Interview

"Wir sind SAP und Oracle um Jahre voraus"

19.11.1999
Mit Mary Coleman, Chief Executive Officer von Baan, sprachen Mary Lisbeth D''Amico, IDG News Service, und CW-Redakteur Bernd Seidel

CW: Die Analysten der Meta Group halten Enterprise Resource Planning (ERP) für tot. Was sagen Sie als Anbieter dazu?

Coleman: Das Gegenteil ist der Fall: ERP ist sehr lebendig, auch wenn viele etwas anderes behaupten. Es ist halt aus der Mode gekommen und wird nicht so hochgejubelt wie vor zwei Jahren noch. Damals waren ERP-Anbieter die Lieblinge der Analysten und Aktionäre, heute sind es Internet-Firmen. Doch diese Unternehmen stellen sehr schnell fest, daß ihre E-Commerce-Lösungen nur die Hälfte wert sind, wenn Anwenderbetriebe nicht auch über funktionierende ERP-Back-Office-Systeme verfügen.

CW: Laut Forrester Research erfüllen mehr als 30 Prozent der ERP-Projekte nicht die Erwartungen der Anwender. Sind diese Fakten Schuld am Abstieg von ERP, haben die Anbieter versagt?

Coleman: Die Zahlen klingen realistisch. Doch in den meisten Fällen ist nicht die Software schuld, sondern der Mensch. Ein ERP-Projekt berührt jeden Arbeitsplatz eines Unternehmens, jeder Job kann sich durch den Einsatz der Software verändern. Ich kann Ihnen demzufolge tausend Gründe nennen, weshalb ein Projekt scheitert: Das Management steht nicht dahinter, die Berater sind nicht ausreichend qualifiziert, die Endanwender wollen keine Veränderung und so weiter.

CW: Analysten und Anwender werfen Baan vor, es habe sich durch die Aufkäufe von Produkten und Unternehmen wie Aurum, Matrix, Coda und Berclain finanziell und angesichts der Mammutaufgabe übernommen, die Pakete technisch und funktional zu integrieren.

Coleman: Diese Strategie war die richtige. Denn wir können nun nach rund drei Jahren zugegebenermaßen harter Arbeit eine vollständig integrierte Suite anbieten. Dazu gehören neben ERP auch SCM- und Front-Office-Tools. Damit bieten wir mehr Funktionen als unsere Mitbewerber, bestätigt AMR Research.

CW: Integration liefert SAP mit R/3 von Anbeginn an.

Coleman: Zunächst einmal sind wir mit unseren SCM- und Front-Office-Produkten, die auf den Paketen von Berclain und Aurum basieren, funktional um mindestens ein, bei einigen Features sogar um drei Jahre voraus. SAP hatte vor mehr als zwei Jahren seine Strategie vorgestellt, die da hieß: selbst entwickeln. Klar, wenn der Marktführer etwas ankündigt, horchen die Anwender auf und stellen Entscheidungen erst einmal zurück. Doch die meisten neuen Applikationen, die die Walldorfer selbst entwickeln, ob Front-Office oder SCM, sind über das Pilotstadium noch nicht hinausgekommen. Wir sind froh, daß Hasso Plattner diese Strategie gewählt hat.

CW: Die enge Verzahnung bei SAP ist neben allen Vorzügen aber auch der Grund für sehr zeitaufwendige Implementierungen. Baan hatte hier bis dato einen Vorteil. Schmilzt dieser nun dahin?

Coleman: Nein, denn unser Produkt ist neu. Wir haben vor zwei Jahren begonnen, auf Basis von Standards, im wesentlichen mit Microsoft-Techniken, unsere Systeme neu zu entwickeln. Sie sind modular und komponentenbasiert. Dank Standards wie DCOM und unserer Open-World-Framework-Architektur sind sie aber dennoch integriert.

CW: Ihre Konkurrenten SAP und Oracle wollen mit ihren Softwareprodukten künftig die einzige Benutzer-Schnittstelle sein - das Stichwort lautet Portal. Auf der Baan World fiel dieser Begriff nicht. Wollen Sie den Desktop dem Mitbewerb überlassen?

Coleman: Unsere Portalstrategie sieht einen Browser-basierten Zugang für alle Baan-Anwendungen vor. Dieser ist mit den Enterprise Solutions im ersten Quartal 2000 verfügbar. Das Frontend läßt sich an die Aufgaben des Mitarbeiters, also an seine Rolle im Unternehmen anpassen. Ob die Person im Einkauf, der Arbeitsvorbereitung oder im Vertrieb tätig ist, sie erhält ihren maßgeschneiderten Arbeitsplatz. Der Anwender hat zudem die Möglichkeit, neben den Geschäftsanwendungen zusätzliche Analysesoftware, Nachrichten und Internet-Sites aus dem Baan-Desktop heraus aufzurufen.

CW: Es kursieren immer wieder Gerüchte, Baan stehe zum Verkauf. In den letzten Wochen haben Sie die Zusammenarbeit mit IBM verstärkt, Baans neuer Finanzchef James Mooney war vorher 19 Jahre bei Big Blue. Putzt er die Braut für eine Übernahme heraus?

Coleman: Gerüchte kommentieren wir nicht. James hat uns geholfen, die Partnerschaft mit IBM zu verstärken, das ist alles.