Wir müssen schneller und flexibler werden

07.01.1983

Lothar Späth

Ministerpräsident von Baden-Württemberg

Die Volkswirtschaften fast aller hochindustrialisierter Länder haben in den Letzten Jahren eine bemerkenswerte, Entwicklung genommen: Sie verwendeten ihre Produktivitätssteigerungen in weit größerem Maße dazu , ihre kollektiven sozialen Leistungssysteme auszubauen und zu perfektionieren als zur Schaffung neuer Innovations- und Investitionskapazitäten. Da die Zuwachse an Produktivität - bedingt durch Energie- und

Rohstoffverteuerung, aber auch durch nachlassende Investitionstätigkeit - in geringerem Umfang stiegen als die wirklichen oder vermeintlichen sozialen Bedürfnisse, wurde die Finanzierungslücke durch rasch wachsende jährliche Neuverschuldungsraten, geschlossen. Die Stabilität dieser Politik konnte, angesichts, der Bedingungen eines freien Welthandels, auf Dauer nur unter zwei Voraussetzungen aufrechterhalten werden:

- Kein industrialisiertes Land von weltwirtschaftlichem Gewicht durfte die Prioritäten grundlegend anders setzen, also etwa das Schwergewicht seiner nationalen Entwicklung auf den Ausbau produktiver Kapazitäten statt auf den sozial konsumtiven Bereich legen;

- und kein anderes industrialisiertes Land durfte im technologischen Sektor einen entscheiden internationalen Vorsprung gewinnen.

Wir wissen, daß beide Voraussetzungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Aus dem gemächlichen Geleitzug, der die Geschwindigkeit drosselte, um dem Wohlbefinden der Besatzung erhöhte Aufmerksamkeit, zuwenden zu können, brachen einige Nationen aus: Japan zum Beispiel, indem es zielbewußt auf den Weltmarkt ausgerichtete Forschungs- und Produktionsstrategien verfolgte; und eine Reihe von Schwellenländern, die ebenso zielbewußt die Grundlagen für ein möglichst rasches wirtschaftliches Wachstum legten. Als Konsequenz haben wir heute folgende Situation:

In Europa stagniert das wirtschaftliche Wachstum und die technologische Entwicklung in wichtigen Schlüsselbereichen.

Rasch wieder Produktinnovationen

In den USA und Japan gibt es zwar teilweise wirtschaftliche Stagnation - in den Vereinigten Staaten stärker als in Japan -, das technologische Potential ist aber sehr gilt ausgebaut und, bei etwas verbesserten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, rasch wieder in Produktinnovationen umzusetzen.

In den Schwellenländer des südostasiatischen Raum schließlich ist die wirtschaftliche Dynamik noch ungebrochen, sind also Investitionsspielräume gegeben, und das technologische Know-how verbessert sich rasch auf internationales Spitzenniveau.

Von dieser Ausgangslage betrachtet und unter Berücksichtigung vieler subventionsträchtiger, überholter Strukturen, scheint Europa den schwersten Weg vor sich zu haben. Es muß Forschungs- und Wirtschaftsstrukturen umgestalten, und das in einer Zeit stagnierenden Wirtschaftswachstums, knapper öffentlicher wie privater Mittel und offensiver Exportstrategien der amerikanischen und fernöstlichen Konkurrenten.

In dieser Situation wird, und das ist nicht verwunderlich, vielfach der Ruf nach Abwehr laut. Handelsbeschränkungen sollen zu erfolgreiche ausländische Wettbewerber von den europäischen Binnenmärkten fernhalten. Neue Technologien sollen nicht oder nur sehr zögerlich zur Anwendung kommen, um Arbeitsplätze so lange als möglich zu erhalten.

Um in dem von mir gebrauchten Bild zu bleiben: Die langsameren Schiffe wollen notfalls durch Querliegen, das Tempo bestimmen. Doch die Rechnung kann nicht aufgehen: Denn da die Weltwirtschaft längst kein Geleitzug mehr ist, in dem die klassischen Industrieländer den Ton angeben, stört es die Schiffe an der Spitze nur sehr wenig wenn hinter ihnen Störmanöver erfolgen.

Was muß statt dessen geschehen? Es gibt nach meiner Überzeugung nur ein erfolgversprechendes Mittel: Wir, die europäischen Industrieländer, müssen wieder mehr Fahrt gewinnen. Wir müssen schneller und flexibler werden und gerade Kurs nach vorne halten. Das heißt: Wir müssen die technologische Herausforderung annehmen, und dies bedingt ein konzentriertes Zusammenwirken von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.

Die technologische Herausforderung - sie besteht vor allem m dem ungeheuer schnell gewachsenen Anwendungsspektrum der Mikroelektronik. Sie entfaltet nämlich ihre Kostenvorteile vor allem durch Rationalisierung und Automatisierung. Unsere Industrie kommt nicht darum herum, Ihre Produktionsverfahren zu automatisieren und Produkte, die jetzt noch auf mechanischer oder elektromechanische Basis arbeiten, auf elektronische Steuerungsmechanismen umzustellen.

Auch dies bedarf einer konzentrierten Anstrengung aller Beteiligten, der Hersteller, der Anwender, der Deutschen Bundespost und des Landes Baden-Württemberg. Vor diesem Hintergrund sind die forcierten Bemühungen zu sehen, die gerade die baden-württembergische Landesregierung unternimmt, um schnellstmöglich die ordnungspolitischen Voraussetzungen für die Anwendung neuer individueller Kommunikationstechniken zu schaffen.

Exportbereitschaft verstärken

Dieselbe Aufmerksamkeit wie den Automationserfordernissen müssen wir aber dem zweiten Anwendungsfeld der Mikroelektronik widmen: der Informations- und Kommunikationstechnik. Hier können, durch die Kopplung zweier Basisinnovationen - moderner Mikroelektronik und Glasfasertechnik - ökonomische Potentiale größten Ausmaßes entstehen. Voraussetzung dafür ist freilich nicht nur, daß einzelbetrieblich investiert wird, sondern daß ein leistungsfähiges Kommunikationswesen aufgebaut wird.

Schließlich gilt es, die Exportbereitschaft und Exportfähigkeit unserer mittelständischen Wirtschaft erheblich zu verstärken. Wie dies zu geschehen hat, kann nach unserem Verständnis einer freien marktwirtschaftlichen Ordnung nicht, von Staats wegen festgesetzt werden. Deshalb haben wir uns den Sachverstand der Wirtschaft in der Expertenkommission "Exportförderung" zunutze gemacht, und wir werden deren Vorschläge sorgfältig prüfen und, wo immer es möglich ist, in die Tat umsetzen.

Flankierende Hilfestellungen durch den Staat sind aber nicht nur möglich und ordnungspolitisch unbedenklich sie werden zukünftig verstärkt vonnöten sein. Das betrifft etwa die Frage des Technologietransfers, den wir verstärken werden, oder die Ausweitung exportorientierter Schulungs- und Studienmöglichkeiten.

Das sind in kurzen Zügen die wirtschaftlichen und technologischen Umorientierungen, wie ich sie für unabweisbar notwendig halte.

Auszug aus einer Rede die am 14. Dezember 1982 in Stuttgart anläßlich des Kongresses "Zukunftschancen eines Industrielandes", gehalten wurde.