Fortschrittliche IT und ganzheitliche Philosophie

„Wir sind nicht aus Eigennutz da“

07.03.2003
Von von Jan
Der Pharma- und Kosmetikhersteller Weleda setzt schon seit vielen Jahren neue Technologien frühzeitig ein. Dabei verfolgt das Unternehmen eine Politik der kleinen Schritte und ist nach allen Seiten offen.

MIT 600 MITARBEITERN ist die Weleda AG in Schwäbisch Gmünd kein Riese unter den Heilmittel- und Kosmetikaproduzenten. Trotzdem braucht die hiesige Tochter der schweizerischen Weleda-Unternehmensgruppe den Vergleich mit Großunternehmen nicht zu scheuen. Was die Firma am beschaulichen Ufer der Rems informationstechnisch aufgebaut hat, kann sich sehen lassen. Das Haupteinsatzgebiet der DV liegt wie bei vielen Firmen im Bereich ERP (Enterprise Resource Planning). Den Grundstein dazu legte Weleda bereits 1991: Damals führte die deutsche Niederlassung die Lösung „Top Case“ des Herstellers SWT Bensheim ein. Das ERP-System versieht noch immer seinen Dienst für die Steuerung der Arbeitsabläufe von der Auftragserfassung bis hin zum Kunden. Die Systempflege hat Weleda laut DV-Leiter Günter Turré selbst übernommen: „Bis dato wurden fast alle Programme der Lösung von uns selbst geschrieben.“ Nur einige Basismodule von Top Case laufen laut Turré noch im Originalzustand.

Mitarbeiter tragen Verantwortung

Der Drang zur Eigenentwicklung entsprang in den 90er-Jahren weniger der Freude am Programmieren als der Notwendigkeit, eine unkonventionelle Firmenphilosophie und daraus resultierende Arbeitsabläufe in einem ERPSystem abzubilden. Das Unternehmen gründet sich auf die anthroposophische Lehre, die sich konsequenterweise auch im Arbeitsalltag wiederfindet. So etwa an den Mischtöpfen der Produktion: Wo in anderen Pharma- und Kosmetikbetrieben verschiedene Arbeitsstationen vom Wiegen der Zutaten bis zum fertigen Produkt beteiligt sind, stellt bei Weleda jeder Arbeiter ein Produkt komplett und eigenverantwortlich her. „Wir legen Wert darauf, dass sich eine Person am Arbeitsplatz wohl fühlt“, bringt der DV-Leiter diesen ganzheitlichen Ansatz auf den Punkt. Auch gibt es im Unternehmen sehr viele manuelle Abläufe, die von Branchenlösungen nicht ohne weiteres dargestellt werden können. Schon deswegen habe sich bislang die Eigenentwicklung gelohnt, resümiert Turré.

Doch der Pharmahersteller ist nicht auf eigene Entwicklungen fixiert. In den Bereichen Personalverwaltung und Finanzbuchhaltung setzt Weleda schon seit einigen Jahren auf die Standardsoftware SAP R/3. Die Lösung wird nicht nur am deutschen Standort genutzt: Über ein Virtual Private Network (VPN) ist die schweizerische Konzernmutter mit den Servern in Schwäbisch Gmünd verbunden und nutzt die HR- und Fibu-Module der SAP-Anwendung mit - keine Alltäglichkeit, dass ein Tochterunternehmen die Firmenzentrale mit versorgt. Da aber die deutsche Tochter um ein Vielfaches größer sei als die Zentrale, habe sich der schwäbische Standort nach und nach zum zentralen IT-Dienstleister entwickelt, erläutert Turré. Trotzdem sei innerhalb der Firmengruppe ein dezentraler Ansatz bestimmend. Jede Niederlassung ist laut dem DV-Chef prinzipiell autonom und hat die Freiheit, sich an bestehende Lösungen anzubinden oder eigene Wege zu gehen.

Inzwischen ist jedoch aus Sicht Turrés die Zeit der selbst entworfenen Anwendungen zu Gunsten von Standardlösungen abgelaufen. Weleda ist dabei, eine neue ERP-Software einzuführen. Einer der Hauptgründe sind laut Turré die strengen Vorschriften, die Heilmittelhersteller in allen Bereichen der Produktion und der zugeordneten Prozesse erfüllen müssen: „Es ist unheimlich schwierig, diesen Vorgaben mit einer Individualsoftware gerecht zu werden.“ Jede noch so kleine Änderung an der DV müsse protokolliert werden - egal, ob an der Hardware, Software oder an der Infrastruktur gearbeitet würde. Zudem sei das Unternehmen verpflichtet, alle Systeme jährlich mit Standardtests zu revalidieren. Standards sind für das Unternehmen zudem in der Kommunikation nach außen wichtig. Im Businessto- Business- und Business-to-Consumer- Segment haben sich Protokolle und Technologien etabliert, die von den gängigen Systemen unterstützt werden. Und ebenso kommen intern vermehrt standardisierte Komponenten zum Einsatz, etwa bei Mitarbeiterportalen. Auch das spricht dagegen, weiter mit Eigenentwicklungen zu arbeiten.