Winterthur baut IT komplett neu auf

10.11.2004
Die Winterthur-Versicherungen zogen vor 20 Monaten drei selbständige IT-Einheiten zusammen und richteten sie in einem konsequenten Change-Programm neu aus. CIO Martin Frick organisierte die Umstellung.

Das Topmanagement gab im Februar 2003 die Zusammenlegung der drei Informatikbereiche der Winterthur Versicherung in der Schweiz bekannt. Mit einem Abbau von 860 auf 700 Stellen begann eine Reorganisation, wie es sie in der IT des Traditionsunternehmens (siehe Kasten "Winterthur") bis dahin noch nicht gegeben hatte. Ein Change-Programm sollte den Mitarbeitern eine schnelle Neuorientierung ermöglichen.

Bis zum Februar 2003 betrieb die Winterthur Gruppe in der Schweiz drei IT-Einheiten:

-- IT der Sparte Nonlife mit 380 Stellen;

-- IT der Sparte Life & Pensions mit 360 Stellen;

-- IT der Winterthur Group mit 120 Stellen.

Die Geschäftsleitung hatte nun entschieden, eine neue einheitliche IT-Organisation zu bilden. Die offizielle Bekanntgabe der Restrukturierung und den damit verbundenen 160 Freisetzungen löste bereits im Vorfeld erhebliche Ängste unter den Mitarbeitern aus, wie CIO Martin Frick berichtet. Damit wuchs auch der Druck auf das Management. "Es galt in erster Linie zügig zu handeln, um die Phase der Unsicherheit möglichst kurz zu halten. Außerdem wollten wir alle Positionen mit den richtigen Mitarbeitern besetzen, um das kostbare Wissen in allen Bereichen zu schützen", so Frick.

Zuerst wurde über die detaillierte Organisationsstruktur auf der obersten Führungsebene entschieden. Anschließend erfolgte die Erstellung einer Kandidatenliste. Daraus wurden die IT-Führungspositionen besetzt. Sämtliche Manager stammen aus den bisherigen drei Organisationen.

Gleichzeitig legte das Management fest, welche Mitarbeiter das Unternehmen verlassen müssen. Dabei arbeitete Winterthur nach dem Grundsatz, dass jeder IT-ler maximal eine Führungsebene unter seiner bisherigen eingesetzt werden durfte. Die darauf folgende Nominierungs- und Freisetzungsgespräche auf allen Ebenen fanden innerhalb von drei bis vier Tagen statt.

Insgesamt dauerte die Phase der Restrukturierung zwei Monate. Während dieser acht Wochen waren die psychischen Belastungen für alle sehr hoch, erinnert sich Frick. Die Mitarbeiter empfanden die Zeit als lang, dem IT-Management kam sie zu kurz vor. "Die Phase der Neuorientierung für die Mitarbeiter in der neuen IT-Organisation konnte zwar schnell beginnen, fiel den meisten aber alles andere als leicht", analysiert der IT-Manager.

Die Mitarbeiter beschäftigte vor allem der Verlust von Teamkollegen. Die schnellen Frei-setzungen bedeuteten für alle Beteiligten eine hohe Belastung, da wenig Zeit zur Verarbeitung der Ereignisse blieb. Außerdem machte die Umstellung auf das erhöhte Arbeitspensum allen zu schaffen. Neu gebildete Ab-teilungen und Gruppen begannen mit der Teambildung, in bestehenden Teams blieb vieles beim Alten. Dies hatte zur Folge, dass eine sichtbare Steigerung der Produktivität auf sich warten ließ. Zaghaft entstanden aus den drei alten Kulturen neue Subkulturen, zum Teil quer durch die neuen Teams hindurch.

Information und Kommunikation

Um die Veränderungen zu begleiten, entwickelte das IT-Team "People Management", ein Change-Programm, das von Mai 2003 bis Dezember 2003 dauerte. Es sah eine umfassende Information und Kommunikation mit den Beschäftigten vor, eine schnellstmögliche Schulung in den neuen Prozessen sowie die Motivation und Anleitung zur Selbstmotivation der Einzelnen.

Um den Wechsel zu unterstützen, führte das Management sechs Elemente ein:

Vollversammlungen: In der ersten ging es vor allem um das Kennenlernen des neuen IT-Managements sowie Vorstellen der Ziele und Aufgaben der verschiedenen IT-Ressorts.

Die leere Fabrikhalle

Nach dem Motto "Hand drauf" wurde eine Leinwand aufgehängt, auf der die Mitarbeiter ihren Händeabdruck hinterlassen konnten, um symbolisch ihre Zustimmung zur neuen Organisation zu geben. In der zweiten Vollversammlung stellten die sechs IT-Ressorts ihre Tätigkeiten vor. Die Veranstaltung fand in einer alten leeren Fabrikhalle statt, die einerseits die gegenwärtige Situation der IT widerspiegelte ("mit beschränkten Ressourcen viel erreichen"), andererseits aber auch als Symbol für eine offene Kommunikationskultur stehen sollte. Ebenfalls symbolisch war die Form: Es waren keinerlei technische Hilfsmittel erlaubt. Die Workshop-Themen und -Ergebnisse mussten gemeinsam an Flipcharts und Pinwänden erarbeitet werden.

"Nach anfänglicher großer Skepsis rief die Veranstaltung viel Interesse, Engagement, Begeisterung und Einsatzbereitschaft in allen Ressorts hervor", erinnert sich Frick. Das Feedback der Teilnehmer sei durchweg positiv gewesen. Für Management und Mitarbeiter war jedoch klar: Es galt nun, durch die Umsetzung der erarbeiteten Vorhaben Vertrauen zu bilden. Aus insgesamt 100 Vorschlägen wurden 60 konkrete Maßnahmen ausgewählt, die entweder sofort praktiziert, in laufende Projekte integriert oder als Ideen aufgenommen wurden. Über den Status der Umsetzung wird laufend im Intranet informiert.

In ungezwungener Atmosphäre

Lunch & Learn: Dieser Veranstaltungszyklus sollte einerseits den hohen In-formations- und Wissensbedarf der IT-Mitarbeiter über die neue Organisation decken ("Learn"), andererseits die ungezwungene und informelle Kommunikation fördern ("Lunch"). Dazu wurden zuerst Themen wie "Umgang mit Veränderungen" und "Teambildung" angeboten, später dann standen IT-Strategie und IT-Architektur im Mittelpunkt.

Discuss & Shape: Mitarbeiter erhielten die Gelegenheit, gemeinsam mit dem IT-Leiter und einem weiteren Mitglied des IT-Managements in einer informellen Umgebung und unge-zwungenen Atmosphäre aktuelle Themen zu diskutieren und ihre Meinung zu sagen.

Meet & Understand: Diese Form der Treffen sollte einerseits den verschie-denen Ressorts die Möglichkeit bieten, den IT-Leiter kennen zu lernen und ihre Tätigkeiten im Detail vorzustel-len. Andererseits konnte sich dort auch der neue CIO präsentieren und mit den Mitarbeitern in direkten Kontakt treten.

Management-Konferenzen: Alle zwei Monate finden Informations- und Diskussionsveranstaltungen mit dem gesamten Senior Management der IT zu aktuellen Themen statt.

Mitarbeiterumfrage: Als Abschluss des Change-Programms sollte eine Umfrage klären, wie es den Mitarbeitern in der neuen Organisation geht. Ein bestehendes Umfrageraster (Cash-Arbeitgeber-Reward) wurde genutzt, um die Organisation mit anderen Unternehmen zu vergleichen. Der hohe Rücklauf von 76 Prozent bei dieser ersten Mitarbeiterumfrage zeigte den Bedarf der Mitarbeiter auf, sich ungeschminkt über ihre Zufriedenheit und ihr Arbeitsumfeld zu äußern. Die Befragung wird jährlich wiederholt und soll auch in die Zielvereinbarungen der Ressortleiter einfliessen.

Als Fazit der harten Umstrukturierung empfiehlt Frick, für solche Programme Manager einzusetzen, die schnell und konsequent die notwendigen Entscheidungen treffen können und sich vor allem voll auf diesen Prozess konzentrieren. Dazu gehöre, "die Verunsicherung ernst zu nehmen, die Veränderungen offen zu kommunizieren und den Mut zur Erneuerung zu haben und zu geben". Kein Unternehmen könne es sich in der heutigen Zeit leisten, sich nicht zu verändern. Deshalb müssten alle Mitarbeiter und Führungskräfte lernen, mit dem Wandel umzugehen.