Wir haben kein geschütztes Terrain

01.10.1982

Rolf-Dieter Leister Unternehmensberater*

Es hat den Anschein, daß sich die Japaner das ehrgeizige Ziel gesetzt haben, IBM auf dem Weltmarkt zu schlagen. Die Strategie, mit der sie dieses Ziel ansteuern kann jedoch nur im größeren Zusammenhang der gesamten japanischen Weltmarktstrategie erkannt werden. Die Japaner verfolgen verschiedene, breiter angelegte Ziele mit langfristiger Ausrichtung auf den Weltmarkt. Von diesem Weltmarkt entfallen 50 Prozent auf die USA. Eines dieser strategischen Ziele ist die Computertechnologie - neben dem der Büroautomation, wo die Japaner derzeit ihre Erfolge im Geschäft mit Kopiergeräten, Druckern und Schreibmaschinen zu wiederholen versuchen, und der Telekommunikation, in der sie auch über modernste Technologien wie etwa die Optoelektronik verfügen. Bei Großcomputern haben die Japaner im Preis-/Leistungsverhältnis eindeutig Weltmarktstandard erreicht und die Europäer abgehängt. Europäische Anbieter im Markt für Großcomputer und zunehmend auch amerikanische Anbieter IBM-softwarekompatibler Systeme, beziehen ihre Systeme oder zumindest Technologien hierfür aus Japan. Die Bundesrepublik und England sind hierfür die deutlichsten Beispiele.

Japanische Intelligenz

Japan konzentriert sich aber keineswegs nur auf den oberen Leistungsbereich der Rechner mit ihrem massiven Forschungsprogramm der "Fünften Computergeneration", Dieses Programm geht viel weiter, weil es auf neue Computerarchitekturen als sogenannte kognitive Systeme mit künstlicher Intelligenz zielt. Diese Systeme werden, wenn dieses ehrgeizige Projekt abgeschlossen ist, den Mensch-Maschine-Dialog deutlich verbessern. Gelingt dies, ist dieses System-Know-how nicht auf Großsysteme alleine begrenzt. Im Gegenteil, die Marktbedeutung hierfür ist gerade bei kleineren Anwendern groß.

Wie ernst dieses Entwicklungsprojekt selbst in den USA gewertet wird, sehen Sie an der Übereinkunft für eine USA - Japan-Arbeitsgruppe für "high technology", in der Computer der "Fünften Generation" ein zentrales Thema sind. Außerdem verlangen derartig komplexe Entwicklungsprojekte internationale Kooperation, und Europa müßte sich hieran aktiv beteiligen.

Die Erfahrungen der letzten Jahre lehren, daß man selbst mit anspruchsvollen Systemen auch ohne eine schlagkräftige Vertriebsorganisation, in neue geografische Märkte vordringen kann. Die Voraussetzung ist jedoch, daß der Hersteller ein attraktives Preis-/Leistungsverhältnis anbieten kann. Es werden ja schon seit Jahren japanische Rechner über europäische Unternehmen abgesetzt: Fujitsu-Anlagen zum Beispiel über Siemens.

Und inzwischen gibt es eine ganze Reihe solcher Kooperationen. Ich halte sie aus zweierlei Gründen für problematisch. Zum einen nimmt hierdurch die Wertschöpfung für unsere Industrie ab. Zum anderen - und das ist vielleicht noch gravierender - neigen Japaner, wenn sie erst einmal eine bestimmte Marktdurchdringung erreicht haben, dazu, eine eigene Vertriebsorganisation aufzubauen.

Die Erfolge der Japaner in der Nutzung europäischer Vertriebswege können sich durchaus sehen lassen. Allein 1981 wurden in der Bundesrepublik zirka 20 Fujitsu-Rechner abgesetzt. Wenn die Japaner dieses Tempo fünf Jahre lang durchhalten, woran ich überhaupt nicht zweifle, haben sie zehn Prozent des Marktes aller in der Bundesrepublik installierten Großcomputersysteme für sich erschlossen. Und das reicht definitiv, um eine eigene Vertriebsorganisation zu errichten. Amerikanische Firmen wie beispielsweise Amdahl etablieren sich sogar bei geringeren Stückzahlen.

Eine ähnliche Gefahr für die Nutzung alternativer Vertriebswege muß man aufgrund der japanischen Erfolge in der Bürotechnik längerfristig für die Erhaltung unseres Bürofachhandels sehen: Der Bürofachhandel ist eine unverzichtbare Vertriebsorganisation für die bürotechnische Branche in Europa. Die einzige Möglichkeit, dieser Gefahr zu begegnen, ist die langfristige Gesunderhaltung der europäischen Hersteller von Bürotechnik und die Festigung der Hersteller-Händler-Beziehung durch engere und verläßliche Partner.

Es stellt sich die Frage, was auf dem breiten Feld zwischen "high-end" and "low-end", zwischen Großcomputern und Kopierern oder Schreibmaschinen passiert.

Denn hier liegt das größte Marktwachstum, und dieses Feld wird zunehmend durch die Bürotechnik in ihrer Verbindung mit der Nachrichtentechnik bestimmt. In diesem Markt braucht man wegen der geografischen Streuung, aber auch wegen der von den Benutzern geforderten Beratungsintensität große qualifizierte Vertriebsorganisationen. In diesem zunehemend softwareintensiven Markt treffen sie derzeit noch relativ wenig japanische Hersteller international an; aber allein NEC produziert heute bereits 150000 Tischcomputer pro Jahr, wovon jedoch erst etwas mehr als zehn Prozent exportiert werden.

Auch hier werden die Japaner auf den Weltmarkt drängen. Da dieser Markt anwendungsmäßig so breit ist, werden sich die japanischen Hersteller, was heute bereits erkennbar ist, das Segment vornehmen, das das größte Absatzvolumen, die größte Anwendungshomogenität und die größte Ähnlichkeit zu ihren bisher mit Erfolg vertriebenen Produkten aufweist. Dies ist der Markt der Textverarbeitung. Sie werden dies auch tun weil sie wissen, daß es hierfür gewinnbare Vertriebswege, nämlich die Bürofachhändler gibt. Es existieren heute bereits neben NEC etwa zehn weitere japanische Anbieter von Tischcomputern. Und was viel bedeutender ist: Alle führenden japanischen Kopiererhersteller, wie Ricoh, Canon, Minolta, Toshiba, verfügen seit 1981 über eigene Textsysteme. Diese Unternehmen haben bereits ihren Marktzugang, denn das Textsystem steht im Büro in der Nähe des Kopierers.

Europäisches Talent

Ich bin davon überzeugt, daß sich die europäischen Hersteller wie Olympia, Olivetti und Triumph-Adler in diesem Marktsegment und gegen die amerikanischen Anbieter behaupten können, wenn sie den bestehenden Marktzugang durch eine weitere Ausweitung und Modernisierung ihrer Produktpalette nutzen und das systemtechnische Denken der Anwender durch eine benutzerfreundliche Software in ihrem Produktangebot reflektieren. Benutzerfreundliches Softwaredesign ist immer noch ein Talent, in dem Europa den japanischen Herstellern überlegen ist. Trotzdem haben wir kein geschütztes Terrain, denn dieser endbenutzergeprägte Markt ist am stärksten p-sensitiv.

* Beratungsinstitut für Informations- und Kommunikationstechnik

Der vorliegende Text ist mit freundlicher Genehmigung des Autors auszugsweise dem Econ-Buch "Kampf der Giganten" entnommen, das Anfang Oktober erscheinen wird.