Wieder mehr Geld für E-Learning

30.08.2007
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
In der Weiterbildung erobert sich elektronisches Lernen einen festen Platz.
Wenn Unternehmen E-Learning einsetzen, geht es vor allem um fachliche Wissensvermittlung. Das Training von Soft Skills spielt keine große Rolle.
Wenn Unternehmen E-Learning einsetzen, geht es vor allem um fachliche Wissensvermittlung. Das Training von Soft Skills spielt keine große Rolle.

Christian Krombacher ist ein pragmatischer Mensch. Modeerscheinungen wie die E-Learning-Euphorie Ende der 90er Jahre mit Slogans wie "Wir brauchen keine Seminare mehr, alle Schulungen finden online statt" verwunderten den MAN-Akademieleiter aus München, überzeugen konnten sie ihn nicht. Seit 1992 setzte er lediglich das Seminarverwaltungssystem "Seminaris" vom Anbieter w&r Informationssysteme AG aus Hürth ein. Erst als 2003/04 die Idee von E-Learning als Teil einer kombinierten Lernstrategie ins Gespräch kam, bei der sich Präsenzseminare und Online-Lernformen ergänzen ("Blended Learning"), interessierte er sich wieder für das Thema. Doch manche der am Markt erhältlichen Plattformen waren ihm zu überladen, die vielen integrierten Merkmale schreckten ihn ab. "Ich möchte nur das bezahlen, was ich brauche", erklärt Krombacher. "Deshalb habe ich mich für die Plattform ,Fronter‚Äò eines norwegischen Anbieters entschieden. Ich kaufe nur die Module dazu, die ich wirklich einsetze."

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weshalb E-Learning wieder gefragt ist;

welche Einsatzmöglichkeiten es gibt;

welche Firmen virtuelle Lernkonzepte gewinnbringend anwenden.

Professoren arbeiten im virtuellen Klassenzimmer

Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen integrieren E-Learning-Angebote häufig in Aufbau- oder Master-Studiengänge. An der privaten Fachhochschule der Wirtschaft in Paderborn (FHDW) sind E-Learning-Elemente ein fester Bestandteil des Uni-Alltags. Vor allem den Studierenden eines Master- oder MBA-Programms, die ihre Ausbildung berufsbegleitend absolvieren, erleichtert E-Learning die Koordination der beiden Lebens-welten. Die Bachelor- und Master-Angebote der FHDW richten sich an Betriebswirte, Wirtschaftsinformatiker und Informatiker.

"Zu Beginn steht immer eine Präsenzphase an der Hochschule", erläutert Frank Körsgen, Professor für Betriebswirtschaftslehre in Paderborn: "Es ist wichtig, dass sich die Studierenden und ihre Dozenten persönlich kennen lernen." Nach den vier Wochen an der Fachhochschule arbeiten die Lernenden anschließend weitere acht Wochen pro Semester im virtuellen Klassenzimmer. Daran schließen sich eine Präsenzwoche und sieben Wochen E-Learning an. In den letzten beiden Wochen des Semesters kommen die Studierenden nochmals an die Hochschule, um Klausuren zu schreiben. "Die besten Erfahrungen haben wir mit synchronem Lernen gemacht; hierbei unterrichtet der Dozent in einem virtuellen Klassenzimmer und ist mit den Studierenden online verbunden." Außerhalb der Unterrichtszeiten treffen sich die Studierenden im virtuellen Klassenzimmer, um sich auszutauschen oder gemeinsam zu lernen. Eine leistungsfähige Software mit guter Tonqualität sei besonders wichtig, so Körsgen, Webcams setzen meistens nur die Lehrenden ein.

In den virtuellen Unterrichtseinheiten bespricht die Arbeitsgruppe meistens Fallstudien. Ähnlich wie im richtigen Seminarraum muss der Dozent einen abwechslungsreichen Unterricht bieten. "Spätestens nach fünf Minuten sollten Fragen eingestreut werden, denn sonst lässt die Aufmerksamkeit nach", berichtet Körsgen. Die Teilnehmerzahl eines Kurses variiert zwischen zehn und 30 Lernenden, kleine Gruppen lernen besser als große. Doch der Professor räumt ein, dass E-Learning-Angebote nicht die gleiche Effizienz wie ein Präsenzseminar bieten können. "Blended Learning ist ein guter Kompromiss, denn die Zeitersparnis und die Kombination von Beruf und Studium sind nur mit E-Learning-Angeboten möglich."

30 000 Mechaniker weltweit bilden sich online weiter

Krombacher muss global planen. Von München aus werden die Weiterbildungen von rund 30 000 Mechanikern in den Werkstätten weltweit gebucht und organisiert, und zwar von zwei Mitarbeiterinnen und dem MAN-Akademieleiter selbst. Eine wichtige Voraussetzung für den weltweiten Einsatz ist die Unicode-fähige Plattform, das heißt, die Mechaniker lernen immer in ihrer Muttersprache. "Wir lassen alles in die jeweilige Landessprache übersetzen. Das ist zwar sehr teuer, aber notwendig", so Krombacher. Mittlerweile stehen 16 Sprachen im System zur Verfügung, darunter auch solche, die wie Griechisch oder Russisch nicht das lateinische Zeichensystem verwenden. Das bereitete den Softwareentwicklern anfangs Kopfzerbrechen, doch innerhalb von vier Wochen hatten sie das Problem gelöst.

Personalabteilung kontrolliert genau den Bildungserfolg

Der MAN-Mann arbeitet seit vier Jahren mit w&r und dem Münchner E-Learning-Anbieter CBTL zusammen. Das Dreier-Team entwickelte die eigene, auf die Bedürfnisse von MAN zugeschnittene Lernumgebung ICPM (Intuitives Collaborations- und Produktions-Management). Dazu gehören die Plattform Fronter, das Seminarbuchungssystem von w&r sowie die E-Learning-Kurse von CBTL. Einen mittleren sechsstelligen Betrag investierte die MAN-Akademie seit 1992 in das E-Learning-Projekt. Über Nutzungsgebühren refinanziert Krombacher wieder einen Teil seiner Investitionen. Ein Lerner kann sich jederzeit in den gebuchten Kurs einklicken, Passagen wiederholen und das Lern-Tool wie ein Nachschlagewerk nutzen. Auf diese Weise will der Akademieleiter erreichen, dass sich die Nutzer immer wieder mit der Lernumgebung beschäftigen und möglichst unbefangen damit umgehen. Mit einem großen Online-Kursangebot bereiten sich die Mechaniker auf Präsenzseminare vor. Zusätzlich bietet die Akademie rund 114 unterschiedliche Seminare mit ihren 70 Trainern vor Ort an. "Jeder Mitarbeiter absolviert pro Jahr durchschnittlich drei Weiterbildungstage", so Krombacher.

Plattform und Seminarbuchungssystem stellen gleichzeitig ein wichtiges Instrument für die zentrale Personalabteilung und jeden Landeschef dar. "Erfolgskontrolle ist uns sehr wichtig. Unsere Mechaniker müssen immer auf dem neuesten Stand sein." Wenn Krombacher sein Konzept anderen Kollegen aus der Automobilbranche vorstellte, erblaste schon mancher vor Neid, dessen eigenes Projekt nicht so recht ins Laufen kam und wesentlich teurer war. Erste Interessenten klopfen deshalb an und fragen nach, ob sie ein ähnliches System nutzen können. CBTL, w&r und MAN-Nutzfahrzeuge vermarkten inzwischen gemeinsam die Lernumgebung ICPM.

MAN achtet in der Konzeption darauf, dass die Inhalte auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt sind. "Die Didaktik der Lerninhalte ist mir sehr wichtig, ebenso berücksichtigen wir das Alter des Lerners. Ein 50-Jähriger liest und lernt anders als ein 20-Jähriger", so Krombacher. "Wir denken beispielsweise gerade darüber nach, ob der 20-Jährige besser anhand eines Wissensspiels lernen könnte." Die Themen und Ideen gehen dem engagierten Weiterbildungsexperten keineswegs aus.

Gute Didaktik muss nicht gleich das Produkt verteuern

Die Selbstlernprogramme für die MAN-Akademie liefert CBTL. "Die Didaktik spielt in der Konzeption unserer Lernangebote eine wichtige Rolle", wirbt Patricia Beauvery, Vertriebschefin von CBTL in München. "Viele Interessenten fürchten, dass didaktisch ausgereifte Kurse besonders teuer sind - das ist nicht der Fall, denn Firmen können das Angebot beliebig oft einsetzen sowie schnell ändern, und die Mitarbeiter nutzen es lieber als langweilige Powerpoint-Folien." Wer selbst Inhalte erstellen möchte, kann beispielsweise das Tool "Evolution" verwenden.

CBTL beschäftigt in München 25 Mitarbeiter, berät Firmen in E-Learning-Fragen und erstellt E-Learning-Content. In der Kundenliste finden sich Konzerne wie Audi neben Behörden etwa des Landes Nordrhein-Westfalen oder auch Verlage. Die Themen der Lernkurse reichen vom Sprachtraining bis zum Mitarbeitergespräch. Allein für den Lebensmittelkonzern Kaiser´s Tengelmann entwickelte CBTL rund 30 Kurse, mit denen 13 000 Mitarbeiter lernen, wie sie beispielsweise ein Verkaufsgespräch führen oder welche Besonderheiten das Lebensmittel Käse hat.

Vertriebstraining geht auf Landesmentalitäten ein

Produkt- und Vertriebsschulungen sind mittlerweile ein beliebtes Einsatzgebiet von E-Learning. Die Agentur Bassier, Bergmann & Kindler (BB&K) aus Oberhausen freut sich über einen Großauftrag von VW. Am Firmensitz in Oberhausen wird bereits eifrig an den Web-basierenden Vertriebstrainings (E-Trainings) für den Wolfsburger Konzern getüftelt. Das Lernprogramm begann im Juni in Österreich, im Juli kam der Rollout in Großbritannien, weitere Pilotmärkte folgen noch in diesem Jahr. Irgendwann sollen alle VW-Händler weltweit mit dem Programm möglichst viele Verkaufsargumente zu einzelnen Fahrzeugmodellen online lernen. "Wir schulen schon heute Händler von o2, Hugo Boss und Porsche mittels E-Learning für den Vertrieb", erklärt Kai Hagenbruck, in der Agentur Ansprechpartner für das VW-Geschäft.

"Wir passen die Trainings an die jeweilige Landessprache an. Interkulturelle Besonderheiten werden, so weit es geht, berücksichtigt", so Andreas Herde, Unit Leader Business Development von BB&K. Allerdings gebe es bei den Verkaufsargumenten für die jeweiligen Autotypen keine länderspezifischen Anpassungen. Auch das Alter des Händlers sei für die Konzeption der elektronischen Lernprogramme irrelevant. Spaß und eine gelungene optische Umsetzung in der Konzeption der Kurse spielten dagegen eine wichtige Rolle. An einer ansprechenden Grafik, dem Inhalt und der Programmierung werkelt ein großes Agenturteam.

Die Lernkurse setzen sich aus jeweils drei Modulen zusammen; jede dieser Lerneinheiten beschäftigt den Händler rund 30 bis 40 Minuten. Zwischenfragen, interaktive Elemente wie simulierte Verkaufsgespräche und Wissenstests sollen den Lernenden zusätzlich motivieren. "Unsere E-Trainings dienen der Vermittlung von produktbezogenem Verkaufswissen und sind in die Blended-Learning-Strategie von VW eingebunden", so Hagenbruck.

Open-Source-Produkte sind eine gute Alternative

"E-Learning wird mittlerweile in vielen Unternehmen ganz selbstverständlich eingesetzt, ohne dass darüber gesprochen wird", beobachtet Lutz Goertz, Abteilungsleiter Bildungsforschung am Institut für Medienkompetenzforschung (mmb) in Essen. "Ein Mix aus E-Learning und Präsenzseminaren verspricht den größten Erfolg." Doch gerade in kleineren Firmen sieht der Bildungsexperte Nachholbedarf: "Sie müssen noch lernen, mit E-Learning oder Lern-Management-Systemen umzugehen. Viele scheuen anfangs die Kosten." Hier böten Open-Source-Produkte eine gute Alternative für den Einstieg.

"E-Learning ist wieder stark im Kommen", berichtet Peter Sprenger vom Saarbrücker E-Learning-Unternehmen imc. Konzerne und Mittelständler suchen gleichermaßen nach E-Learning-Lösungen und Plattformen. Während in den vergangenen Jahren viele Kunden eine ganz eigene Plattform wünschten, gehe jetzt der Trend stärker zu standardisierten Produkten, die einfacher zu handhaben sind. "Anpassungen sind immer möglich", wirbt Sprenger. Auch das imc-Produkt "clix" wurde in den vergangenen Jahren stärker standardisiert.

Kontroverse Diskussion zu zielgruppenspezifischen Inhalten

Branchen wie Pharma, Banken und Versicherungen setzen E-Learning beispielsweise ein, um Mitarbeiter mit sicherheitsrelevanten Themen vertraut zu machen. Die elektronischen Schulungen ermöglichen es, viele Teilnehmer gleichzeitig weiterzubilden. So verfügen beide Seiten durch entsprechende Tests über einen Beleg, dass sie bestimmte Vorschriften kennen.

Die Modewelle Web 2.0 schwappte auch über E-Learning hinweg. Mit einem neuen Etikett wurden beispielsweise längst bekannte Tools wie Virtual Classroom versehen. "Es gibt Firmen, die mittels virtueller Klassenzimmer ihre Außendienstmitarbeiter schulen. Dort lassen sich Powerpoint-Präsentationen und Fotos problemlos integrieren", so Bildungsexperte Goertz. Neue Elemente wie Wikis im Intranet und Communites of Practise erfordern geübte Lerner.

Wie wichtig ausgereifte und zielgruppenspezifische didaktische Konzepte sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Goertz empfiehlt in dieser Frage ein genaues Abwägen: "Es ist wichtig, gerade Leute mit guten Konzepten zu begeistern, die sonst vielleicht einen Bogen um Bildungsangebote machen." Das Alter des Lerners spiele dagegen keine allzu große Rolle, Schubladen wie "bis 18" oder "über 50" wirkten abschreckend. "Wer einen Englischkurs im Stil eines Computerspiels nach Lara-Croft-Manier entwickeln möchte, muss scheitern, da das Original einfach besser ist. Dagegen ist es sinnvoll, beispielsweise für Auszubildende mehr Interaktionselemente und eine stärkere Vernetzung einzubauen." (hk)