existenzgründung: vom seminar in den vorstand der ag

"Wir machen Zukunft gestaltbar"

20.10.1999
Ihr Leitspruch stünde auch einer Bausparkasse gut zu Gesicht. Doch die Absolventen der Universität Paderborn planen die Zukunft von Unternehmen mit Hilfe einer Software - und das mit Erfolg: Aus ersten Projekten am Institut entstand mittlerweile eine kleine Aktiengesellschaft.

vormittags sitzt Wirtschaftsingenieur Oliver Schlake auf den harten Stühlen der Bibliothek der Uni Paderborn und arbeitet an seiner Promotion. Nachmittags nimmt er als Vorstandsmitglied auf dem bequemeren Chefsessel der um die Ecke gelegenen Sce-nario Management International AG (ScMI) Platz und kümmert sich um die Kunden und Projekte des Unternehmens.

Der Traum von der schnellen Karriere begann für Schlake mit einer zündenden Idee, die er mit seinen Kommilitonen Alexander Fink und Andreas Siebe vor wenigen Jahren hatte und mit Erfolg in die Tat umsetzte: "Wir wollten die Zukunftsplanung der Unternehmen einfacher und effektiver machen." Das Trio arbeitete am Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn an der Weiterentwicklung der herkömmlichen Szenarienplanung. Mit dieser Methode erstellen Unternehmen Zukunftsprognosen, die für das Überleben einer Firma entscheidend sein können.

Wegen der Globalisierung der Märkte und der rasanten Technologieentwicklung agieren viele Unternehmen, Organisationen und Verwaltungen heute in einem zunehmend unsicheren Umfeld. "Die bisherigen Methoden der Systemanalyse stoßen bei der größeren Komplexität der sich schnell wandelnden Industriegesellschaft an ihre Grenzen", sagt Harold Linstone, Professor an der Portland State University, der sich bereits seit den 60er Jahren mit szenariobasierten Planungsmethoden befaßt.

Die vorherrschenden eindimensionalen Zukunftssimulationen werden durch die größere Komplexität des globalen Marktes ausgehebelt. Diese Meinung vertritt auch Zukunftsforscher John Petersen vom amerikanischen Arlington-Institut. Jederzeit können Ereignisse mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit und großer Wirkung die ganze Planung plötzlich zur Makulatur werden lassen.

Die Antwort sind mehrdimensionale Zukunftsmodelle. An ihrem Institut fanden die drei jungen Wirtschaftsingenieure ein Umfeld vor, das es erlaubte, mit der Industrie eine solche Methodik zu entwickeln. In Projekten mit Audi, Siemens oder dem Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) für die deutsche Pumpenindustrie wurde die herkömmliche Planung zum Szenario Management weiterentwickelt. Mit dieser systematischen Vorgehensweise ist es zum Beispiel möglich, das Risiko alternativer Entwicklungsmöglichkeiten abzuschätzen, neue attraktive Geschäftsfelder zu erkennen und zu entwickeln oder Handlungsempfehlungen zu erstellen, um neue Potentiale zu erschließen.

Herzstück der Methode ist für Schlake die Software "Szenario-Manager". Damit könnten vernetzte Wechselwirkungen erkannt und selbst indirekte Abhängigkeiten erfaßt werden: "Die enorme Komplexität der Faktoren der Szenariendarstellung kann mit diesem Softwaretool verdichtet werden." So ließen sich Erfolgs- und Nutzenpotentiale früh erkennen und erschließen.

Arbeit an Zukunftsmodellen

Nachdem sie in der Projektarbeit mit den Unternehmen ihr Instrumentarium entwickelt und erfolgreich erprobt hatten, gründeten die drei Partner mit anderen Kollegen und Absolventen des Instituts sowie einigen Partnern aus der Industrie Ende vergangenen Jahres die ScMI als kleine Aktiengesellschaft. Als Gründungsaktionäre konnten einige Führungspersönlichkeiten gewonnen werden: zum Beispiel Franz Tessun, Leiter Informations- und Szenario-Management der Daimler-Chrysler Aerospace, der den Aufsichtsratsvorsitz der ScMI AG übernahm. Mit von der Partie im Aufsichtsrat ist auch Dieter Hoffmann, der Direktor des Center für Innovative Themen der Siemens Business Services GmbH.

"Wir machen die Zukunft gestaltbar", umschreibt Vorstandsmitglied Alexander Fink den Leitsatz des neuen Unternehmens, das mit Workshops, Zukunftskonferenzen und mehrmonatigen Szenarioprojekten anderen Firmen hilft, zukunftsfähige Strategien zu entwickeln. Die Hoffnungen der ehrgeizigen Gründer scheinen sich zu erfüllen, wie die ersten erfolgreichen ScMI- Projekte im laufenden Jahr zeigen. General Motors (GM) zum Beispiel wollte in einem Pilotprojekt ausprobieren, wie sich neue Techniken der strategischen Zukunftsplanung in der Automobilindustrie bewähren. In die Zukunft zu blicken wurde somit zur Aufgabe von Anders Haggard, Manager der GM-Tochter Saab Automobile im schwedischen Trollhättan. Die Ergebnisse sollten über Saab hinaus auf geeignete Produktbereiche des Gesamtkonzerns übertragbar sein. "Wir wollten herausfinden, wie sich künftige Technologielücken und Marktchancen besser identifizieren und nutzen lassen," beschreibt Haggard. Auf der Suche nach einem Weg,

mögliche Szenarien konsistent darzustellen, stieß er auf die Paderborner. Zufrieden mit den Ergebnissen umschreibt der Automobil-Manager seine Erfahrungen mit dieser neuen Methode der Zukunftsplanung: "Szenario Management ist ein Ansatz, weiße Flecken zu lokalisieren und sich in deren Richtung zu bewegen."

Mit einem Szenarioprojekt in der Möbelindustrie bewiesen Fink, Schlake und Siebe, daß sich methodische Zukunftsplanung für mittelständische Unternehmen eignet. Mit einer Reihe von ostwestfälischen Möbelherstellern bildeten sie eine Projektgruppe und erarbeiteten über mehrere Monate hinweg die verschiedenen Zukunftsszenarien dieser Branche.

Daß die Methode nicht nur in der Industrie greift, sondern auch bei der Regionalentwicklung der Kommunen, zeigte das Beispiel der Stadt Büren in Ostwestfalen. Im Rahmen eines Szenario-Management-Projekts wurde eine neue Standortkonzeption für den Raum Büren entwickelt und ein kontinuierlicher Veränderungsprozeß bei den politischen Akteuren angestoßen. "Auch die Gemeinden müssen sich in einem Umfeld behaupten, das zunehmend instabiler wird", zieht der Bürener Stadtdirektor Wolfgang Runge die Parallele zur Industrie.

Der endgültige Durchbruch gelang den drei Gründern, als Aufsichtsratsmitglied Dieter Hoffmann das Szenario Management von ScMI ins Beratungsangebot von Siemens Business Service aufnahm, um seinen Kunden nicht nur innovative Technologien, sondern auch Hilfe bei der optimalen Gestaltung der internen Abläufe anzubieten. Denn "Technologien sind nur so gut wie die Organisation der Geschäftsprozesse", weiß Hoffmann.

Institutskollegen werdenAnteilseigner

Für ScMI-Vorstand Alexander Fink ist Szenario Management nicht nur eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe für das Management, sondern auch ein "Katalysator für strategisches, zukunftsorientiertes Denken." Weil Mitarbeiter und Führungskräfte gemeinsam die Unternehmenszukunft entwickeln, fördere Szenario Management ein aktives Handeln. Mit vernetztem Denken und dem Selbstbild der lernenden Organisation reagiere ein Unternehmen schneller und adäquater auf die Veränderungen der Technologie und des Marktes.

Mit dieser Ausrichtung seines Leistungsangebots scheint Fink den Nerv der Unternehmen getroffen zu haben, wie die nach seinen Angaben stark ansteigende aktuelle Nachfrage belegt. Als Segen erweist sich die Entscheidung der drei Gründer, ihre Institutskollegen als Anteilseigner ins Boot genommen zu haben. Dadurch haben sie jetzt personelle Ressourcen zur Verfügung, die sie auf dem leergefegten IT-Arbeitsmarkt ansonsten nur schwer finden würden.

*Johannes Fritsche ist freier Journalist in Bonn.