"Wir dürfen nicht auf den Staat warten"

05.06.1998

CW: Was müssen Hochschulen leisten, um auf sich aufmerksam zu machen?

Nastansky: Wir dürfen nicht auf den Staat warten. Um Eigeninitiative gezielt zu unterstützen, sollten wir uns dezentral organisieren. Wir können ein positives Klima erzeugen, indem wir frei von Berührungsängsten Industriekontakte aufbauen und aus der Hochschule heraus Firmen gründen. Nach dem Schneeballprinzip: Man arbeitet übergreifend zusammen und unterstützt Projekte, die auf den ersten Blick vielleicht etwas verrückt anmuten, aber im Ergebnis hervorragende neue Perspektiven eröffnen.

CW: Welche Rolle soll die Informationstechnik spielen?

Nastansky: In Deutschland geht die Schere zwischen Innovatoren und Aufgeschlossenen und dem Rest der Hochschulszene weit auseinander. Daß sich unter dem Einfluß der zunehmenden Computerkenntnisse die Schere schließt, trifft leider nicht zu. Die Technologie entwickelt sich schnell weiter und mit ihr auch die Gruppe der Pioniere, der sogenannten Early Adopters. Die anderen hingegen werden starrer und betonierter. Ich selbst agiere nicht in Hochschulgremien, weil das nichts bringt. Ich suche und pflege Kontakte außerhalb der Hochschule und trage damit zu einem Klima des Wettbewerbs bei. Die von Perfektionismus, Prüfungsordnung und Hochschulrahmengesetz geprägte deutsche Universitätslandschaft ist nicht meine Sache.

CW: Haben Sie kein Problem damit, daß Sie seit Jahren durch Ihr Faible für Lotus-Technologien und die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft als Marketing-Mann der Industrie gelten?

Nastansky: In Deutschland ist das ein Problem, und zwar ein kulturell geprägtes. Ich selbst gehe damit gelassen um. Wer sich den neuen Möglichkeiten und damit auch neuen Partnerschaften verschließt, ist auf dem Holzweg.

CW: Wie Sie auf dem Kongreß sagten, sind aus dem Umfeld der Wirtschaftsinformatik und des Groupware Competence Centers in Paderborn viele Arbeitsplätze entstanden. Haben Ihre Studenten bessere Chancen als an anderen Hochschulen?

Nastansky: Im Prinzip haben wir eine völlig andere Situation, als sie aktuell in der Hochschullandschaft vorherrscht: Zu uns kommen zuwenig Studenten, und wir haben eine Übernachfrage nach unseren Absolventen. Die Chancen für unsere Studenten sind sehr gut. Gleichzeitig bilden wir aber in Paderborn auch arbeitslose Physiker oder promovierte Chemiker aus, die sich dann als Taxifahrer über Wasser halten. Das deutsche System mit Fakultäten und Fachbereichen ist zu eng und muß schnell aufbrechen.

CW: Was sollen die Teilnehmer der Groupware-Hochschultage mit nach Hause nehmen?

Nastansky: Wer zukunftsorientiert arbeitet, hat hier erfahren, daß er nicht auf dem Holzweg ist. Viele sind einfach aus Neugier gekommen. Ein guter alter Freund, mit dem ich mich seit Jahren über den Einsatz neuer Technologien in Forschung und Lehre streite, sagte mir heute: "Ich glaube, ich werde noch vom Saulus zum Paulus." Wer sich bisher nur die Tafel oder den Overhead-Projektor sowie den klassischen Frontalunterricht vorstellen konnte, erkennt zunehmend die Potentiale der neuen Technologien. Die Blockade in den Köpfen ist allerdings noch sehr verbreitet.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.