Interview mit CEO TK Kurien

Wipro Digital soll neue Märkte adressieren

29.04.2015
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

"In drei Jahren wollen wir 35 Prozent weniger Leute haben"

CW: Wenn ich mir Ihren Wettbewerber Infosys anschaue, dann glaube ich, dass der neue CEO Vishal Sikka einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Automation ist für alle Offshoring-Unternehmen elementar, weil sich an dieser Stelle die eigenen Betriebskosten am ehesten senken lassen.

KURIEN: Absolut richtig. Aber wenn man wirklich glaubt, dass das wichtig für einen ist, dann sollte man auch einen Pfahl in den Boden rammen und sagen: So machen wir’s. Wir haben gesagt: Wir haben heute 158.000 Leute weltweit bei Wipro beschäftigt. In drei Jahren wollen wir 35 Prozent weniger Leute haben. Das ist der Pfahl, den wir in den Boden gerammt haben.

CW: Kommen wir zum deutschen Markt. Wie viele Kunden haben Sie hier und in welchen Märkten bewegen sie sich?

KURIEN: Ich kann Ihnen die Namen unserer Kunden nicht nennen. Aber wir haben schon einige hier. Wir sind stark im Banking-Bereich, bei den Versorgern, der Automotive-Branche, Maschinenbau und Elektrotechnik.

CW: Wie stark treffen Sie Probleme wie die Euro-Schwäche oder der Ölpreiseinbruch?

KURIEN: Stark. Wir sind der drittgrößte IT-Dienstleister für Ölkonzerne weltweit. Aber jede Schwächephase eröffnet auch Chancen. Für uns ist es wichtig, zu unseren Kunden zu stehen, wenn es mal nicht so läuft. Das zahlt sich später aus. Außerdem sind schlechte Zeiten eine Gelegenheit, sich zu hinterfragen und besser aufzustellen. Das tun wir.

"Es geht um Aggressivität"

CW: Haben klassische europäische IT-Dienstleister wie Atos, Capgemini oder T-Systems jetzt nicht aufgrund der günstigen Währungsbedingungen einen großen Vorteil?

KURIEN: Am Ende geht es nicht um Währungen, sondern um die Art und Weise, wie man arbeitet. Es geht um Aggressivität. Wir bei Wipro sehen uns als Attackierer, nicht als Verteidiger. Menschen, die Schlösser bauen und darin geschützt und ungestört leben wollen, werden irgendwann angegriffen, ihre Burg wird geschliffen. Verteidigung ist der falsche Weg. Wir sind von unserem Naturell her die Angreifer. Wir streben immer 12 bis 15 Prozent Wachstum an, nicht Stagnation oder ein kleines Plus.

CW: Wenn Sie Wachstum bei geringerem Headcount wollen, wird Automation nicht reichen. Sie brauchen innovative, höherwertige Services. Welche Rolle spielen Startups und Übernahmen in ihren Überlegungen?

KURIEN: Eine sehr interessante Frage. Wir investieren jedes Jahr 100 Millionen Dollar in Startups.

CW: Kaufen Sie auch zu?

KURIEN: Das ist nicht das Ziel. Wenn Sie ein Startup kaufen und in ein Großunternehmen integrieren, töten Sie es. Wir wollen von ihnen lernen, aber sie nicht absorbieren. Das machen wir höchstens, wenn wir enorme Werte für einen ganz bestimmten Unternehmensbereich sehen. Wir nutzen die Technik, die diese Startups haben, und ihre Skills. In der IT-Welt geht es heute vor allem um Talente, und es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese an sich zu binden. Sich mit Startups einzulassen und gute Ideen und Geschäftsmodelle zu fördern, ist eine davon.

CW: Im Zuge der Digitalen Transformation wird viel über Disruption gesprochen. Was sind die disruptiven Herausforderungen für Wipro?

KURIEN: Ich spreche lieber von Wandel. Für uns geht es darum, uns schneller als der Markt zu wandeln und dem Wettbewerb voraus zu sein. Unser Geschäft ist künftig zweigeteilt. Im klassischen Outsourcing geht es weiterhin um stabile, langjährige Kundenbeziehungen, nicht um Disruption. Im digitalen Business tut sich ein neues Universum auf, da müssen wir innovativ und vorneweg sein.

"Wir tragen keine Anzüge"

CW: Demnach braucht Wipro Digital auch eine andere Kultur als das klassische Geschäft.

KURIEN: Das ist ein Grund dafür, dass wir Wipro Digital komplett unabhängig aufgestellt haben. Wir haben es dort mit einem anderen Kaufverhalten und mit anderen Menschen zu tun. Die müssen wir anders ansprechen. Bei Wipro Digital tragen wir beispielsweise keine Anzüge. Die Leute sitzen in offenen Büro-Arrangements zusammen. Alle Incentive-Pläne sind für Teams gemacht, sie basieren auf Kundenerfolg.

CW: Wäre es nicht eine gute Idee, diesen kulturellen Wandel für Wipro ingesamt herbeizuführen?

KURIEN: Das glaube ich nicht. Die Geschwindigkeiten der Geschäfte sind zu unterschiedlich. Wenn wir diese Geschwindigkeit auf unser Hauptgeschäft übertragen würden, bekämen wir Probleme. Wir würden dort signifikante Disruption schaffen - im negativen Sinne. Das wollen auch die Kunden nicht hören, wenn ich denen heute sage: Wir werden das Data-Center-Geschäft ganz anders aufstellen. Im alten Kerngeschäft geht es um Zuverlässigkeit, Stabilität und Kosten. In der Wipro Digital geht es um Disruption, Innovation und Wandel. Zwei völlig verschiedenen Welten, und wir müssen in beiden agieren. In der neuen Welt müssen wir uns vorantasten und herausfinden, wie die Zukunft aussieht. Das entspricht unserem Slogan: "Sense forward and respond today". (sh)