"Wir sind ueberhaupt nicht zu spaet...

15.12.1995

CW: Die Hardware ist nur eine Seite der Internet-Medaille. Kommt Ihre Internet-Strategie als Reaktion auf Suns Programmiersprache "Java" nicht zu spaet?

Wedell: Nein, ueberhaupt nicht. Der Internet-Markt ist in den USA eben am Entstehen. In Deutschland, behaupte ich, ist er noch nicht einmal geboren. Deswegen investiert Microsoft jetzt, wo der Markt anfaengt, seine kritische Masse zu bekommen. Wir sind ueberhaupt nicht zu spaet, wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die die naechsten 20 bis 30 Jahre dauern wird.

CW: Bleiben wir bei Java. Fuer wann ist eine Implementierung in den Microsoft-Browser "Explorer" geplant?

Wedell: Fuer das "Internet Add-on zu Windows 95", das Mitte des naechsten Jahres verfuegbar sein soll. Dann koennen die Anwender mit einem MS-Browser auch Java-Applikationen nutzen.

CW: Wie sieht Ihre Alternative zur Java-Programmierung aus?

Wedell: "Visual Basic" ist eine Alternative. Oder "Visual Scripting" fuer die direkte Integration in die Web-Seiten. Leute, die mit Visual Basic schon vertraut sind, muessen auf diese Art keine neue Sprache wie Java erlernen. Daneben besteht noch die Moeglichkeit, mit grafischen Objekten zu programmieren. Hierfuer ist das "Internet Studio" konzipiert, frueher unter dem Codenamen "Blackbird" bekannt. Selbst die kuenftigen Versionen von "Office" sind als Internet-Publishing-Tools geeignet.

CW: Sie sprechen das objektorientierte Programmieren an. Halten Sie weiterhin an OLE fest, oder setzt Microsoft kuenftig auch auf andere Standards wie Opendoc oder Corba?

Wedell: OLE hat sich als Objektstandard durchgesetzt. Die ganze Diskussion um Opendoc und die daran beteiligten Partner hat sich ja zerfasert. So mein Eindruck, den ich beim Lesen von Fachpublikationen wie der COMPUTERWOCHE bekam.

CW: Apropos Standards. Mit Virtual Reality Markup Language (VRML) bringt Microsoft eine weitere Internet-Spezifikation ins Spiel. Droht hier nicht ein Chaos?

Wedell: Idealerweise sollte sich der Internet-Anwender nicht um diese technischen Details kuemmern muessen. Als Industrie haben wir die Aufgabe, diese Standardisierungsfragen zu loesen und dem Anwender die Benutzung so einfach wie moeglich zu gestalten.

CW: Klingt in der Theorie ueberzeugend. In der Praxis unterscheiden sich die Browser aber erheblich in ihren Anzeigemoeglichkeiten.

Wedell: Ja, allerdings koennen Sie Web-Seiten mit jedem Browser betrachten. Moeglicherweise sieht ein User aber nicht alle Eigenschaften einer Seite. Hier wird es sicherlich weiterhin unterschiedliche Browser geben. Da diese generell kostenlos sind, ist dies kein Problem, da der Anwender nicht auf ein Produkt festgelegt ist.

CW: Sie betonen, dass es die Browser umsonst gibt. Womit will Microsoft im Internet eigentlich Geld einnehmen?

Wedell: Mit PC- und Server-Betriebssystemen sowie Datenbanksoftware, die auf den Internet-Servern laufen. Mit deren Hilfe koennen Content- Provider dann ihr Business betreiben. Laengerfristig wird Microsoft auch mit Inhalten verdienen.

CW: Damit im Internet kommerziell operiert werden kann, sind Sicherheitsmechanismen oder elektronisches Geld notwendig. Wann ist das Realitaet?

Wedell: Nach meiner persoenlichen Einschaetzung dauert das wohl noch ein bis zwei Jahre.

CW: Wie weit ist Microsoft mit seinen Bemuehungen?

Wedell: Wir arbeiten an den Spezifikationen mit. Unsere Software wird die Implementation eines Industriestandards beinhalten.

CW: Glauben Sie, dass die Anbieter zwei Jahre warten, bis sie mit einem Return on Investment rechnen koennen?

Wedell: Etlichen dauert dies sicherlich zu lange. Deshalb springen sie aber kaum ab, denn welche Alternative haetten sie?

CW: Andere Online-Dienste wie T-Online etc.

Wedell: Das Internet ist heute schon der groesste Online-Dienst. Kurzfristig mag der eine oder andere Anbieter und Anwender in einem geschlossenen Online-Dienst wie Compuserve ein sichereres Umfeld finden. Langfristig muss er sich aber der Frage stellen, wie er sich dem grossen Dienst Internet oeffnen kann.

Mit Christian Wedell, Geschaeftsfuehrer Zentraleuropa bei Microsoft, sprach CW-Redakteur Juergen Hill.