RZB lagert Anwendungen vom Host auf Netz-Server aus

Wiener Bank realisiert E-Mail als Vehikel fuer mehr Effizienz

19.03.1993

Wie in fast allen Grossunternehmen der Finanzwirtschaft, traegt auch die DV-Struktur der RZB heute noch stark den Stempel der proprietaeren Mainframe-Epoche in den 70er und 80er Jahren. Als das Management des Geldinstitutes 1984 die Direktive ausgab, wir brauchen eine elektronisch gestuetzte, zentrale Textverarbeitung, war zwar das Ende der Siemens RZ-Maschine unter BS 1000 aufgrund eines fehlenden Host-basierten Office-Systems besiegelt, fiel die Entscheidung fuer Wang jedoch wieder zugunsten einer herstellerspezifischen Architektur aus.

Der unterdessen in Oesterreich in Konkurs gegangene Systeme-Hersteller setzte sich damals nach Testinstallationen gegen die Mitbewerber IBM und Data General durch. Bei einer reinen Wang-Loesung blieb es jedoch nicht. Von 1984 bis 1989 wurden, so Wolgang Lehrer, bei der RZB fuer die Betriebsorganisation verantwortlich, in bestimmten Fachabteilungen andere Maschinen angeschafft. Im Akkreditivbereich zum Beispiel eine Data General mit CEO als Office-Paket, im Devisenhandel eine VAX von DEC. Auf den Kauf des Buerokommunikationssystems All-in-one von DEC verzichteten die Wiener allerdings. Lehrer lapidar: "Verglichen zu DEC ist sogar IBM der billige Jakob."

Als 1989 der Umzug in ein neues Gebaeude anstand, war der Bestand der RZB auf vier VS-Grossrechner von Wang mit rund 400 Terminals und zahlreichen Druckern, zwei Maschinen von Data General sowie DEC und einen IBM-kompatiblen Host von Comparex angewachsen.

Vor der Uebersiedlung habe man sich, erzaehlt der DV-Verantwortliche, natuerlich Gedanken gemacht und halbherzig fuer ein vertikales Wang-Netz entschieden, um die 400 Peripheriegeraete des Herstellers optimal integrieren zu koennen.

Ziel der Planer war, im Vorfeld des Umzugs bereits eine Verkabelungsinfrastruktur zu generieren, die spaetere nachruestungen weitgehend ausschliessen und einen flexiblen Einsatz der Endgeraete zulassen sollte. Der Grund: Noch im Verlauf der letzten beiden Jahre vor dem Bezug des neuen Hauptsitzes mussten wegen interner Uebersiedlung und der Neuinstallation von Terminals 48 Kilometer Koaxialkabel verlegt werden. Diesem kostspieligen Aufwand versucht die RZB heute mit dem Cabling System Typ II von IBM auf Basdis von Twisted-Pair in der horizontalen Ebene sowie dem Wangnet und acht Token-Ring-Kabeln Typ I in der vertikalen Netzstruktur vorzubeugen.

Die Verkabelung des Neubaus hat der RZB Lehrer zufolge zwar viel Geld gekostet, bietet aber den Vorteil, dass alle 1,5 Meter eine Dose im Netzwerk installiert ist, die den Anschluss saemtlicher gaengiger Endgeraete erlaubt. Interne Umzuege seien dadurch heute kaum mehr ein Problem und wuerden, so der Netz-manager, die Investitionen wieder einspielen. Ausserdem setzt die Zentralbank Wangnet nicht nur fuer die Vernetzung der Wang-Rechner, sondern auch zur Kommunikation der Data-General- und DEC-Minis ueber Ethernet-Kabelkanal ein.

Als Netzwerk-Betriebssystem fahren die Wiener Baenker den OS/2 LAN-Server von IBM, weil der laut Lehrer am einfachsten mit der gegebenen Host-Welt zu koordinieren gewesen sei. In der Zentralbank liegt die gesamte installierbare Software auf einem Server, von dem die Anwender an den Clients ihre Applikationen laden. Lehrer, seit jeher ein Verfechter von Dezentralisierung und PC-Netzen, misst allerdings der gegenwaertig heftigen Diskussion um die Netzwerk-Betriebssysteme wenig Bedeutung bei. Seiner Meinung nach ist das Gerede im Vorfeld von Netware 4.0 und Windows NT ein "unsinniger Religionskrieg", weil die zu Zeit am Markt erhaeltlichen Produkte bereits Features haetten, die fuer den Anwender nur Overkill seien.

Eine Lanze bricht der Experte allerdings fuer den PC: "Die Bezeichnung Mickey-Mouse-Computer verdient der Arbeitsplatz-Rechner von heute laengst nicht mehr", meint Lehrer und weist darauf hin, dass durch die PC-Netze bei der RZB mittlerweile einige Applikationen am Host obsolet geworden sind. "Anwendungen auf dem mainframe zu betreiben, heisst die teuersten Mips der Welt benutzen", merkt der DV-Insider an. Seine Devise lautet daher: So zehntral wie noetig und so unabhaengig wie moeglich. Allerdings raeumt Lehrer auch ein, dass das Bankgeschaeft aufgrund der Datenvolumina und der Realtime-Faehigkeit ueberwiegend ein Host-Business ist.

Dennoch wird es den Wang-Hosts ueber kurz oder lang an den Kragen gehen. Eine Wang wurde bereits kuerzlich abgeschaltet, eine weitere soll bis Mitte 1993 folgen. Mehr wird Lehrer zufolge zunaechst allerdings nicht realisierbar sein, da die Wang-Applikationen im Bereich der zu buchenden Trqansaktionen nicht ohne weiteres auf dem PC abgebildet werden koennen. Die Einsparung der ersten Wang wurde moeglich, weil die User jetzt auf Lotus Notes umgestellt und der Rest auf die drei verbleibenden VS-Rechner verteilt wurden.

Die Empfehlung der Betriebsorganisation an die Geschaeftsfuehrung der Zentralbank, von Wang auf Lotus Notes zu migrieren, ist eine Folge der E-Mail-Strategie des Unternehmens. Fuer die DV-Verantwortlichen stellte sich 1989 nicht nur die Frage der sinnvollen Verkabelung, sondern auch die des problemlosen Informationsaustausches zwischen unterschiedlichen Buerokommunikationssystemen.

Nach der Eroeffnung einer Vollbankfiliale in London waren mit einer AS/400 und AS/400 Office ein neuer Rechner und eine neue Software zu den bereits existierenden Systemen Verimation Office, Wang Office, CEO und Profs hinzugekommen. Ausserdem galt es noch, die sechs MVS-Hosts der Rechenzentren mit den zahlreichen 3270-Terminals in das Netzwerk samt E-Mail-Anwendungen zu integrieren.

Staendige Erreichbarkeit ist die Einstiegsdroge

Die Loesung ihres Problems fanden die DV-Strategen in dem Produkt Central der amerikanischen Company Softswitch. Die auf einem Host in der Wiener Zentrale geladene Software mit einem X.400Gateway realisiert die Translation Services zwischen allen gaengigen Buerokommunikationssystemen weltweit und war zum Zeitpunkt der Installation nicht einmal so teuer wie die von Wang und IBM angebotenen proprietaeren Alternativen. Ausserdem besitzt Central einen kompletten Naming Service - also ein zentrales Directory -, mit dem alle User im Mailing-Verbund adressiert und die Wang-Umgebung bis auf weiteres noch eingebunden werden kann. Unter anderem besitzt die Softswitch-Software auch ein Gate fuer Lotus Notes, das die RZB seit Mai 1991 einsetzt.

Lehrer schwoert unter anderem auf das Lotus-Produkt, weil bei Notes die Mailbox gleichzeitig die Ablage ist. Bei Wang Office dagegen uesse der Posteingang erst umstaendlich geschlossen, der entsprechende Ordner gefunden und unter Betreff nach der Mail gesucht werden. Bei Verimation Memo ist dem Administrator zufolge die Vorgehensweise aehnlich. Seiner Meinung nach muss die Nutzung des Message-Systems dem Anwender aber moeglichst leicht gemacht werden, wenn E-Mail zur taeglichen Gewohnheit werden soll.

Davon ist der RZB-Betriebsorganisator fest ueberzeugt. "Die Einstiegsdroge ist, dem Adressaten einfach eine Mail schicken zu koennen, wenn er telefonisch nicht erreichbar ist", glaubt Lehrer an die Zukunft von E-Mail. Der Erfolg scheint ihm recht zu geben. Die Anwender nutzen, das zeigt die Erfahrung bei der RZB, nicht nur gern die zentralen Info-Services, sondern wenden die elektronische Post auch als effizienteres Arbeitsmittel gegenueber "der altparkinsonschen Methode des Ausdruckens und der Ablage im Akt" an.

Trotz des positiven Echos in seinem Unternehmen ist Lehrer ueber den Grad der Verbreitung von Message-Systemen insgesamt eher enttaeuscht. "Es ist ein Trauerspiel, dass Grossunternehmen, die Hardware fuer Millionen im Haus stehen haben, erst im Jahr neun nach Orwell beginnen, Bueroautomation anzudenken", uebt der DV-Manager Kritik. Schuld daran seien auch die Softwarehersteller, die sich immer wieder in neue Features verrennen, obwohl sie kaum jemand brauche.

Die Protokolle X400 und X.500 sind nach Meinung Lehrers kein Allzweckmittel fuer die einheitliche Nutzung von Message-Systemen, wuerden aber in jedem Fall den grossen Aufwand fuer die Konvertierung von einem Adressformat in andere ueberfluessig machen. Das Problem der Erkennung, mit welcher Software die Dateninhalte der Informationen erzeugt wurden, koenne aber nur durch die Entwicklung eines international einheitlichen Headers geloest werden, auf den sich die Hersteller einigen muessten. Der haette dann aber wieder den Nachteil, dass die Beschreibung des Formates mehr Platz kostet als der Inhalt der Meldung. Diesen Unwaegbarkeiten zum Trotz steht fuer Lehrer dennoch fest: "E-Mail ist fuer die RZB ein nicht mehr wegzudenkendes, die Effizienz steigerndes Medium."

Abb: Zentral geladene Softswitch-Software realisiert Translation Services ueber X.400-Gateway. Quelle: RZB