaubt, daß "immer da, wo Anwendungen auf Client-Server-Lösungen portiert werden können, auch Einsparungen möglich sind". Man habe definitiv an Flexibilität bei der Wahl der Hardwarekonfiguration gewonnen, die Systemverfügbarkeit sei durch die Entlastung des Host-Rechners gestiegen. "Außerdem konnten wir die Kosten für unsere Mainframe-Systeme reduzieren", so Weiss.

Das mag auch daran liegen, daß in Norderstedt nun nicht mehr soviel Entwicklungsaufwand auf Host-Ebene geleistet werden muß. Beim Posten Gehälter für "sehr teure Programmierspezialisten aus der Mainframe-Umgebung" kann nämlich nach Meinung von Amy Wohl von der Beratungsfirma Wohl Associates "erheblich eingespart werden, wenn man es schafft, auf kostengünstigeren Hardware-Umgebungen zu arbeiten".

Wohl muß es wissen - ihr Mann ist so etwas wie ein Red Adair in der US-amerikanischen DV-Branche und wird gerne von hilfesuchenden Unternehmen gerufen, wenn Assembler. und Cobol-Kenntnisse dringend gefragt sind.

Sie vermag zu beurteilen, wo gespart werden kann in DV-Abteilungen. "Die Kosten für die Software-Entwicklung, für das Schreiben von Applikationscode, lassen sich erheblich ein. dämmen in Client-Server-Topologien", stimmt sie Albrecht zu.

Allerdings vertritt sie nicht die radikale Position von Fontaine, nach dessen Meinung es kaum Host-Anwendungen gibt, die nicht auf PC-LAN-Systeme zu portieren sind. Solche An. sichten quittiert Analystin Wohl mit der despektierlichen Bemerkung: "Wer mir so etwas erzählt, den frage ich erst mal, von welchem Stern er eigentlich kommt." Schließlich habe man es in der historisch gewachsenen DV-Welt mit lauter "furcht. baren Assembler- und Cobol-Codes zu tun, von denen man bloß die Finger lassen soll und wo man tunlichst auch nicht fragen sollte, wie das eigentlich alles funktioniere".

Wohl sieht Sparoptionen auch bei der Standardsoftware für die Mikro-Welt, was wiederum bedeute, daß man nicht immer wieder Anwendungen für den Hausgebrauch neu schreiben müsse.

Sie stimmt allerdings in gewisser Hinsicht dem IBM-Mann Wollschläger zu, wenn sie ausführt, die Kosten für die Administration von Client-Server-Systemen dürften sich auf einem ähnlichen Niveau halten wie bei Host-basierten Lösungen.

Dabei hebt die Beraterin allerdings wie Albrecht vor allem auch auf die allgemein als sensibel erkannte Sicherheitssituation in Netzsystemen ab. Das hierfür auch schon mal eine et. was absonderliche Preispolitik der Hersteller verantwortlich ist, steht auf einem anderen Blatt. So wundert sich Weiss von der Lufthansa darüber, daß seine PS/2-Rechner mit Diskettenlaufwerken billiger sind als die - netztechnisch gesehen - mit geringerem Sicherheitsrisiko behafteten Diskless-Versionen.

Fontaine präsentiert Berechnungen, die die Heidelberg Harris Inc. beim Vergleich PC-LAN versus Host-Rechner anstellte: "Als wir Vergleichskalkulationen anstrengten, was ein DV-Arbeitsplatz inklusive aller Details wie Kabel etc. auf Basis einer Mainframe-Lösung kosten würde, errechneten wir pro Arbeitsplatz Kosten von 2800 Dollar." PC-basiert kam man auf 3200 Dollar. "Betrachtet man nur die Einführungskosten, so nehmen sich die beiden Topologien nicht sehr viel", so Fontaine weiter.

Würde man aber die gesamten Folgekosten - die Unterhalts- und Wartungskosten der Großrechner, die Kosten für Räume, für unterbrechungsfreie Stromversorgungen etc. auch in die Berechnung aufnehmen, dann gebe es keinen Zweifel, daß die Client-Server-Variante einem ökonomiebewußten Controller mehr zusagen müsse.

Fontaine holt schließlich sein letztes As aus dem Ärmel. Als zum wiederholten Mal die Vertreter einer "sicheren" Host-Architektur auf der GMO-Tagung offenen Beifall einheimsen, schüttelt er den Kopf. "Es geht

doch hier nicht nur um das Thema Downsizing, sondern darum, ob ich als Verantwortlicher auch in Zukunft meine gesamte DV dem Zugriff eines Anbieters proprietärer Systeme aussetzen will." Es gehe um den Übergang von geschlossenen auf offene Systeme. Bei letzteren werde etwa die Hardware zum Allgemeingut, das beliebig austauschbar und deshalb auch billiger sei.

"Ich gebe mittlerweile nur noch halb soviel für Hardware aus wie früher, der Kostenanteil unserer DV am Umsatz ist von 3,4 auf 2,3 Prozent gesunken", so der Heidelberg-Harris-Mann. In seiner 30jährigen DV-Karriere hätten ihm die IBM, DEC oder NCR noch nie viel mehr Rechenleistung zum halben Preis angeboten. "Wir sprechen hier von einer echten Chance, die sich durch Downsizing für die gesamte DV ergibt."