"Wir brauchen ein artgerechtes Management für Techies"

02.05.2005

DUECK: Das Management motiviert mit Geld und Karriere, weil es selbst dadurch motiviert ist. Man denkt eben nicht über Techies nach. Techies sind im Durchschnitt andere Menschen.

CW: Inwiefern?

DUECK: Ein in der Newsweek veröffentlichter Test misst den Autismusgrad von Menschen. Normale Leute erzielen dort etwa 16 von 50 möglichen Punkten. Ab 30 Punkten ist man milde autistisch: Man grüßt nicht laut, ist unscheinbar, isst oft das Gleiche (Pizza?), vermeidet lautes Leben, kann nicht gut erklären, was man tut, und hat oft eine einsame gute Inselbegabung (Computer?). Ich rief in Kolumnen alle Leser auf, mir ihr Ergebnis zu schicken, und erhielt über 600 Einsendungen, darunter auch von 50 Managern. Während Letztere im Schnitt 16 Punkte, mit enger Streuung von zehn bis 20 Punkten, hatten, kamen die Techies im Schnitt auf 23 Punkte mit weiter Streuung von zehn bis 45.

CW: Was ist demnach der entscheidende Unterschied zwischen Managern und Technikern?

DUECK: Manager sind mehr wie Menschen im statistischen Mittel. Sie glauben, das statistische Mittel sei normal und damit am besten. Die Techies sehnen sich nach einer Sympathie für ihre Inselbegabung, werden aber meist nur als nicht "normal" gesehen. Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen Menschen mit 15 Punkten und ganz milde autistischen ist der: Normale Menschen arbeiten unter gutem Druck eher besser, aber die hochempfindlichen Menschen arbeiten unter demselben Druck schlechter. Schlechter! Weil der Druck, unter dem normale Menschen gut arbeiten, sich für empfindliche schon wie Krieg anfühlen.

CW: Wie können Führungskräfte motivieren lernen?

DUECK: Sie müssten vor allem diese wenigen Sachverhalte verstehen. Sie sollten nicht verlangen, dass Techies wie Manager denken, sondern sie eben nach ihrer Art behandeln. Natürlich sollten auch Techies verstehen, wie Manager denken. Die Hauptfrage ist vielleicht, wer für die Annäherung verantwortlich ist. Der Manager? Der Techie? Beide? Faktisch wird der Manager am Ende den Mitarbeiter verantwortlich machen, und das erzeugt das Problem. Ich weiß nicht, ob man da einfach so umlernen kann. Sehen Sie einmal auf unsere Kinder: Wer ist verantwortlich, dass das Kind gut erzogen wird und in der Schule gedeiht? Die Mutter? Der Vater? Der Lehrer? Die Pisa-Gesellschaft? Am Ende sagen sie alle: das Kind selbst ist an der Fünf schuld. Lernen wir denn als Eltern das notwendige Umdenken? Nein. Warum hoffen wir dann auf Umdenken anderswo? Unsere Gesellschaft schafft allenfalls Rahmenbedingungen, aber keine Lösung. Man erklärt zum Beispiel, dass jetzt Mann und Frau gleich seien, aber dann ist wieder die Frau allein dafür verantwortlich, gleich zu sein. Überall wird derjenige, der etwas braucht, damit getröstet, er könne es sich jetzt holen - der Rahmen sei geschaffen. "Jetzt sind Sie an der Reihe!", also: "Erzieh dich!", "Benimm dich gleichberechtigt" und so weiter. Ja, in den Köpfen muss sich etwas ändern, aber in welchen?

Querdenker als Beruf Fünf Jahre lang lehrte Gunter Dueck als Mathematikprofessor an der Universität Bielefeld, bevor er 1987 an das Wissenschaftliche Zentrum der IBM nach Heidelberg wechselte. Dort baute er zunächst eine Gruppe von Wissenschaftlern auf, die sich mit mathematischer Optimierung befasste. Danach rief er mit seinem Kollegen Stefan Pappe das Data-Warehouse-Service-Geschäft der IBM ins Leben. Heute ist er einer von 250 "Distinguished Engineers" bei IBM und damit Teil des "technischen und inhaltlichen Gewissens" des Unternehmens. Er befasst sich nicht nur mit strategischen Fragen und technologischer Ausrichtung des Unternehmens, sondern betreut als Mentor viele jüngere Kollegen. Die richtige Motivation der IT-Fachleute ist ihm darum ein wichtiges Anliegen, das er in zahlreichen Vorträgen auch dem Management nahe legt. Buchtipp Manager, Menschen und das Leben sind die zentralen Themen in Duecks satirisch-philosophischen Büchern. Die jüngste Veröffentlichung "Topothesie. Der Mensch in artgerechter Haltung" beschließt die Trilogie, in der sich der Autor mit dem menschlichen Denken beschäftigt. Darin will er zeigen, dass der ursprüngliche Kern im Menschen nicht unterdrückt werden sollte. Wird das Verschiedensein der Menschen nicht berücksichtigt und werden sie nicht "artgerecht" behandelt, entstehen nicht nur ein Gefühl des Mangels, sondern auch Gewalt und Depression. Dueck fragt in seinem Buch, das er in erfreulich verständlicher, lebendiger Sprache geschrieben hat, nicht weniger als nach dem Sinn des Lebens. Seine Gedankengänge sind komplex, aber mit vielen Beispielen und Situationen aus der Alltagswelt angereichert. Durch sein umfassendes "Wir" bezieht er den Leser immer wieder in seine Überlegungen ein und regt ihn zum Mit- und Nachdenken an. Mehr Informationen über Gunter Dueck finden sich auf seiner Homepage www.omnisophie.com. Gunter Dueck: Topothesie. Der Mensch in artgerechter Haltung. Springer 2004, ISBN 3-540-21464-X, 34,95 Euro.
Querdenker als Beruf Fünf Jahre lang lehrte Gunter Dueck als Mathematikprofessor an der Universität Bielefeld, bevor er 1987 an das Wissenschaftliche Zentrum der IBM nach Heidelberg wechselte. Dort baute er zunächst eine Gruppe von Wissenschaftlern auf, die sich mit mathematischer Optimierung befasste. Danach rief er mit seinem Kollegen Stefan Pappe das Data-Warehouse-Service-Geschäft der IBM ins Leben. Heute ist er einer von 250 "Distinguished Engineers" bei IBM und damit Teil des "technischen und inhaltlichen Gewissens" des Unternehmens. Er befasst sich nicht nur mit strategischen Fragen und technologischer Ausrichtung des Unternehmens, sondern betreut als Mentor viele jüngere Kollegen. Die richtige Motivation der IT-Fachleute ist ihm darum ein wichtiges Anliegen, das er in zahlreichen Vorträgen auch dem Management nahe legt. Buchtipp Manager, Menschen und das Leben sind die zentralen Themen in Duecks satirisch-philosophischen Büchern. Die jüngste Veröffentlichung "Topothesie. Der Mensch in artgerechter Haltung" beschließt die Trilogie, in der sich der Autor mit dem menschlichen Denken beschäftigt. Darin will er zeigen, dass der ursprüngliche Kern im Menschen nicht unterdrückt werden sollte. Wird das Verschiedensein der Menschen nicht berücksichtigt und werden sie nicht "artgerecht" behandelt, entstehen nicht nur ein Gefühl des Mangels, sondern auch Gewalt und Depression. Dueck fragt in seinem Buch, das er in erfreulich verständlicher, lebendiger Sprache geschrieben hat, nicht weniger als nach dem Sinn des Lebens. Seine Gedankengänge sind komplex, aber mit vielen Beispielen und Situationen aus der Alltagswelt angereichert. Durch sein umfassendes "Wir" bezieht er den Leser immer wieder in seine Überlegungen ein und regt ihn zum Mit- und Nachdenken an. Mehr Informationen über Gunter Dueck finden sich auf seiner Homepage www.omnisophie.com. Gunter Dueck: Topothesie. Der Mensch in artgerechter Haltung. Springer 2004, ISBN 3-540-21464-X, 34,95 Euro.