"Wir sind gut in der Optimierung alter Techniken"

09.07.1982

Mit Bundesforschungsminister Andreas von Bülow sprachen Helga Biesel und Claudia Marwede-Dengg

-Was empfindet ein Kabinettsmitglied, wenn - wie jüngst der Bundeskanzler vor der Max-Planck-Gesellschaft - die Gefahren der Mikroelektronik in einem Atemzug mit der Kernkraft genannt werden?

Ich glaube, daß die Jugend die Fähigkeit, Zusammenhänge in ihrer Gänze zu überblicken, heute nicht immer einsetzt. Statt dessen stützt sie sich auf ein Teilschnittwissen aus der Wirklichkeit. Hierdurch entstehen dann in der Tat Ängste, die rational nicht nachvollziehbar sind, die aber gerade bewirken, daß man hilflos bestimmten Trends ausgeliefert zu sein glaubt. Bei der Mikroelektronik sind es die technologische Entwicklung und deren Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, die viele Leute befürchten läßt, Opfer eines unbeherrschbaren Trends zu werden. Ich würde, gerne bei allen Technologien auch, die Chancen, die in ihnen liegen, betont wissen.

-Wie verhält es sich mit der Technologiefeindlichkeit und dem vielgesprochenen Ingenieurmangel? Besteht hier nicht eher ein Problem der Qualität als eines der Quantität in der Ausbildung?

Technologiefeindlichkeit in dieser generellen Form ist meiner Meinung nach gar nicht da. Es gibt vielleicht eine gewisse Zurückhaltung, moderne Technologien rechtzeitig aufzunehmen. Da liegen eigentlich die größeren Gefahren. Eine unterschwellige Technikfeindlichkeit ist im übrigen schon durch die alten Eliten auf Grund ihrer humanistischen Bildung vorgegeben.

- Nun sprechen ja Oppositionspolitiker inzwischen schon laut von der Notwendigkeit einer Elitenbildung. Sie selbst, Herr Minister, heben immer wieder das Beispiel Japan hervor, in dem Sie die technologische Spitzenstellung dieses Landes mit seiner hohen Abiturientenzahl in Verbindung bringen.

Also, diese ganze Elitendiskussion ist für mich eine Gespensterdiskussion. Entweder man gehört zur leistungsbereiten und leistungsfähigen, sich dem Wettbewerb stellenden Führungsschicht und jammert nicht oder man gehört nicht dazu und jammert. Entscheidend ist, daß man auf Qualität und Leistung achtet.

-Was Schulen und Hochschulen an qualifizierten Leuten hervorbringen, scheint aber nicht ausreichend zu sein.

Nun, wir haben eine gewisse Verstopfungssituation durch nicht gleichmäßig hoch qualifizierte, jüngere Leute. Das hat einfach mit dem Generationswechsel zu tun. In den Hochschulen sind zahlreiche Professorenstellen besetzt, das ist in der Expansionszeit geschehen. Da im Augenblick personell nicht weiter expandiert werden kann, bleiben diese verhältnismäßig jungen Leute da sitzen und die nachrückende Generation mit zum Teil sehr fähigen Leuten kommt nicht zum Zuge. Ich würde unterstellen, daß das in den Unternehmen genauso ist. Auch da scheint mir ein Teil der in den 70er Jahren aufgerückten Manager für ihre Aufgaben nicht qualifiziert zu sein. Man sollte jetzt die Zeit nutzen, die Veränderungen herbeizuführen, die notwendig sind. Die Frage ist, ob man es macht.

Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Industrie

-Herr Minister, Sie haben neulich bei der Vorstellung des BMFT-Leistungsplans die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Informationsverarbeitungsindustrie kritisiert. Ihr Vorwurf lautete, daß das Potential und die Arbeitskräfte der letzten zwanzig Jahre nicht ausgereicht hätten, um hier eine Spitzenstellung zu erreichen. Meinten Sie diese Kritik firmen- oder technologiebezogen?

Eigentlich brauchen Sie nur die Bilanzen zu lesen und die Verkaufszahlen zu betrachten. Dann können Sie sehen, daß einige Unternehmen erfolgreich und andere weniger erfolgreich gewesen sind. Das mag objektive Gründe haben, das mag schicksalhafte Gründe haben, es mögen auch mangelnde Fähigkeiten mit eine Rolle gespielt haben.

.Aber kein Unternehmen war so schlecht, daß Sie es explizit kritisieren

wollen ?

Nein, wir haben unterschiedliche Felder der Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Wir haben ein Humanisierungsprogramm aufgelegt. Dort sind die Gewerkschaften sehr stark engagiert, über die Zustimmungsverpflichtung des Betriebsrates ist ein unmittelbares Einwirkungsrecht gegeben und die Gewerkschaften sind an jedem Einzelprojekt beteiligt.

Eine Beteiligung bei der Vergabe der Mikroelektronikprogramme, der 450 Millionen Mark, können wir nicht machen.

Hier gibt es gewisse Spannungsmomente, die wir aber dadurch abzubauen versuchen, indem wir den Gewerkschaften einen völligen Überblick über das Gesamtprogramm geben.

- Unsere Frage zielte weniger auf bestimmte Programme, sondern auf die Schaffung eines allgemeinen Konsenses, bei der Mikroelektronik sozusagen an einem Strang zu ziehen.

Wir sind eigentlich mit den Gewerkschaften in fast allen Fragen

einig, auch darin, daß es keinen Sinn hat, bei der Mikroelektronik eine Position des Mauerns aufzubauen, sondern daß man vielmehr eine Strategie des Vorwärtsdurchbruchs organisieren muß. Ich habe das Gefühl, daß die Gewerkschaften bei aller Kritik gegenüber den "Jobkillern" diese Entwicklung in der breiten Masse doch mittragen und akzeptieren. Es ist meines Erachtens ganz evident, daß sie in ihren verantwortlichen Funktionärsbereichen sehr wohl sehen, daß man auf mittlere Sicht neue Technologien einsetzen muß.

-Im Vergleich etwa zu England und Frankreich nimmt sich die Forschungsförderung bei uns sehr bescheiden aus. Haben die beiden anderen Länder im Vergleich zur Bundesrepublik einen Nachholbedarf?

Es ist richtig, daß alle Staaten wieder gleichermaßen auf Wachstum in diesen Feldern setzen, wobei die Deutschen traditionell etwas weniger "subventionsminded" sind als die anderen. Ich kann es mir auch gar nicht leisten, riesige Subventionen auszusetzen, und ich glaube außerdem nicht, daß das langfristig gut ist. Es gibt ja auch einen "record" von staatlichen Fehlentscheidungen und ich weiß nicht, ob es sehr sinnvoll ist, durch künstliches Wachstum sehr schnell die Felder hochzuziehen. Die Franzosen machen in der Forschung beeindruckende Anstrengungen. Die Frage ist, ob ihre Schrittgeschwindigkeit nicht so schnell ist, daß sie in Atemschwierigkeiten versetzt werden. Aber ich kann das im einzelnen nicht beurteilen.

Wir liegen mit unseren Programmen bei Steigerungsraten von 20, 25 Prozent, was ich als Haushaltsexperte als die oberste Grenze sinnvolle

Steigerung ansehen würde. Aber es ist natürlich in Frankreich schon beeindruckend zu sehen, daß zum Beispiel die Post dort sich dazu entscheidet, keine Telefonbücher mehr herauszugeben und alles nur noch über Bildschirm laufen zu lassen. Ich würde das aber nicht gerne über den Staatshaushalt organisieren, allenfalls über den Haushalt der Bundespost.

- Wie beurteilen ,Sie die Chancen für Unternehmen, sich auf europäischer Ebene - wie das damalige Beispiel Unidata - zusammenzuschließen? Es wird ja immer wieder gesagt, daß die europäischen Firmen, seien es jetzt bundesdeutsche, englische oder französische, alleine zu schwach sind, um den Japanern und Amerikanern Paroli bieten zu können.

Ich bin ein überzeugter Anhänger von europäischen Lösungen. Ich sehe aber zu meinem Bedauern in der Industrie die Tendenz zu sagen, in Europa hat das Zusammengehen nur beschränkten Wert, unsere Herausforderung liege im amerikanischen und japanischen Markt. Das heißt auch, eher Amerika als Partner zu suchen als die Europäer. Ähnlich ist es auch bei den Franzosen und Engländern. Wenn sich diese Tendenz weiter durchsetzt, wird Europa als eigenständiges Industriepotential abdanken müssen. Dann ist man hier nur noch über Kooperation mit außereuropäischen Partnern in der Lage, sich durchzusetzen.

Ich sehe da große Gefahren und würde gerne die Vitalisierung der Industrielandschaft auf europäischer Ebene anstreben. Eine Rolle spielen dabei die jeweiligen nationalen Veränderungen der Politik und der wieder stärkere Nationalegoismus, das stärkere nationale Subventionieren, das Aufnehmen von zweit- und dritt- besten Lösungen, damit man den Industrial Return on Investment oder Arbeitsplatzsicherung bekommt. Das macht es unendlich schwierig, eine europäische Lösung durchzusetzen.

- Sie sprachen von der Orientierung am amerikanischen und japanischen Markt. Wären denn diese beiden Länder, was die Umsetzung der Forschungspolitik anbelangt, Modelle für die Bundesrepublik?

Ich habe nichts davon, hinter bestimmten Firmen herzujagen. Das einzige, was ich tun kann: Wir setzen auf "winning teams". Wenn die entsprechenden Teams nicht bereitstehen oder deren Ideen nicht aufgenommen oder nicht in Marketing und Markte verwandelt werden, ist die beste Förderung völlig umsonst.

- Man bemüht sich jetzt in Ihrem Hause, die Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis verstärkt zu fordern. Welche Schwachpunkte gab es hier in den vergangenen Jahren?

Wenn man in der Mikroelektronik Kapazitäten hochzieht, hat das nur Sinn im Blick auf den Markt. Es hat keinen Sinn, eine Technologie an sich zu beherrschen. Das Ergebnis muß sein, die Technologie zur Verfügung zu stellen, damit sie breit einsetzbar ist. Es genügt nicht, daß man den Mikrochip höchstintegriert hat, sondern man muß dann auch Anwendungen dafür finden. Es muß die Software erstellt werden, es müssen die kleinen und mittleren Firmen angeregt werden und schließlich muß der Markt für Produkte entwickelt werden.

Da wir bei uns hier eine gewisse Schwäche gesehen haben, meinten wir, einen Sog des Sich-Beschäftigen-Wollens mit der Mikroelektronik durch den Schwerpunkt "Schaffung neuer Produkte" in Gang zu setzen. Wir sind in Deutschland gut in der Optimierung alter Techniken und bei Verbesserungen, wir haben aber deutliche Schwächen, aus der Kombination von neuen Technologien auch neue kreative Produkte in die Markte zu bringen.

- Wie erklärt sich aber nun diese Schwäche?

Wir sind erstens einmal zu gut gewesen in alter Technik! Diese Spitzenstellung führte dazu, daß man noch lange gut verkaufen konnte, bis man merkte, daß unter einem der Boden weich zu werden begann.

- Sie haben kürzlich die Notwendigkeit der Verbesserung der deutschen digitalen Vermittlungstechnik angesprochen. Ist das vor dem eben skizzierten Hintergrund zu sehen? Bei SEL und bei Siemens ist ja offenbar hier gefördert worden. Nun hatte die Bundespost daneben ein - um in Ihrer Terminologie zu bleiben - "kreatives Produkt" entwickelt - den Bildschirmtext. Den Auftrag für die Btx-Zentralen konnte man aber nicht den geförderten Unternehmen geben, sondern er ging an die IBM. Das ist wohl nicht ganz so gelaufen, wie es laufen sollte?

Ja, das ist sicher richtig. Ich halte es nicht für falsch, daß Konzerne mit internationalem Know-how, wie SEL oder IBM, in eine Konkurrenzsituation kommen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß eine Firma in Amerika an einem Militärprogramm arbeitet und dieselbe Technologie sehr schnell einführt, um in der Kommunikationstechnik bei einer friedlichen Anwendung die Nase vorn zu haben. Wir legen großen Wert darauf, mit Bundespost und Industrie einen gemeinsamen Approach zu organisieren, um der Industrie gewisse Rahmendaten zu geben, auf Grund derer sie dann eine höhere Bereitschaft zum eigenen Engagement und zum eigenen Risiko zeigen kann.

- Die GMD vermarktet ihre Forschungsergebnisse oder soll sie zumindest vermarkten. Sind da schon Erfolge erkennbar?

Unterproportional bisher hoch. Es gab schon Rückflüsse, aber es macht einen nicht high, was die bisher geleistet haben. Wir sind dabei, die GMD umzustrukturieren und sie ähnlich wie die Fraunhofergesellschaft auf den Erfolg hin zu organisieren. Das heißt, daß die GMD neben der Grundlagenforschung, die wir teilweise mitfinanzieren, die Mittel selbst einwerben und erwirtschaften muß.

- Herr Minister, Sie sprechen im Zusammenhang mit den Informationstechnologien des öfteren von der Notwendigkeit eines nationalen Konsenses, eines Zusammengehens von Staat, Industrie und Gewerkschaften. In der Öffentlichkeit ist allerdings eher der Eindruck entstanden, daß Ihr Haus vor allem mit der Industrie und den Großforschungseinrichtungen kooperiert, weniger mit den Gewerkschaften. Ist dieser Eindruck richtig?

Ich glaube nicht. Man darf nicht vergessen, daß Japan in einigen schmalen, zugegebenermaßen auffallenden Bereichen der Industrieproduktion erfolgreich ist, daß man dort aber keineswegs die Tiefe der Durchdringung von sehr unterschiedlichen Märkten im Export erreicht hat wie wir.

Wir haben - so glaube ich - 32 Prozent Exportanteil, die Japaner nur 17. Die Technologiehöhe ist in der Bundesrepublik viel größer als in Japan. Nach der letzten Statistik, die ich gesehen habe, sind bei uns 20,2 Prozent aller Produkte "high Technologie". Die Amerikaner liegen bei 20,5 Prozent und die Japaner bei 17 Prozent. Das heißt, wir haben eine andere Warenstruktur. Daher müssen wir, wenn es um neue Technologien geht, sehr viel dezentraler und breiter ansetzen.

Sowie man aber in die Breite geht, muß man meines Erachtens hier mehr zurückgehen und grundlegende Technologien ausarbeiten, die für eine Vielzahl von Produkten zur Verfügung stehen.

- Zur Marktorientierung der deutschen und europäischen Hersteller auf die USA oder Japan gibt es noch eine Entsprechung: Die Abhängigkeit heimischer Hersteller von ausländischen Lizenzgebern. Wie steht es mit der immer wieder geäußerten Warnung oder Befürchtung, die deutsche Industrie begebe sich da in eine zunehmende Abhängigkeit?

Das ist ein Feld, das man sehr sorgfältig studieren muß, denn da gibt es einige verfälschende Tatbestände. Da ist zum einen die Frage nach der Innovationshöhe von Patenten und den zu vergebenden Lizenzen. Verschiedene Länder haben hier sehr unterschiedliche Traditionen. Dann gibt es den Tatbestand, daß wir große deutsche Tochterunternehmen amerikanischer Konzerne haben, die offensichtlich einen Großteil ihrer Produkte über Lizenzen aus den Vereinigten Staaten beziehen.

Wenn Sie dagegen die großen deutschen Unternehmen vergleichen, dann sehen Sie, daß die in der Regel eine außerordentlich positive Patent- und Lizenzbilanz haben. Die von Ihnen angesprochene Gefahr sehe ich daher keineswegs als so groß an, wie sie manchmal an die Wand gemalt wird. Aber man soll das auch nicht verniedlichen. Es gibt immer Trends, die man rechtzeitig erkennen muß. Man muß dafür sorgen,

daß die Unternehmen rechtzeitig neue Ideen aufnehmen, die auf den Hochschulböden wachsen, und daß sie den Nachwuchs in die entsprechenden Positionen bringen. Die Unternehmen müssen sich von überholten Hierarchieketten, die sie bremsen, freimachen.

Sowie die Wirtschaft gut geht, sind es deren Kapitäne, die alles ordentlich gemacht haben. Sowie irgendwas schief geht, ist es von der Wirtschaft keiner gewesen, sondern der Staat ist schuld. Von dieser Art der Argumentation müssen wir uns lösen.

- Bleiben wir bei den Sündenböcken, diesmal ist es die Post. Ihr wird immer wieder vorgeworfen, sie behindere durch ihr Monopol die deutsche Industrie. Die Post argumentiert, eine einseitige Öffnung des deutschen Marktes gehe zu Lasten der heimischen Industrie, da diese nicht in allen Bereichen "first class" sei. Jetzt scheint sich aber dennoch mit der Entscheidung der Post für die Btx-Zentralen und die Software von IBM eine Liberalisierung anzudeuten.

Ganz sicher ist es so, daß die deutsche nachrichtentechnische Industrie nicht in der Lage ist, auf dem Weltmarkt zu konkurrieren, wenn sie den Heimatmarkt nicht hat. Das gilt für die amerikanische Industrie ganz genauso.

Die Bundespost hat daher die wichtige Aufgabe, über ihr eigenes Interesse hinaus darauf zu achten, daß der deutschen Industrie diese Basis erhalten bleibt. Die Liberalisierung würde ich in bestimmten Bereichen

dann für richtig halten, wenn man das Gefühl hat, das etwa das Preis-

/ Leistungsverhältnis so drastisch anders beim ausländischen Mitkonkurrenten ist als beim heimischen Anbieter, wobei IBM letztlich auch ein nicht uneinheimischer Anbieter ist. In einem solchen Fall kann die Bundespost nicht anders entscheiden. Außerdem muß sie den Aspekt der Modernisierung der Technologie berücksichtigen. Dies führt zugegebenermaßen nicht selten zu Zielkonflikten mit betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten, die sich für die Post als Dienstleistungsunternehmen ergeben. Zur Zeit und für die nächsten Jahre muß sie versuchen die bestehenden Netze mit den neuen Technologien zu einem Mischsystem zu organisieren.