Von einem dezentralen OS/2- zu einem zentralen Unix-System

Wind unter die Flügel der Kundenbeziehungen

15.10.1999
MÜNCHEN (qua) - Die alten Customer-Relationship-Systeme der mit dem Fluggastgeschäft betrauten Lufthansa-Abteilung Passage haben ausgedient. Im kommenden November sollen die OS/2-basierten Insellösungen, die ein schwer lösbares Jahr-2000-Problem aufweisen, durch ein neues System auf der Grundlage von Sun Solaris, Oracle 8 und Software von Vantive ersetzt werden.

In Märkten mit hohem Wettbewerbsdruck ist nichts so wichtig wie die Pflege der Kundenbeziehungen. Die Luftfahrt ist ein solcher Markt. Das Renommee der Lufthansa zählt wenig, wenn die Konkurrenz dieselbe Strecke zum günstigeren Preis bedient. Da heißt es, flexibel zu reagieren und einen loyalen Kundenstamm aufzubauen - nicht nur über Meilenbonus-Programme, sondern auch durch bestmöglichen Service bei jedem Kontakt - sei es am Check-in-Schalter oder am Telefon.

"Unser Ziel ist es, mittelfristig alle Informationen rund um den Kunden an einer Stelle zusammenzuführen und sie den Mitarbeitern am jeweiligen Point of Contact gleichermaßen zur Verfügung zu stellen", erläutert Petra Bretthauer, Leiterin des Projekts mit dem programmatischen Namen "Connect". Das könnte beispielsweise dem Bodenpersonal vor Ort helfen, zu entscheiden, welche Passagiere in die nächsthöhere Kabinenklasse wechseln dürfen, wenn ein Flug überbucht sein sollte. Schließlich ist nicht immer am Outfit erkennbar, bei wem sich eine solche Bevorzugung auszahlt.

Der dazu notwendige Zugriff vom Check-in-Terminal auf die Kundeninformationen ist derzeit nicht möglich und soll auch auf der ersten Ausbaustufe von Connect nicht gegeben sein. Zunächst werden die Serviceteams, also die Stadtbüros, mit der noch in Entwicklung befindlichen Anwendung ausgestattet. Auch im Hinblick auf die Funktionalität soll das System erst nach und nach seinen vollen Umfang erreichen.

Doch schon das erste Release, das voraussichtlich im kommenden November in Betrieb genommen wird, bietet genausoviel wie die Applikationen, die es ablöst. Mehr noch: Es integriert die derzeit getrennt geführten Anwendungsbereiche "Feedback-Management", sprich: Handhabung von Beschwerden oder Anregungen der Kunden, und "Kampagnen-Management", also Organisation und Abwicklung von Werbemaßnahmen, in einem durchgehenden System für das Customer-Relationship-Management (CRM).

Die beiden noch im Einsatz befindlichen Altanwendungen wurden Anfang der 90er Jahre als Client-Server-Lösungen unter dem IBM-Betriebssystem OS/2 entwickelt und 1991 beziehungsweise 1993 eingeführt. "Das war damals die Mode", erinnert sich Bretthauer.

Diese Mode hat sich gewandelt. Genervt durch den Verwaltungsaufwand der dezentralen Systeme, tendieren die Unternehmen wieder zur Implementierung zentraler Lösungen. Bei der Lufthansa bestand außerdem akuter Handlungsbedarf, denn einige Komponenten des derzeitigen Betriebssystems sind nicht Jahr-2000-fest und werden es laut Bretthauer auch nicht werden. Das betrifft vor allem die Betriebssystem-Bestandteile, die für die Kommunikation zwischen dem Datenbank-Server und den Applikationen verantwortlich sind.

"Die von uns benötigten OS/2-Komponenten werden von der IBM nicht mehr unterstützt," klagt die Projektleiterin. Das künftige Lufthansa-Betriebssystem für die Clients heißt deshalb Windows NT.

Zudem mußte die neue CRM-Lösung weitere Vorgaben der internen IT-Spezialisten berücksichtigen: Sie sollte mindestens dreischichtig konzipiert sein und eine Service-Architektur nach den Spezifikationen der Common Object Request Broker Architecture (Corba) unterstützen. Eine Eigenentwicklung kam jedoch aus Zeitmangel nicht in Frage.

Bei der Auswahl des Anbieters machte es sich die Lufthansa nicht leicht. An 16 Software-Unternehmen schickte sie jeweils einen 1200 Punkte umfassenden Fragebogen. Von den neun Anbietern, die darauf antworteten, lud sie sechs zu einem ganztägigen Workshop ein, wo sie ihren Lösungsvorschlag präsentieren konnten. Schließlich blieben Oracle und die drei CRM-Spezialisten Siebel, Clarify sowie Vantive übrig. Sie wurden nach vier Kriterien geprüft:

- Deckt das Produkt die aktuell geforderte und die geplante Funktionalität ab?

- Paßt es zur definierten IT-Strategie?

- Ist die Firma vertrauenswürdig genug, um eine langfristige Bindung mit ihr einzugehen?

- Bleibt der Preis im gesteckten Rahmen?

Letztendlich machte Vantive das Rennen - unter anderem wegen der geforderten Three-tier-Architektur. Die saubere Trennung von Applikations-Server und Oberfläche sei bereits implementiert, berichtet Bretthauer, "und wir haben die Zusicherung, daß in einem der nächsten Releases auch Applikations-Server und Datenbank entkoppelt sein werden."

Lufthansa entschied sich dafür, das aktuellste Vantive-Release 8.2 mit der Oracle-Version 8i als Datenbank-Management-System auf einem Unix-Server unter Sun-Solaris und mit Windows-NT-Clients einzusetzen. NT als Server-Betriebssystem kam für Bretthauer nicht in Frage: "Sieben, acht oder neun PCs statt eines Unix-Servers hinzustellen ist einfach zu unsicher."

Die am wenigsten aufwendige Lösung wäre eine Applikation, die zentral auf dem Server läuft und von den Anwendern via Browser abgefragt wird. Aber da spielte der Software-Anbieter noch nicht mit: Vantive nutzt einen eigenen Client, der auf jedem Windows-Rechner installiert werden muß.

Deswegen hatte sich die Software der Überprüfung durch die Lufthansa-Partner DeTeCSM und Sita zu unterwerfen, an die der Carrier die Betreuung seiner Netze und PCs vergeben hat - an die Telekom-Tochter DeTeCSM auf nationaler, an die Sita auf weltweiter Ebene. Erst nachdem die beiden Dienstleister sicher waren, daß Vantive mit der restlichen Lufthansa-Software harmonieren würde, bekam das Projekt grünes Licht. Dazu Bretthauer: "Wenn die uns Servicelevels garantieren, wollen sie auch sicherstellen, daß die Software vernünftig läuft. Deshalb müssen wir mit jeder Applikation durch ein Engineering hindurch."

Für den Betrieb des künftigen CRM-Systems wird ein anderer Servicepartner verantwortlich zeichnen: die konzerneigene Lufthansa Systems, die alle zentralen Systeme des Luftbeförderungs-Unternehmens betreut. Und einen dritten Dienstleister heuerte der ehemalige deutsche Staats-Carrier an, um die Standardsoftware an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. "Wir konnten Vantive nicht out of the box nehmen", erläutert Bretthauer. "Beispielsweise definiert die Lufthansa Kundendaten anders als ein Produktionsbetrieb."

Konkret heißt das: Es gibt für die Fluglinie nicht nur Einzel-, sondern auch Firmenkunden und - last, but not least - die Reisebüros; ganz zu schweigen von den vielen Fällen, in denen sich die Kundensegmente überschneiden oder diffizile Beziehungen eingehen. Diese Struktur mußte sowohl im Kampagnen- wie im Feedback-Management abgebildet werden.

Nachdem die Entscheidung für ein Softwareprodukt gefallen war, schaute sich die Lufthansa nach einem potentiellen Integrator um. Sie entschied sich für die Daimler-Benz-Tochter Debis Systemhaus - vor allem aus zwei Gründen, so Bretthauer: Debis konnte auch mit den aktuellen Vantive-Versionen Erfahrungen in Form erfolgreicher Projekte vorweisen. Zudem war das Systemhaus - anders als die Beratungsunternehmen - bereit, Gesamtverantwortung zu übernehmen, also die Schnittstellen mitzubetreuen und die Endanwender zu schulen.

Letzteres spielte für die Lufthansa vor allem deshalb eine Rolle, weil der Projektplan aufgrund des drohenden Jahrtausendwechsels denkbar knapp ausfiel: "Wir haben im April begonnen und wollen im November fertig sein", berichtet Bretthauer. "Innerhalb eines halben Jahres können Sie so etwas eigentlich überhaupt nicht anders machen, als wenn Sie alles in einer Hand lassen."

Für die Entwicklung des Systems verantwortlich waren interdisziplinäre Teams aus Debis-Entwicklern und Mitarbeitern unterschiedlicher Lufthansa-Abteilungen: Vertrieb, Marketing sowie IT-Strategie. Aber nicht nur deshalb hofft Bretthauer auf große Akzeptanz seitens der zirka 1100 Nutzer; über die gesamte Entwicklungszeit wurden vielmehr monatliche "Customer Panels" einberufen, bei denen Anwender aus aller Welt die "Optik" (Bretthauer) des Systems kritisieren durften. "Die Wahrscheinlichkeit, daß das fertige System etwas anderes ist, als die Nutzer wollten, ist relativ gering," hofft die Projektleiterin.

Alle Firmenkunden zum Golf-Turnier einladen

Mit Hilfe des neuen Kampagnen-Managements wird die Lufthansa ihre Agenten rechtzeitig über alle geplante Aktivitäten informieren können - vor allem, wenn die Konkurrenz gerade mit einer Preisaktion auf den Markt gekommen ist. Da sich diese Applikation auch dezentral nutzen läßt, erlaubt sie es beispielsweise dem Stadtbüro in München, alle seine Firmenkunden zu einem Golf-Turnier einzuladen.

Das mit dem Kampagnen-Management integrierte Feedback-Management-System soll Beschwerden oder Lob verzeichnen und gegebenenfalls die dafür vorgesehenen Maßnahmen einleiten. Zu diesem Zweck bietet Vantive ein rudimentäres Workflow-System an, dessen Möglichkeiten der Lufthansa zum jetzigen Zeitpunkt ausreichen.

Eines der Themen, die für das kommende Jahr auf dem Projektplan stehen, ist die Einbindung eines Sales-Force-Automation-Systems. Auch dafür hat Vantive, so beteuert Bretthauer, Funktionen implementiert.

Momentan muß sich die Lufthansa noch mit kleineren Eigenentwicklungen auf der Basis von Microsofts Messaging-Client "Outlook" und dem Tabellenkalkulations-Programm "Excel" vom selben Anbieter behelfen. "Aber das sind alles Einzellösungen", konstatiert Bretthauer. "Was wir wollen, ist ein integriertes System mit Vantive als Plattform..

Das System

Von dezentral zu zentral, von OS/2 zu Unix und Windows NT, von der Eigenentwicklung zur Standardsoftware. So läßt sich der Weg beschreiben, den die Lufthansa mit der neuen Lösung für das Customer-Relationship-Management beschritten hat. Der Carrier entschied sich für eine Softwarelösung des Anbieters Vantive, weil dieses Produkt eine Three-tier-Architektur und eine Middleware-Schicht nach Corba-Standard unterstützt. Als Datenbank-Management-System kommt Oracle 8 zum Einsatz.