Kolumne

"Wie würden Sie entscheiden?"

06.07.2001
Christoph Witte Chefredakteur CW

In erster Linie ist Recht eine Formalie. Akzeptiert man diese Definition, geht das Urteil des Berufungsgerichts im Fall Microsoft in Ordnung. Die Kläger, heißt es in der Urteilsbegründung beispielsweise, hätten nicht nachweisen können, dass durch die Bündelung von Internet Explorer und Betriebssystem ein Monopol im Browser-Markt entstanden sei, weil es an einer genauen Definition dieses Marktes gebreche. Außerdem seien keine "substanziellen" Barrieren aufgezeigt worden, mit denen Microsoft den Markteintritt anderer verhindert haben könnte.

Formal ist es offenbar ein gravierender Unterschied, ob Microsoft mit allen möglichen Tricks versucht, Mitbewerber vom Markt zu fegen, oder ob es den Zugang verhindert. Außerdem lässt sich rechtlich nicht feststellen, dass Microsoft den Browser-Markt dominiert, wenn dieser von den Klägern nicht genau definiert ist. Da spielt die Frage, was denn wohl außer Browsern noch zum Browser-Markt gehört, keine Rolle.

Obwohl das erstinstanzliche Urteil bestehen bleibt, wonach Microsoft seine Marktmacht zur Stützung seines Monopols ausgenutzt hat, wird es durch die Aufhebung des Strafmaßes Makulatur. Da die Einheit des Konzerns nun sichergestellt ist, wird Microsoft mit Windows XP da weitermachen, wo es mit Windows 2000 aufgehört hat. Es wird weitere Funktionen in das Betriebssystem integrieren und bei jeder höheren Bündelungsstufe heimlich feixend auf das zweite Urteil als Freibrief verweisen.

Jetzt geht es nur noch ums Geld. Da der Monopolmissbrauch nun amtlich festgestellt ist, wird Microsoft eine Vielzahl von Sammelklagen gieriger Anwälte abwehren müssen. Gelingt es nicht, diese Attacken mit dem Hinweis zu ersticken, dass laut einer früheren richterlichen Verfügung die Bündelung von Browser und Betriebssystem den Anwendern nicht geschadet hat, wird unter Umständen eine Menge Geld fließen müssen.

Doch abgesehen von den Formalitäten ist dieses Urteil ein politisches. Die heutige Bush-Administration ist auch mit Hilfe von üppigen Wahlkampfspenden aus Redmond in Amt und Würden gekommen. Der Präsident hat sich im Wahlkampf zugunsten von Microsoft geäußert, der neue Justizminister und seine Ankläger sind Teil dieser Administration. Aber natürlich hält dieser Eindruck einer formalen Betrachtung nicht stand: Zum einen, weil sich die politische Einflussnahme nicht nachweisen lässt, und zum anderen, weil ihre Auswirkungen sich einer rechtlich tauglichen Definition entziehen würden.

Wer von diesem Urteil enttäuscht ist, hält Rechtsprechung immer noch für etwas, was mit Rechtsempfinden und Moral zu tun hat. Aber dafür kann man sich bekanntlich nichts kaufen: jedenfalls kein Betriebssystem oder Browser. Dafür will Microsoft nach wie vor harte Dollars, und in Zukunft wahrscheinlich noch mehr.