Wie Wikis die IT-Nutzung verändern

19.01.2005
Von 
Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Sie sind flexibel, einfach und billig: Wikis stehen für Web-Seiten, die sich ebenso leicht lesen wie verändern lassen. In Unternehmen können sie den Wissensaustausch verbessern.

Hier lesen Sie …

  • was sich hinter dem Wiki-Konzept verbirgt;

  • wie Unternehmen von Wiki-Software profitieren können;

  • wie sich Wikis von klassischen Informations- und Collaboration-Tools unterscheiden;

  • welche Software derzeit verfügbar ist.

Das Konzept klingt trivial. "Im Grunde sind Wikis nichts anderes als vernetzte Kreidetafeln", erläutert Alexander Linden, Vice President Emerging Technologies bei Gartner. Über die gleiche Browser-basierende Schnittstelle können Benutzer Inhalte sowohl lesen als auch verändern. Im IT-Fachjargon fallen Wikis am ehesten in die Kategorie Hypertext-Authoring-Systeme, so der Gartner-Mann, allerdings mit einigen gravierenden Vorteilen: Sie sind einfach zu bedienen und benötigen kein zusätzliches Client-Programm. Die erforderliche Software liegt komplett auf dem Server.

Das derzeit größte und bekannteste Wiki ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Benutzer können Artikel verändern und auf frühere Versionen zurückspringen.

Für Ward Cunningham, der 1995 die erste Wiki-Website für ein Softwareentwicklungsteam baute, handelt es sich schlicht "um die einfachste Online-Datenbank, die man sich vorstellen kann". Damit verbunden ist ein weiterer Vorzug, der auch den Namen des Konzepts erklärt: Das hawaiische Wort Wiki bedeutet übersetzt "schnell". Streng genommen besteht ein Wiki lediglich aus einem Stück Server-Software, das es Benutzern erlaubt, per Browser Website-Inhalte zu erstellen und zu verändern. Umso erstaunlicher mutet es an, dass die Gartner-Forscher darin eine aufstrebende Technik sehen, die sich binnen zwei Jahren zu einem Hype entwickeln könnte - ähnlich wie derzeit die drahtlose Verbindungstechnik Wimax oder die Service-orientierte Architektur für Software.

Wikis verbessern die Zusammenarbeit im Unternehmen über einen gemeinsam genutzten Arbeitsraum, begründen die Marktforscher ihre Einschätzung. Die einfache Bedienung und das simple Konzept würden Nutzer dazu ermutigen, selbst Beiträge zu liefern. Das führe zu mehr Wissensaustausch und einer intensiveren Zusammenarbeit, was wiederum Kreativität und Innovation fördere.

Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. So lassen sich Wikis etwa für Softwareentwicklungsprojekte nutzen, als Ersatz für ein statisches Intranet oder für die Pflege einer Supportdatenbank. Letzteres war das Motiv für Twiki.org, eines der ersten Wikis. Generell eignen sich die schnellen Websites dazu, große Textmengen zu verwalten, die an vielen Stellen geändert werden müssen.

Neben der Manipulierbarkeit durch die Benutzer zeichnen sich Wikis durch weitere typische Eigenschaften aus: Über eine einfache Syntax ("Wiki Syntax") können auch Laien ohne HTML-Kenntnisse rasch Texte formatieren und verlinken. Wiki-Websites enthalten zudem eine sichtbare Änderungshistorie, die es erlaubt, jederzeit auf ältere Versionen eines Dokuments zurückzuspringen. Hinzu kommt die Möglichkeit, dynamische Website-Funktionen über Plugins einzubauen. So lassen sich etwa "meistbesuchte" oder "meistgeänderte" Seiten ermitteln oder Diskussionen verfolgen, die eine Seite hervorgerufen hat.

Dass gegenwärtig nur wenige Beispiele in der Unternehmens-IT bekannt sind, liegt daran, dass der Wiki-Einsatz in der Regel nicht vom Management angestoßen wird. Ähnlich wie einst das Open-Source-Betriebssystem Linux werden Wikis oft von Mitarbeitern "ins Unternehmen eingeschleppt", berichtet Mathias Schindler, Vorstand des Vereins Wikimedia Deutschland. Linden spricht in diesem Zusammenhang von einer Art "Grassroots-IT", die irgendwo in den Abteilungen wachse. "In Deutschland würde man eher den Begriff anarchische IT wählen", so der Marktforscher. Anlass zur Sorge bestehe für IT-Verantwortliche deshalb aber nicht: "Wikis sind ein Experiment, dem auch der CIO zustimmen sollte." Sie förderten den Wissenstaustausch und würden im Gegensatz zu E-Mail oder Internet selten missbraucht.

Christian Gasser, Chief Technology Officer beim Software- und Beratungshaus Elca, kennt keine Berührungsängste. Das Unternehmen mit Sitz im schweizerischen Lausanne setzt derzeit zwölf bis 15 verschiedene Wiki-Webs für die Dokumentation und Unterstützung von Kundenprojekten ein. "Angefangen hat alles mit einem Projekt, in dem die Kollegen einfach mal Wikis ausprobierten", berichtet der Manager. Danach seien die Installationen organisch gewachsen und würden inzwischen auch von der internen IT-Mannschaft unterstützt.

Für die Wiki-Webs habe vor allem deren Offenheit und Flexibilität gesprochen. So sei es Elca möglich gewesen, die eingesetzten Standard-Tools für die eigenen Bedürfnisse weiterzuentwickeln. Der Technikchef nennt aber auch Kostengründe. "Die Alternative, für die rund 500 Elca-Ingenieure eine Microsoft-Sharepoint-Lizenz zu erwerben, wäre zu teuer gewesen."

Die meisten Wiki-Engines sind Open-Source-Produkte

Verglichen mit klassischen Collaboration-Tools bieten Wikis mehr Flexibilität zu "vernichtend geringen Kosten", argumentiert auch Wikimedia-Vorstand Schindler. Letzteres ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die meisten Wiki-Engines Open-Source-Entwicklungen sind und damit jedermann kostenlos zur Verfügung stehen. Weil der Zugriff über einen beliebigen Browser möglich ist, lassen sich Wikis plattformunabhängig einsetzen. So nutzt beispielsweise der Internet-Konzern Yahoo die Wiki-Implementierung Twiki für die Dokumentation und Projektverwaltung seiner Produkte. Auch der deutsche Konkurrent Web.de greift im IT-Bereich auf Wikis zurück.

Das derzeit größte und bekannteste Wiki ist die frei zugängliche Online-Enzyklopädie Wikipedia. Sie enthält mehr als eine Million Artikel und ist in rund 70 Sprachversionen verfügbar. Weitere im deutschsprachigen Raum bekannte Wikis sind das Deutsche Software Entwickler Wiki (www. wikiservice.at/dse/wiki.cgi), das LinuxWiki (www.linuxwiki.de) und das Jura-Wiki. Seit Dezember 2004 versuchen die in der Wikimedia Foundation organisierten Betreiber von Wikipedia, eine Nachrichten-Site zu etablieren. Bislang konnte Wikinews allerdings nicht an die Erfolge der offenen Enzyklopädie anknüpfen.

Software-Tools für Wikis kostenlos erhältlich

An Software-Tools für die Einrichtung von Wikis mangelt es nicht. Die meisten entstehen derzeit im Rahmen von Open-Source-Projekten. Auf der Entwicklerplattform sourceforge.net finden sich mehr als 200 einschlägige Produkte. Zu den beliebtesten Engines zählen die von Wikipedia verwendete Software Media Wiki, Twiki, JSP Wiki und die in Python geschriebene Wiki-Implementierung MoinMoin.

Dass es dabei noch Raum für Verbesserungen gibt, bestätigt auch Wiki-Anwender Gasser. So seien etwa die Formatierungsoptionen für manche Nutzer nicht ausreichend. Die meisten Wiki-Tools unterstützen noch nicht das Konzept "What You See Is What You Get" (Wysiwyg). So arbeitet vor allem die Open-Source-Gemeinde derzeit an einfacheren Benutzerschnittstellen und Visualisierungs-Tools.

Dennoch werden Wikis auf mittlere Sicht keine Spielweise für Open-Source-Programmierer bleiben, erwartet Gartner. Zum Beispiel haben sich mit Socialtext oder Jotspot  bereits Anbieter positioniert, die das Konzept für kommerzielle Produkte nutzen. Branchengrößen wie IBM sind laut Gartner ebenfalls dabei, Wiki-ähnliche Funktionen in ihre Produkte zu integrieren. Das gilt offenbar auch für das weltgrößte Softwarehaus: Wiki-Erfinder Cunningham arbeitet heute für Microsoft.