SANTA MONICA. Joe Perry war "mächtig sauer". Der Gitarrist der Kult-Band Aerosmith hatte mitbekommen, dass seine Band mit keinem Titel bei "Guitar Hero" vertreten war. Die Rockstar-Simulation - mehr Phänomen als Videospiel - hat die US-Partyszene im Sturm erobert und dem Spieleriesen Activision in nur 26 Monaten eine Milliarde Dollar Umsatz eingespielt. Medienriese Viacom (MTV Games) meldete am Freitag einen Umsatzsprung im Bereich Neue Medien und Videogames um 72 Prozent auf 460 Millionen Dollar - hauptsächlich wegen des Millionensellers "Rock-Band", der im November gestartete Konkurrent zu Guitar Hero. Und jetzt ändert die Luftgitarre 2.0 auch noch die Art, wie Musik konsumiert und vertrieben wird.
Und so funktioniert es: Der Fan schlüpft in die Haut von Rock-Musikern, die Musik dröhnt aus der Stereoanlage, die (vereinfachten) Griff- oder Beat-Folgen für Plastik-Klampfe oder Digital-Schlagzeug werden am Bildschirm angezeigt. Wer Welthits sauber nachspielt, macht Karriere, geht auf Tournee, hat kreischende Fans und Groupies.
In den Starterpaketen für 100 bis 140 Dollar - inklusive Gitarre - sind nur ein paar Lieder dabei. Das große Geschäft kommt später: Vom naturgetreuen Nachbau der legendären "Fender Stratocaster", der meistverkauften E-Gitarre, für hunderte Dollar bis zum Lieblingssong kann der Fan alles kaufen. Und sie zahlen: Lieder kosten bei Guitar-Hero 1,99 Dollar pro Stück, Rock-Band nimmt zwischen 99 Cents und 2,99 Dollar. Zum Vergleich: Im Apple-Musikshop iTunes werden die gleichen Songs für 99 Cents verkauft.
Absoluter Verkaufshit bei Rock-Band ist das Fan-Paket der Heavy-Metal-Band Metallica, gefolgt von Police und Queen. Jedes Künstlerpaket enthält drei Titel. Wollen Möchtegern-Stars online im musikalischen Zweikampf etwa auf Microsofts "Xbox live"-Plattform gegeneinander antreten, müssen zuvor alle den entsprechenden Song kaufen. "Wir sehen einen Paradigmenwechsel", berichtet Stefan Schulz von Vivendi Mobile Entertainment. "Der Wert der Musik liegt nicht mehr nur im Inhalt, sondern im Kontext. Und so etwas ist hervorragender Kontext."
Losgetreten hatte den Mitmach-Trend die Karaoke-Software "Singstar" für Sony Playstation. Jetzt wird Videospiele-Musik zum dritten Standbein neben Klingeltönen, mit denen die Musikbranche laut Gartner weltweit schon über 1,4 Milliarden Dollar umsetzt - und Online-Musikshops. "Guitar Hero III: Legends of Rock" und "Rock-Band" - die es derzeit nur in den USA gibt - verzeichneten seit Oktober 2007 je über fünf Millionen Musikdownloads, bestätigten Firmensprecher. Zum Vergleich: In Deutschland wurden laut Bitkom im Gesamtjahr 2007 nur 34 Millionen Lieder und Musik-Alben online verkauft.
"Guitar Hero war das Beste, was der Musikindustrie passieren konnte", gibt sich Thomas Tippl, Finanzchef bei Activision in Santa Monica selbstbewusst. Insgesamt 15 Millionen Spiele der Serie wurden verkauft: "Jetzt stehen die Bands Schlange". Wer es ins Spiel schafft, macht gute Geschäfte. Und oft kaufen die Fans später noch mehr Musik der Band im Onlineshop, haben die Marktforscher von Nielsen Soundscan nachgehalten.
"GH" war auch das Beste, was Activision passieren konnte. "Mit Guitar Hero waren wir 2007 erstmals Marktführer in den USA", genießt Tippl den Triumph über den mit drei Mrd. Dollar Umsatz doppelt so großen Konkurrenten Electronic Arts. "Der Erfolg ist enorm", bestätigt MTV-President Van Toffler. Er will Rock Band zu einer Vertriebs- und Promotionplattform für die Musikindustrie ausbauen. Als Weihnachtsaktion wurden Songpakete von Newcomerbands zum "Schnupperpreis" von 99 Cents verkauft. Plattenfirmen können neue Bands oder Trends testen, Wettbewerbe oder virtuelle Welttourneen organisieren.
Und auch Joe Perry hat es geschafft. Das große Aerosmith-Fanpaket für Guitar Hero wird im Sommer auf den Markt kommen. Dann kann der vierfache Vater Perry gegen den Sohn mit den eigenen Songs im Wettstreit antreten. Eigentlich echt unfair.