"Wir müssen die IT sexy machen!"

03.07.2008
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Karen Funk ist Senior Editor beim CIO-Magazin und der COMPUTERWOCHE (von Foundry/IDG). Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind IT-Karriere und -Arbeitsmarkt, Führung, digitale Transformation, Diversity und Sustainability. Als Senior Editorial Project Manager leitet sie zudem seit 2007 den renommierten IT-Wettbewerb CIO des Jahres. Funk setzt sich seit vielen Jahren für mehr Frauen in der IT ein. Zusammen mit einer Kollegin hat sie eine COMPUTERWOCHE-Sonderedition zu Frauen in der IT aus der Taufe gehoben, die 2022 zum 6. Mal und mit dem erweiterten Fokus Diversity erschienen ist.
Wie lässt sich der IT-Fachkräftemangel in Deutschland verringern? Im CeBIT-Karrierezentrum der COMPUTERWOCHE wurde diese Frage heftig diskutiert.

Mit einer Arbeitslosenquote von nur rund zwei Prozent haben wir derzeit Vollbeschäftigung in der IT-Branche", erklärte Thomas Mosch, Mitglied der Geschäftsleitung des Branchenverbands Bitkom, zur Eröffnung des Job- und Karriereforums der computerwoche auf der CeBIT 2008. Seinen Ausführungen zufolge gibt es rund 18 000 freie Stellen im Bereich Softwareentwicklung und IT-Services. Aber auch die Fachabteilungen suchen IT-Experten - laut Mosch sind zur Zeit 25 000 Plätze zu besetzen. "Und die Lage wird sich weiter verschärfen", warnte der Bitkom-Sprecher.

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warum der Branche Fachkräfte fehlen;

wie man das Image der IT verbessern kann;

was Unternehmen und Universitäten gegen den Fachkräftemangel tun können.

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1855629: Kampf um Informatikstudenten;

553834: Mehr Frauen in die IT.

Einer Studie des Marktforschungsinstituts Aris zufolge arbeiten derzeit rund eine Million IT-Experten außerhalb der IT- und Telekommunikationsbranche. Auch zwischen den unternehmenseigenen IT-Abteilungen und den Fachbereichen herrscht Wettstreit um die besten IT-Köpfe. Oliver Tuszik, Mitglied des Vorstandes bei Computacenter, bestätigt das: "Die Fachabteilungen klauen den IT-Abteilungen die IT-Experten."

Da viele Berufsbilder immer komplexer werden und die IT auch aus Bereichen wie etwa Marketing und Vertrieb nicht mehr wegzudenken ist, entste-hen zunehmend neue Stellenprofile in anderen Abteilungen, die auch IT-Kenntnisse umfassen. Edgar Aschenbrenner, Mitglied der Geschäftsführung von HP Services, hob drei Bereiche besonders hervor, in denen sich viele neue IT-Arbeitsplätze herausbilden: an der Schnittstelle zwischen Geschäftsprozessen und IT, im Bereich Business-IT-Alignment und da, wo es um das Thema Kosteneinsparung wie etwa in der IT-Administration gehe.

Doch woher sollen die Profis kommen? Die Universitäten schicken nicht genug Nachwuchskräfte: 2007 beendeten nur 28 360 Studenten ihr Informatikstudium, das sind fünf Prozent weniger als noch im Jahr davor. Wie also kann man mehr junge Leute für ein Informatikstudium begeistern? "Wir müssen unseren Berufsstand sexy machen", forderte Tuszik Unternehmen und Branchenverbände auf. "Und zwar nicht nur, wenn die Konjunktur gut ist, sondern langfristig." Es gehe darum, das Image der IT-Branche zu verbessern. Laut Tuszik müsse man den Studenten klarmachen, dass die Branche Zukunft habe, stabil sei und zu den innovativsten der Welt gehöre. Bitkom-Mann Mosch legte nach: "Wer wird denn die Klimaprobleme der Welt lösen? Wer macht intelligente Medizintechnik? Das sind Informatiker!" Um mit dem Klischee des Computer-Nerds im Karohemd aufzuräumen, müsse man in der breiten Öffentlichkeit ein wirklichkeitsgetreues Bild des Informatikers zeichnen. "Wir brauchen im Vorabendprogramm eine Daily Soap, wo der Held ein Informatiker ist", so Mosch weiter, denn die Branche sei attraktiv, nur wisse das keiner.

Elisabeth Heinemann, Professorin im Fachbereich Informatik an der Fachhochschule Worms, plädierte dafür, bereits viel früher, nämlich in der Schule, an die jungen Menschen heranzutreten. Hier müsse Aufklärungsarbeit in Sachen Informatik geleistet werden: "Wir müssen den Schülern vermitteln, wie vielfältig die Einsatzgebiete in der IT sind. Denn es gibt viel mehr als die reine Softwareprogrammierung." Zudem sollten die jungen Menschen früher über Berufswege beraten werden: "Denn von einem sehr gut ausgebildeten, aber unglücklichen Informatiker haben Sie am Ende auch nichts."

Einig waren sich die Diskutanten, dass weiterhin Programmierer ausgebildet werden müssen, die technische Grundausbildung also nicht zu kurz kommen dürfe. Allerdings müsse auch auf die neuen Anforderungen des Markts eingegangen werden. Unternehmen suchen eben nicht nur Programmierer, sondern auch Allrounder, die neben der Informatik betriebswirtschaftliches Wissen, Sozialkompetenz und Prozess-Know-how mitbringen. "SOA wird immer mehr Realität. Wir brauchen Leute, die die Prozesse in Unternehmen verstehen", bestätigte Consol-Geschäftsführer Beutner. Gerade in dieser Hinsicht müssten die jungen Informatiker viel früher ausgebildet werden. "Junge Leute müssen generisch lernen, wie Prozesse funktionieren", fügte Heinemann hinzu. Tuszik von Computacenter betonte zudem Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit und Teamgeist, der gerade beim Arbeiten in verteilten Teams notwendig sei. "Um diese Skills zu lernen, brauchen die Studenten aber auch die Nähe zu den Unternehmen. Das können die Universitäten nicht alleine stemmen."

Die Professorin kritisierte, dass viele Universitäten derzeit ihre Pfründe sicherten und zu träge auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts reagierten. "Leider hat es die deutsche Hochschullandschaft bei der Einführung der Master- und Bachelor-Studiengänge versäumt, auf die Bedürfnisse der Unternehmen zu achten", so Heinemann.

Mosch bemängelte zudem die geringe Frauenquote in der Informatik: "Es gelingt uns offensichtlich nicht, genügend Frauen für das Fach zu begeistern. Wir verschenken riesige Potenziale!" Während in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Spanien und Italien der Frauenanteil unter den Studienanfängern in der Informatik bei über 30 Prozent liegt, kam Deutschland 2007 gerade mal auf 17 Prozent. In puncto Ausbildung plädierte der Bitkom-Sprecher zudem für eine größere Durchlässigkeit im Bildungsbereich: Universitäten müssten künftig auch Studenten aus dem dualen System zulassen.

Im gleichen Atemzug appellierte Mosch an die Unternehmen, dafür zu sorgen, dass die IT-Fachkräfte länger in der Branche bleiben: "Wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir die Beschäftigungsfähigkeit älterer Mitarbeiter erhalten." Weiterbildungsmaßnahmen könnten hier eine Antwort sein. Dass die Unternehmen inzwischen gezwungen seien, sich auf ihre vorhandenen Potenziale zu besinnen und eigene Mitarbeiter weiterzubilden, bestätigte Computacenter-Mann Tuszik. Allerdings sei das Beharrungsvermögen der Angestellten teilweise sehr hoch, bemängelte er: "Viele stellen sich auf den Standpunkt, ich habe den Job schon so lange und so gut gemacht, warum soll ich etwas Neues lernen?"

Das Thema Zuwanderung durfte in der Diskussion nicht fehlen. Dafür sorgte Bitkom-Sprecher Mosch: "Wir müssen uns die Frage nach Zuwanderung besonders im Bereich der Höchstqualifizierten stellen." Mosch forderte mehr Offenheit vom Gesetzgeber. Den zugewanderten Fachkräften soll es ermöglicht werden, ihre Familien nachzuholen. Durch die Integration ausländischer Experten könnten zudem neue Firmen entstehen, die wiederum neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen würden. Dass der Ausweg allein über ausländische Fachkräfte gelingen kann, bezweifelte Podiumsteilnehmer Frank Mang, Executive Partner bei der Unternehmensberatung Accenture. "Natürlich gibt es auch in anderen Ländern gut ausgebildete IT-Profis. Aber wir brauchen hier Leute, die mit dem Anwender reden können. Damit meine ich nicht perfektes Deutsch, sondern die Kenntnis des deutschen Kulturraums."

Im harten Konkurrenzkampf um die Talente engagieren sich die Firmen inzwischen viel stärker an den Universitäten, um frühzeitig Absolventen für ihr Unternehmen zu gewinnen. Zudem investieren sie verstärkt in interne Aus- und Weiterbildung. Das Consulting-Unternehmen Accenture biete seinen Mitarbeitern ein mehrwöchiges, internes SAP-Ausbildungsprogramm an, so Executive Partner Mang. "Wir bilden in Deutschland jährlich 600 Mitarbeiter aus", erläuterte Aschenbrenner. Die kontinuierliche Weiterbildung derer, die ihre Ausbildung bereits hinter sich hätten, werde in regelmäßigen Zielgesprächen in die Wege geleitet. "Weiterbildung muss ein ständiger Prozess sein und darf nicht nur punktuell stattfinden", so der HP-Manager weiter.