Suse-CEO Gerhard Burtscher über die Zukunft des Linux-Distributors

"Wir brauchen realistische Ziele"

05.04.2002
Nach rund 100 Tagen Amtszeit als CEO sieht Gerhard Burtscher die Suse Linux AG strategisch gut aufgestellt. Im Gespräch mit CW-Redakteur Wolfgang Herrmann erklärt er, wie die Firma den Turnaround schaffen will.

CW: Als Sie im November 2001 den Vorstandsvorsitz übernahmen, steckte Suse mitten in einer schwierigen Restrukturierungsphase. Was hat Sie bewogen, Ihre Tätigkeit als Unternehmensberater für Startup-Companys aufzugeben?

BURTSCHER: Das aufkommende breite Interesse an Linux und die grundsätzliche Aufstellung von Suse mit Produkten und Mitarbeitern haben mich gereizt. Eigentlich geht es nur darum, vorhandene Kräfte zu formieren und auszurichten. Dann tritt auch der Erfolg ein. In den ersten 100 Tagen hat sich für mich gezeigt, dass die Firma im Wesentlichen eine Fokussierung braucht.

CW: Wie soll die aussehen?

BURTSCHER: Suse muss sich auf den Business-Markt ausrichten. Allein mit Technik-Freaks lässt sich das Geld nicht verdienen. Dieses Ziel verfolgen wir und sind mit der Implementierung auch schon relativ weit vorangekommen. In den ersten beiden Monaten haben wir die Vorgaben erfüllt.

CW: Ist die Restrukturierung abgeschlossen?

BURTSCHER: Ich würde noch nicht so weit gehen, das zu sagen. Wir haben im letzten Jahr die wichtigsten Rahmenbedingungen geschaffen, jetzt müssen wir noch weiter optimieren.

CW: Die organisatorische Ausrichtung auf Kundensegmente war schon eingeleitet, als Sie das Ruder übernahmen. Werden Sie die Strategie noch einmal verändern?

BURTSCHER: Nein, in erster Linie geht es um die Umsetzung der vorgegebenen Strategie. Allerdings wird es Verbesserungen geben, die für mich im Bereich der funktionalen Intelligenz liegen. Wir müssen etwa sicherstellen, dass Funktionen wie Produkt-Marketing oder Support einheitlich ausgeführt werden.

CW: Sie meinen damit klassische Management-Aufgaben wie Prozessstandardisierung, mit denen auch viele Großunternehmen kämpfen?

BURTSCHER: Ja, aber in unserem Fall handelt es sich in der Regel um Optimierungen im Sinne von operativen Anpassungen. Die grundsätzliche Strategie halte ich für richtig.

CW: Wenn Sie die Unternehmensentwicklung vor Ihrem Eintreten betrachten: Wurde die Expansionsstrategie zu aggressiv angegangen?

BURTSCHER: Die Expansion wurde mit Sicherheit zu offensiv verfolgt, aber aus der damaligen Sicht war das nachvollziehbar. Das Wachstum war ja vorhanden. In jedem Unternehmen gibt es in den Anfangsjahren Phasen, in denen die Fantasie mal überbordet. Danach muss das Ganze wie ein Baum wieder zurechtgeschnitten werden.

CW: Einerseits war Suse ebenso wie andere Softwareanbieter vom Einbruch der New Economy und später der gesamten Wirtschaft betroffen. Andererseits gab es auch intern Versäumnisse. Wie beurteilen Sie die Entwicklung in der Krise?

BURTSCHER: Ich würde die Konjunktur als Ursache nicht zu sehr bemühen. Suse hat das Wachstum zu expansiv und mit zu wenig Bodenhaftung betrieben. Deswegen wurden Korrekturen notwendig. Das Unternehmen hat mit seinen Linux-Lösungen aber gerade auch in konjunkturell schwächeren Zeiten ein adäquates Portfolio.

CW: Suse hat sich nicht nur nach außen hin klarer ausgerichtet, sondern auch intern, etwa im Rechnungswesen, effizientere Organisationsstrukturen aufgebaut. Aus dieser Sicht stünde einem Börsengang nichts mehr im Wege. Welche Rolle spielt das Thema für Sie?

BURTSCHER: Wir sind im Moment solide finanziert. Bei normalem Geschäftsverlauf haben wir an dieser Stelle keinen Handlungsbedarf. Bevor der Turnaround nicht abgeschlossen ist, reden wir überhaupt nicht über das Thema.

CW: Steht Ihre Vorgabe, im zweiten Geschäftsquartal schwarze Zahlen zu schreiben?

BURTSCHER: Ja. Wir rechnen mit dem Breakeven zum Ende des zweiten Geschäftsquartals.

CW: Suse setzt verstärkt auf Business-Produkte, beispielsweise Groupware-Server oder Connectivity-Server. Welche Ziele verfolgen Sie?

BURTSCHER: Wir planen für dieses Jahr ein Umsatzwachstum von insgesamt 25 Prozent, das heißt, wir rechnen mit Einnahmen von rund 50 Millionen Euro. Diese Vorgabe ist bewusst konservativ gewählt. Im Krisenjahr 2001 verbuchten wir ein Wachstum von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wir brauchen jetzt realistische Ziele, die wir einhalten oder übertreffen können. Das Verhältnis von Produktgeschäft zu Serviceeinnahmen beträgt derzeit etwa 70 zu 30 Prozent.

CW: Wie verteilen sich die Umsätze auf die Kundensegmente?

BURTSCHER: Der Bereich Qualified Users, also technisch versierte Privatanwender, generiert etwa 40 Prozent der gesamten Einnahmen. 30 Prozent entfallen auf Business Users, womit mittelständische Unternehmen gemeint sind. Hier bieten wir vorkonfigurierte Lösungspakete an. Der Rest kommt aus den Segmenten Corporate Users und Technology Partners. Anders betrachtet erzielen wir im Business-Bereich 60 Prozent des Umsatzes. Die Privatkundenprodukte sind eine stabile Größe, aber unsere Anstrengungen richten sich verstärkt auf den Enterprise-Bereich. Dort erwarten wir überproportionale Zuwächse.

CW: Wie sieht die Entwicklung im Bereich Services aus, in den Suse vor der Umstrukturierung große Hoffnungen gesetzt hatte?

BURTSCHER: Die Dienstleistungssparte gehört jetzt zum Bereich Corporate Users; insbesondere das Consulting-Geschäft verläuft sehr stabil. Künftig werden die Consulting-Einheiten im Rahmen von Solution Frameworks auch Konzepte verkaufen, die über das normale Beratungsgeschäft hinausgehen. Beispielsweise gibt es Security- oder SmartClient-Frameworks, die als Gesamtlösungen mit unseren Produkten angeboten werden. Dabei werden wir stärker als bisher auch Implementierungspartner, beispielsweise Systemhäuser, einbinden.

CW: Welche Kunden wollen Sie damit erreichen?

BURTSCHER: Mit dem Bereich Corporate Users richten wir uns speziell an die Top-250-Unternehmen in Deutschland. Hier werden wir unseren direkten Vertrieb ausbauen. Mittelständische Unternehmen bedienen wir künftig ausschließlich über Partner.

CW: Vergangenes Jahr arbeitete Suse intensiv daran, die Kosten zu senken; 120 von 500 Stellen fielen weg. Sind die Sparmaßnahmen damit abgeschlossen?

BURTSCHER: Das Thema Kosten-Management wird uns noch eine Weile beschäftigen. Wir müssen permanent Geschäftsprozesse optimieren, denken aber nicht an einen weiteren Personalabbau. Die Ausgaben müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu unserem geplanten Geschäft stehen.

CW: Haben die nach Kundengruppen aufgestellten Geschäftseinheiten jeweils Gewinn- und Verlustverantwortung?

BURTSCHER: Ja. Das ist ein wesentliches Element, um bei jedem Mitarbeiter Kostenbewusstseinzu schaffen. Man bekommt ein ganz anderes Gefühl für die Dienstleistung, wenn man sie kaufen muss.