"Wir muessen offen sein fuer Ideen auch ausserhalb der IBM" Big Blues PC-Company gibt sich trotz Erfolgen recht bescheiden

30.07.1993

Die PC-Company der IBM ist seit neun Monaten selbstaendig. Welche Position nimmt die "neue" IBM gegeueber Kunden, Mitbewerbern und den anderen Divisionen im Haus ein?

CW-Mitarbeiterin Kriemhilde Klippstaetter sprach mit Michael Coleman, Vice-President Marketing der IBM PC-Company, ueber das Profil des Unternehmens.

CW: Wie weit ist die Aufteilung der IBM fortgeschritten? Bietet die IBM PC-Company ein weltweit einheitliches Bild?

Coleman: Eine endgueltige Aufteilung gibt es bis jetzt noch nicht. Wir haben eine Reihe von organisatorischen Versuchen unternommen, um zu sehen, was am besten funktioniert. In der "alten" IBM haette man sich auf ein Modell fuer alle Laender geeinigt, egal ob richtig oder falsch. Heute sehen wir eine Reihe von denkbaren Vorgehensweisen. Sicherlich, die Basisentscheidungen ueber Produkte, Design, Service und Support fallen bei uns. Aber wir koennten in den einzelnen Laendern beispielsweise unterschiedliche Marketing-Partnerschaften schliessen. Noch einmal: Wir durchlaufen gerade eine Art Lernprozess, um sicherzustellen, dass wir die Dinge richtig anpacken, anstatt sie weltweit in ein Raster zu pressen.

CW: Die IBM hat kuerzlich in Deutschland ein Ladengeschaeft eroeffnet. Bedeutet das eine neue Vertriebsstrategie?

Coleman: Nein, wir werden weiter ueber unsere Haendler verkaufen. Allerdings unternehmen wir in Deutschland und Kanada momentan Experimente, unsere Produkte ueber unterschiedliche Kanaele auf den Markt zu bringen. Vermutlich werden wir nicht fuer jedes Land eine andere Strategie verfolgen, aber natuerlich koennen Aktionen in Asien anders aussehen als in Europa und noch einmal anders in Kanada, USA oder Lateinamerika. Wir stellen uns eine Aufteilung von 80 Prozent Gemeinsamkeit und 20 Prozent laenderspezifischer Besonderheit vor.

CW: Ist die PC-Company voellig frei in ihren Entscheidungen, kann sie beispielsweise auch direkt verkaufen?

Coleman: Ja.

CW: Keine Probleme mit Icpi, das die Ambra-Rechner vertreibt?

Coleman: Nein. Wir haben die Entscheidungsgewalt in die PC-Company gebracht und versucht, unsere Neuorientierung allen Geschaeftspartnern und IBM-Filialen zu verdeutlichen.

CW: Sie entscheiden also in Eigenverantwortung, wie neue Produkte auszusehen haben und woher sie kommen?

Coleman: Ja, wobei wir natuerlich von den verschiedenen Forschungsstaetten der IBM profitieren und entscheiden, was wir von den Labs fuer unsere Produkte haben wollen. Das ist historisch gesehen neu fuer uns. Beispielsweise kam der 10,4-Zoll- Farbbildschirm des Thinkpads aus der IBM-Forschung.

CW: Es gibt eine Vereinbarung mit Parallan ueber den Bau von PC- Servern. Schliesst das auch die zukuenftige Entwicklung von Superservern auf PC-Basis ein?

Coleman: Die Verbindung mit Parallan besteht seit einem Jahr, da diese Firma Techniken im Server-Bereich hat, die wir nicht haben. Sie entwickelt exklusiv

fuer uns die Rechner, und wir machen dann das, wofuer wir bekannt sind: Qualitaetstests, Integration und Vermarktung der Geraete unter unserem Namen. Die Server 295 und 195 kommen von Parallan, und kuerzlich wurde die naechste Familie - Server 95 - fertig. Wir sind sehr zufrieden mit den Entwicklungen und auch damit, wie sie von unseren Kunden aufgenommen wurden. Die IBM muss offen sein fuer gute Ideen und Produkte - auch ausserhalb der blauen Welt. Jeder muss entscheiden, ob er seine Zeit fuer Entwicklung verwendet oder am Markt zukauft; wir koennen nicht alles und jedes erfinden.

CW: Wie geht es denn mit den Servern weiter?

Coleman: Wir werden PC-Techniken bringen, die in puncto Geschwindigkeit und Leistung einem Mainframe gleichkommen.

CW: In Multiprozessor-Technik?

Coleman: Ja, vor allem fuer Rightsizing-Umgebungen, die den Markt fuer diese Rechner schaffen. Und wir werden mit Technologien aufwarten, die Rightsizing fuer die Kunden plausibel machen. Unser Zielmarkt ist dabei vorrangig Europa, denn dort sind die Anwender, was die Verbreitung von Basistechnologien wie lokale Netze etc. angeht, weiter als in den USA.

CW: Und Sie erwarten keine Schwierigkeiten mit der Mainframe- oder Midrange-Abteilung der IBM?

Coleman: Tatsaechlich gibt es bei einigen die Befuerchtung, dass wir intern die Diskussion haben und die Mainframer sagen: Halt, das koennt ihr nicht tun. Aber das ist altes Denken. Ich wuerde nicht sagen, dass IBM in der Vergangenheit nicht so gehandelt hat. Aber die Realitaet schaut so aus: Kein Teil der IBM darf einen anderen aufhalten. Derlei ist heute einfach nicht moeglich, die Konkurrenz wuerde neue Techniken sofort einfuehren, egal ob mit oder ohne IBMs Mitwirkung.

CW: Was geschieht, wenn ein Kundenproblem verschieden geloest werden kann, beispielsweise mit einer AS/400 und Terminals oder einem PC-LAN, das gibt doch intern Probleme?

Coleman: Nein, es waere hoechstens ein Problem, wenn es eine Firma gaebe, die den Kunden Loesungen diktiert.

Der Markt wird entscheiden, was er braucht, mit oder ohne uns. Uns wird es besser gehen, und wir werden wettbewerbsfaehiger sein, wenn wir uns weniger Sorgen um uns selbst machen. Jeder Teil der IBM muss selbstaendig Sorge dafuer tragen, dass er staerker als die jeweilige Konkurrenz ist. Es macht keinen Sinn, die Midrange- Abteilung zugunsten der Mainframe-Division auf der Stelle treten zu lassen, nur weil es denen schlecht geht.

CW: Nochmal, wie einigt man sich intern, wenn die IBM grundverschiedene Alternativen zu einem Problem anbietet?

Coleman: Die Vielfalt ist unsere Staerke. Aber wenn der Kunde vor der Wahl steht, eine PC- oder eine Midrange-Loesung zu nehmen, soll er die Wahl treffen. Wir muessen nur sicherstellen, dass wir in jedem Fall die bessere Loesung anbieten koennen, egal fuer welche Architektur der Kunde sich entscheidet. Unsere Konkurrenten liegen ausserhalb, nicht innerhalb der IBM.

CW: Was, glauben Sie, wird der zukuenftige CPU-Chip sein?

Coleman: Eine Reihe von neuen Chips erscheint am Horizont, die alle Unterschiedliches leisten koennen. Die Vielfalt ist meiner Meinung nach gut fuer den Markt. Ich glaube aber nicht, dass eine dramatische Abkehr von Intel zu Power-PC oder Alpha von DEC stattfinden wird. Man wird sehen, fuer welche Applikationen sie jeweils am besten geeignet sind.

CW: Werden Sie nicht den Power-PC forcieren?

Coleman: Ich denke, dass sich diese CPU gut am Markt behaupten wird, aber wir werden unseren Kunden keine Architektur vorschreiben, das ist Vergangenheit. Wir warten ab, wie die Kundenbasis entscheidet, und verstaerken oder verlangsamen dann die Anstrengungen. Heute ist keine von Technologie getriebene Firma wie IBM in der Lage zu sagen: Dies ist ein Absolutum, und wir gehen diesen Weg. Diese Zeiten sind vorbei. Was wir machen muessen, ist, die guten Techniken in Form von Produkten auf den Markt zu bringen und genau zu beobachten, ob die Kunden bereit sind, fuer die einzelnen Funktionen zu zahlen. Das haengt natuerlich auch von dem gebotenen Preis-Leistungs-Verhaeltnis ab.

CW: Da haette IBM mit dem Power-PC gute Karten, der ja nur zirka halb so teuer ist wie Intels Pentium.

Coleman: Ich glaube nicht, dass Intel stillstehen wird. Das war jedenfalls in der Vergangenheit nie der Fall.

CW: Was sagen Sie zur Dominanz von Microsoft?

Coleman: Wir haben eine sehr gute Beziehung zu Microsoft und natuerlich zu unserem OS/2. Ich glaube nicht, dass einer den anderen dauerhaft dominieren wird, sondern dass die Fuehrerschaft wechselt. Fuer uns als PC-Company ist es wichtig, Loesungen anzubieten, die der Markt nachfragt, sei es mit OS/2 oder Produkten von Microsoft oder auch Novell. Wieder gilt: Es ist mehr ein Gebot des Zuhoerens als des Diktierens.

CW: Gilt das auch fuer Unix?

Coleman: Eigentlich schon. Wir erwarten fuer die naechsten zwei bis drei Jahre einen gewissen Bedarf fuer Unix am Desktop. Einen dramatischen Schwenk zu Unix auf PCs wird es meiner Meinung nach aber nicht geben.

CW: Wie erfolgreich waren denn nun die ersten neun Monate der IBM PC-Company?

Coleman: IBM veroeffentlicht keine Teilzahlen, aber wir hatten die besten drei Quartale seit Einfuehrung des PCs. Unsere Lieferungen liegen ueber denen des Industriedurchschnitts, und wir konnten viele Kunden, die wir in den letzten Jahren verloren hatten, zurueckgewinnen. Wichtig fuer uns ist, dass sich jedes unserer Produkte gut verkauft und die erzielten Erfolge nicht nur von einer Produktlinie stammen.