Windows-95-Geschaeft wird ein Home-run Die Chancen von IBM und Apple sinken

25.08.1995

In der PC-Industrie findet in diesen Tagen das groesste Ereignis des Jahres statt: die Freigabe von Microsofts Betriebssystem Windows 95. Nicht nur die PC-Hersteller, auch die Softwarehaeuser hoffen auf klingelnde Kassen. Millionen von Anwendern, die Win 95 einsetzen wollen, benoetigen nicht nur mehr RAM oder gleich einen groesseren Rechner, sie wollen auch 32-Bit-faehige Programme nutzen.

Die Boulevardpresse berichtet auf ihren Titelseiten, der "Spiegel" wirft saemtliche Prinzipien in puncto kritischer Berichterstattung ueber Bord, die "Sueddeutsche Zeitung" opfert sogar ein Streiflicht: Windows 95 fasziniert die Oeffentlichkeit. Bereits Ende 1994 sollte "Chicago" erscheinen, Microsoft-Chef Bill Gates persoenlich hatte es versprochen. Dass dieser Termin ebensowenig eingehalten wurde wie einige andere, hat dem angeblich reichsten Mann der Welt nicht geschadet - es hat lediglich das Interesse erhoeht.

Letztendlich gab es keine Konkurrenz, die Gates einen Strich durch die Rechnung haette machen koennen. Natuerlich, mit OS/2 Warp hat die IBM laengst ein 32-Bit-faehiges Betriebssystem auf den Markt gebracht, das von Anwendern durchweg gute Noten erhaelt - von den Applikationsentwicklern allerdings wird es gemieden. Auch Apple mangelt es an Software fuer das eigene Betriebssystem. Vor allem aber ist es dem Mac-Anbieter nicht gelungen, eine ueberzeugende Applikations-Suite fuer den Buerosektor durchzusetzen, die einem Vergleich mit den drei grossen Paketen Microsoft Office, Smartsuite von Lotus oder Perfect Office von Novell standhaelt. Dabei hatte Apple schon vor Jahren einen Qualitaetsstandard bei grafischen Benutzeroberflaechen gesetzt, den die Konkurrenz aus Redmond erst jetzt, mit jahrelanger Verspaetung, erreicht.

Im PC-Markt regiert allein Microsoft

Desktop-Standards, daran muss man sich wohl gewoehnen, setzt allein Microsoft. Saemtliche Marktgesetze sind offenbar ausser Kraft. Hoert man sich in der Softwarehaus-Szene um, so sind die Aussagen eindeutig: Auf der Client-Seite wird sich das Uebergewicht, das Microsoft mit den Betriebssystemen MS-DOS und Windows 3.x ohnehin besitzt, weiter verstaerken.

"Andere Betriebssysteme verlieren schon jetzt an Bedeutung", beobachtet beispielsweise Folkert Klemme, Geschaeftsfuehrer der Data Access Deutschland GmbH in Friedrichsdorf. Wenn die Microsoft- Konkurrenz noch Umsatzwachstum verzeichne, dann nur deshalb, weil der Verkauf von PCs insgesamt noch immer stark zunehme. Vom Marktanteil her, so vermutet Klemme, geht es mit OS/2 und der Apple-Welt bereits bergab.

Der Anbieter des Entwicklungssystems "Dataflex" geht davon aus, dass die IBM das Ende von OS/2 erklaeren wird, sobald sie "vom Profit her wieder unter Druck geraet". Apple werde so lange Erfolg verzeichnen, wie es der Firma gelinge, den Markt sauber zu gliedern und von Windows abzutrennen. "Wenn dies eines Tages entfaellt", so Klemme, "wird Apple als Name fuer Hardware bestehenbleiben, aber auf der Welle der Kompatibilitaet mitschwimmen."

So explizit wie der Data-Access-Geschaeftsfuehrer aeussern sich Vertreter der Softwarebranche nur selten. Auf eine Blitzumfrage der CW antwortete beispielsweise die Muenchner Gupta GmbH: "Am meisten fuerchten muss sich sicherlich die IBM mit OS/2. Andere Plattformen wie Macintosh und Unix werden keine Einbussen haben. Aber wer weiss das schon vorher?" Auch die CA Computer Associates GmbH, Darmstadt, merkt nur sehr vage an, andere Betriebssysteme koennten das Nachsehen haben. Dagegen lassen Vertreter von Informix, KHK und Autodesk keinen Zweifel an ihrer Ueberzeugung, dass die konkurrierenden Betriebssysteme an Akzeptanz verlieren werden oder bereits verloren haben.

Softwerker, die traditionell eng an Microsoft gebunden sind, reiben sich die Haende. So verlautet von Heiler Software aus Stuttgart: "Wir sind davon ueberzeugt, dass Microsoft mit Windows 95 den Marktanteil fuer Desktop- und Laptop-Betriebssysteme signifikant ausbauen kann. Diese Entwicklung wird gleichzeitig einen positiven Impuls fuer Windows NT im Server-Umfeld ausloesen. Fuer OS/2 und Unix sinken die Chancen im Front-end-Markt." Die Corel Corp. schaetzt den Marktanteil von Windows 3.x auf gegenwaertig 87 Prozent, waehrend auf den Mac neun Prozent und auf OS/2 und Unix je zwei Prozent entfallen. Mit dem Erscheinen von Windows 95 werde die Ueberlegenheit von Microsoft weiter zunehmen.

Keines der befragten Softwarehaeuser will sich mit der Portierung seiner strategischen Produkte viel laenger als ein halbes Jahr Zeit lassen. Eine Reihe von Produkten gibt es bereits zum 24. August 1995, dem Auslieferungsdatum von Windows 95.

IBM uebt sich in Optimismus

Vor dem Hintergrund dieser Fakten erinnert das Statement der IBM an Don Quichottes Kampf gegen die Windmuehlen: "Das Erscheinen von Windows 95 wird einen positiven Einfluss auf unsere Geschaeftsentwicklung haben", heisst es dort. "Wir denken, dass ein bestimmter Teil der potentiellen Migrationskunden von Windows 3.11 nicht auf Windows 95, sondern auf OS/2 Warp umsteigen wird."

Microsoft selbst hegt offenbar nicht den geringsten Zweifel daran, dass sich Windows 95 in Windeseile auf den Desktops dieser Welt verbreiten wird. Anlaesslich der "Windows World" in Chikago erlaubte sich Executive Vice- President Bob Herbold die Aussage: "Wir wollen hier nicht viel ueber Windows 95 reden; wir gehen davon aus, dass dieses Geschaeft ein Home-run wird." Statt dessen sprach der Manager ueber Microsofts hochfliegende Windows-NT- und Back-Office- Plaene und beantwortete Fragen danach, wie sich das Softwarehaus seinen Weg in die Client-Server-Welt weiterhin vorstelle.

Windows 95 marschiert durch - das ist auch der Tenor unter internationalen Marktforschungsgesellschaften. Amerikanische Computerexperten nehmen an, Microsoft werde bereits bis zum Ende dieses Jahres 15 bis 20 Millionen Exemplare des Betriebssystems weltweit an den Kunden bringen. 100 Millionen Kopien, so mutmasst Dataquest, werden innerhalb weniger Jahre verkauft - eine optimistische Schaetzung, beruecksichtigt man, dass es heute ungefaehr dieselbe Zahl an Windows-3.x-Installationen gibt. Und beim Nachrichtendienst "vwd" heisst es euphorisch, Windows 95 werde die meistverkaufte PC-Software ueberhaupt. Microsoft setze viele Milliarden Dollar um und gebe der Computerbranche neue Impulse.

Wie diese Anstoesse aussehen koennen, liegt auf der Hand: Mit dem Erscheinen von Windows 95 wird die Nachfrage nach lauffaehigen 32- Bit-Programmen sprunghaft steigen. "Wir erwarten, dass Software wie Corel Draw 6, die gleichzeitig mit Windows 95 auf den Markt kommt, eine entsprechend hohe Nachfrage erfaehrt", teilt beispielsweise Gaby Jauvin, Sprecherin der Corel Corp., mit. Noch drastischer drueckt Data-Access-Chef Klemm seine Zuversicht aus: "Basissoftware wie Windows 95 ermoeglicht uns Updates, welche die Kunden ohne weitere Diskussion kaufen. Bei anderen Updates wird eher danach gefragt, welche Vorteile sie bringen."

Wann verschmilzt Gates Windows NT mit Win 95?

So erfolgsgewiss die Software-Industrie auch sein mag, so wenig ist derzeit sicher, ob und wann sich die Kunden im grossen Stil auf Windows 95 einlassen werden. Klar ist lediglich, dass Kaeufer neuer PCs und eine Reihe privater Windows-3.x-Anwender schon bald mit dem Betriebssystem arbeiten werden. Aber warum eigentlich sollten sich grosse Firmen eine kostspielige Umstellung zumuten, wenn noch nicht einmal geklaert ist, wie lange das neue Betriebssystem als eigenstaendige Software existieren wird?

Microsoft hat angedeutet, man wolle die Sourcecodes von Windows 95 und Windows NT verschmelzen und dabei NT Vorrang gewaehren. Von Win 95 soll kaum mehr als die Benutzeroberflaeche uebrig bleiben, die von Betatestern als besser beurteilt wird als die der Windows-3.1- Umgebung von NT. Allerdings weiss niemand so genau, wann das Softwarehaus sich zu dieser entwicklerfreundlichen Massnahme entschliessen wird - die diskutierten Zeitraeume liegen zwischen zwei und fuenf Jahren.

Nicht nur diese Ungewissheit, auch die zu erwartenden Kosten einer Umstellung koennten potentielle Kunden abschrecken.

Pro Anwender schlaegt die Migration auf das neue Betriebssystem mit 200 bis 700 Dollar zu Buche - das zumindest errechnete die Gartner Group. Die Schwankungen haengen von Faktoren wie Trainingsbedarf, Know-how des User-Supports, Installationskosten etc. ab. Hinzu kommen die steigenden Hardware-Anforderungen: Power-User, die eine Applikations-Suite, ein E-Mail-System sowie Groupware nutzen, werden mindestens einen 486-DX-PC mit 16 MB RAM und einer 340 bis 500 MB grossen Platte benoetigen - allein Windows 95 schluckt rund 50 MB.

Allerdings erwarten die Marktforscher auch, dass sich die Investition innerhalb von drei bis sechs Monaten amortisieren duerfte. Nach ihrem "Total Cost of Ownership Model" errechnet die Gartner Group sogar jaehrliche Einsparungen gegenueber Windows 3.1 von 1200 Dollar pro Arbeitsplatz.

Diese Vorteile stellen sich unter anderem ein, weil Win 95 eine besondere Registrationsvorrichtung bietet - einen zentralen Speicher mit wichtigen benutzer-, anwendungs- und rechnerspezifischen Daten. Dieses System wird den remoten Support sowie die Administration erleichtern.

Allerdings sind die Informationen in dieser hierarchischen Datenbank hoechst sensibel. Werden sie manipuliert, muss der gesamte Rechner neu konfiguriert werden. Erleichterungen duerften auch die Plug-and-play-Faehigkeiten des Systems bieten, die dem Anwender die Installation neuer Programme deutlich vereinfachen.

Wichtiger noch als die Frage, ob Anwender zum Betriebssystem- Wechsel bereit sind, ist die, ob sie sich dazu zwingen lassen werden. Gartner geht davon aus, dass Microsoft Windows 3.1 noch etwa zwei Jahre nach dem Erscheinen von Windows 95 verkaufen wird, ohne die Software allerdings weiterzuentwickeln. Zwei Jahre haben Unternehmen also Zeit, auf das 32-Bit-System aufzuruesten und die Anwendungen, sofern gewuenscht, anzupassen.