COMPUTERWOCHE-CeBIT-Diskussion: Nie mehr New Economy?

"Wir bereuen nichts"

30.03.2001
Trotz Flaute am Neuen Markt und Firmenpleiten ist der Traum von einer anderen Wirtschaft noch nicht ausgeträumt. In der COMPUTERWOCHE-Diskussionsrunde "Nie wieder New Economy?" war die Stimmung der Krise zum Trotz verhalten optimistisch. Von CW-Mitarbeiterin Ingrid Weidner

Einst jedermanns Liebling, jetzt am Boden zerstört: So präsentieren sich zumindest viele börsennotierte Firmen der New Economy. Allerdings sind zerknirschte Firmengründer die Ausnahme. "Ich hatte einen Traum und bekam die Chance, ein Unternehmen zu gründen", so Chantal Salzberg keineswegs frustriert, "das hätte ich vorher nie für möglich gehalten." Inzwischen sucht die 28-Jährige Gründerin eines Hochzeitsportals einen neuen Job, denn sie, ihre Mitgründer und Investoren konnten sich nicht auf eine gemeinsame Unternehmensstrategie einigen. Nach drei Jahren Arbeiten ohne Ende soll die nächste Anstellung etwas geregelter sein. Eine neue Firma möchte Salzberg allerdings so schnell nicht mehr gründen.

Philipp Schäfer, noch Geschäftsführer von Razorfish in Hamburg, geht es ähnlich. Auch er muss sich nach neuen Berufsperspektiven umsehen, und auch bei ihm waren die Pläne für die Unternehmensausrichtung nicht mit denen des Hauptanteilseigners in den USA zu vereinbaren. Seine Gründerkollegen haben das Unternehmen schon vor ihm verlassen. Ein neues Startup möchte der Ex-Razorfish-Geschäftsführer allerdings so schnell nicht wieder aufbauen helfen. Welche Jobs für die ehemaligen Firmengründer und Unternehmer überhaupt interessant sein könnten, ist nicht ganz einfach zu beantworten. "Ich hatte kürzlich ein Vorstellungsgespräch für einen Job als Marketing-Leiterin, aber das kann ich mir nicht vorstellen", so Salzberg selbstbewusst.

"Leute mit so viel Erfahrung als Firmengründer und mit Personalverantwortung sind Gold wert", lobt Klaus Grefe, Personalberater bei Judith Grefe Consulting GmbH. Entscheidend für die berufliche Zukunft sei aber, wie die ehemaligen Chefs mit ihrer neuen Rolle als Mitarbeiter zurechtkommen.

Alexander Samwer, der mit seinen Brüdern zu den Stars der Startup-Szene zählte und mit dem Verkauf von Alando an Ebay gut verdiente, verließ das fusionierte Unternehmen aus ähnlichen Gründen wie Schäfer und Salzberg. Allerdings war ihm und seinen Brüdern die Lust an neuen Unternehmensgründungen noch nicht ganz vergangen. Inzwischen sind die Samwer-Brüder mit der Jamba AG erneut unter die Entrepreneure gegangen.

"Anfangs gibt man alles"Die Ursachen für das Scheitern von so manchem Startup lassen sich nicht mit einfachen Formeln erklären. "Führungskompetenz hängt nicht vom Alter ab", so Klaus Grefe, für den das jugendliche Alter einiger Chefs nicht als Problemerklärung ausreicht. "Allerdings gehört zur Personalarbeit auf jeden Fall Berufserfahrung dazu", ergänzt er. Für den IG-Metaller Wolfgang Müller gibt es am Leitungs- und Organisationsverhalten von einigen jungen Chefs der Startup-Szene einiges auszusetzen. In den fehlenden Strukturen und Führungsqualifikationen sieht Müller Schwachpunkte: "Die langen Arbeitszeiten sind ein Problem für die Mitarbeiter." Salzberg sieht solche Beschwerden sehr kritisch. "Die Mitarbeiter wussten, worauf sie sich einlassen, wir haben nichts beschönigt", so die Firmengründerin. Über ihr eigenes Engagement sagt sie: "Anfangs gibt man alles."

Bruno Rücker, neuer Vorstandsvorsitzender der Openshop AG, wechselte nach über 20 Jahren bei CSC Ploenzke zur New Economy. Die Krisenstimmung am Neuen Markt hat ihn nicht abgeschreckt. "Startups kann man nicht mit den gleichen Maßstäben messen wie Traditionsunternehmen", so Rücker im Hinblick auf die Kritik an den jungen Unternehmern. Bei Müller kommen die jungen Chefs nicht so glimpflich davon. Er verdächtigt viele Unternehmen der Startup-Szene, dass sie ihre Mitarbeiter mit falschen Versprechungen und heute wertlosen Aktienoptionen geködert haben. Dafür mussten die Leute endlose Arbeitszeiten in Kauf nehmen. Momentan überlegt die IG Metall, eine exemplarische Klage zu führen, denn ihrer Meinung nach ist die Bezahlung mit mittlerweile großteils wertlosen Aktienoptionen sittenwidrig.

Realistische VisionenAllerdings sind die Gründer entschieden anderer Meinung. "Alle, die sich für die Arbeit bei einem Startup entschieden, wussten, worauf sie sich einlassen." Salzberg ergänzt: "Aktienoptionen waren nie ein Köder, sondern immer eine zusätzliche Leistung." Für den Personalberater Grefe gab und gibt es bei einigen neu gegründeten Unternehmen den Mythos vom Arbeiten ohne Ende.

"Vor etwa einem Jahr war der Mythos vorbei, denn die Qualität leidet auf Dauer darunter", erzählt Phillipp Schäfer aus eigener Erfahrung. Alexander Samwer sieht es ähnlich. In seinem ersten Unternehmen hätten Mitarbeiter und Firmengründer teilweise rund um die Uhr gearbeitet, bei der Jamba AG gebe es neue Arbeitsmodelle. "Ein ausgeglichener Lebensstil ist wichtig, obwohl es auch längere Arbeitstage gibt. Die 60-Stunden-Woche gehört der Vergangenheit an", so Samwer heute.

Nur: Wie erkennen Bewerber, ob das ausgesuchte Unternehmen nicht doch an den überlangen Arbeitszeiten festhält? Grefe rät, sich den Business-Plan genau anzusehen und in Stellenausschreibungen aufmerksam zwischen den Zeilen zu lesen. Alexander Samwer spürt bereits, dass die Bewerber kritischer geworden sind. Sie fragen heute im Vorstellungsgespräch genauer nach. "Gute Leute muss ich überzeugen, dass sie zu uns kommen." Allerdings sei auf Bewerberseite das Verständnis für die New Economy sehr groß, und die Krise schrecke längst nicht alle ab.

Noch gehören flache Hierarchien und viel Eigenverantwortung zu den großen Vorteilen der Startup-Szene. "Jeden Mitarbeiter als eigenen Unternehmer zu sehen, halte ich für reinen Quatsch", so Müller. Mit solchen Modellen werde die Verantwortung vom Management auf die Mitarbeiter abgewälzt. Mit seinen traditionellen Vorstellungen stand der Gewerkschaftler in der Diskussionsrunde ziemlich alleine da. "Die Mitarbeiter müssen den unternehmerischen Geist verstehen und nicht nur die Richt- und Leitlinien", entgegnet Rücker.

Auch die jungen Firmengründer halten die alten Konzepte für gefährlich. Gerade mache sich in Deutschland eine neue Stimmung breit, die mehr Unternehmensgründungen ermögliche, und schon werden die Bemühungen im Keim erstickt. "Ein Unternehmen gründet man, damit es langfristig da ist", so Schäfer. "Arbeitnehmer müssen sich genau ansehen, wo sie hingehen."

Trotz aller Schwierigkeiten der New Economy sind die Gründer sich einig: "Wir bereuen nichts, es war eine wunderbare Chance."