VW.OS Betriebssystem

Wie Volkswagen Softwarekonzern werden will

25.06.2020
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Volkswagen - erste Schritte in eine Plattform-Ökonomie

"Wir wollen eine offene Plattform bauen", beschreibt Sauer die Vision der VW-Verantwortlichen. Auch Zulieferer sollen sich hier mit einklinken. Dabei geht es vor allem um die Optimierung sämtlicher Supply-Chain-Prozesse. Gerade die Coronakrise habe an dieser Stelle Abhängigkeiten und Unzulänglichkeiten schonungslos aufgedeckt. Sauer will an dieser Stelle nicht von Zwang sprechen. Allerdings will man bei VW mit der Industrial Cloud eine zentrale Plattform als De-facto-Standard für die eigene Produktion schaffen - mit allen Konsequenzen für die angeschlossenen Zulieferer. Göller wirbt mit Win-Win-Szenarien für die Nutzung der VW-Plattform. Beispielsweise könnten Daten aus der Prüfung von Schweißpunkten den Herstellern von Schweißzangen dabei helfen, ihre Maschinen zu optimieren.

Was die Digitalisierung für die deutschen Autokonzerne bedeutet:

Sauer betont dabei den Plattformgedanken. Bei der Industrial Cloud handele es sich nicht um ein klassisches Rollout-Projekt. Der Aufbau einer Plattform dauere am Anfang länger, gewinne aber mit wachsender Nutzung an Geschwindigkeit und Dynamik. Erste Magneteffekte seien bereits erkennbar, beispielsweise seitens der Logistikkollegen im VW-Konzern, berichtet Sauer. Der Manager denkt außerdem über die Unternehmensgrenzen hinweg. So sei die VW-Produktionsplattform durchaus auch für andere Industrien interessant. Der Konzern führe bereits konkrete Gespräche. Namen wollte Sauer jedoch nicht nennen.

Auch in Sachen Automotive Cloud und VW.OS sieht man in Wolfsburg offenbar Potenzial für einen breiteren Plattformeinsatz. Senger spielt dabei auf die Anfänge von Linux an. Ein solches Projekt brauche zu Beginn einen starken Treiber. Wenn das Vorhaben aber einmal ins Rollen gekommen sei, böten sich verschiedenste Möglichkeiten - auch Kooperationen mit anderen Autobauern und Industrien.

Der Autoabsatz ist weltweit regelrecht eingebrochen - schwere Zeiten für Herbert Diess, den Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG. Dazu kommen Pannen in Kommunikation und Produktion.
Der Autoabsatz ist weltweit regelrecht eingebrochen - schwere Zeiten für Herbert Diess, den Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG. Dazu kommen Pannen in Kommunikation und Produktion.
Foto: Volkswagen AG

Bis es soweit ist, wird VW jedoch noch eine Menge Entwicklungsressourcen in seine Cloud-Projekte investieren müssen. Die Rahmenbedingungen dafür sind derzeit alles andere als gut. Gerade die Automobilbranche bekommt die Auswirkungen der Coronakrise extrem zu spüren. Der Neuwagenabsatz in Europa und den USA ist in den vergangenen Monaten regelrecht eingebrochen. Auch wenn der so wichtige chinesische Markt zuletzt leichte Erholungstendenzen zeigte, bleiben die Prognosen für den weiteren Jahresverlauf insgesamt düster. Hilfe für die deutschen Autobauer ist nicht in Sicht, nachdem die Regierung in ihren Konjunkturpaketen die von der Industrie so vehement geforderte generelle Kaufprämie für Neuwagen unter den Tisch fallen ließ.

Dazu kommen hausgemachte Probleme. Das Geschäft mit den Verbrennern funktionierte in der Vergangenheit zu gut - so dass die deutschen Konzerne den Trend hin zu neuen Antrieben wie der Elektromobilität verschliefen. Das gilt auch für VW: Der Versuch der Wolfsburger, Boden gut zu machen, endete in einer peinlichen Pannenserie. Der ID.3, mit dem VW eigentlich im Markt für Elektromobilität reüssieren wollte, kommt wegen Softwareproblemen nicht aus den Werkshallen. Konzernchef Herbert Diess, der das Projekt zur Chefsache erklärt hatte, ist angezählt.

Markus Duesmann, seit Anfang April Chef von Audi, soll die Entwicklung bei VW auf Vordermann bringen.
Markus Duesmann, seit Anfang April Chef von Audi, soll die Entwicklung bei VW auf Vordermann bringen.
Foto: VW

Interne Machtkämpfe könnten die so wichtigen Cloud-Vorhaben weiter schwächen. Markus Duesmann, der erst Anfang April als Vorstandsvorsitzender die Audi AG übernommen hatte, soll künftig auch die Verantwortung für das Entwicklungsressort und die Softwaretochter tragen, berichtete das "Handelsblatt". Wie das künftige Machtgefüge zwischen Diess, Duesmann und Senger aussehen wird, ist nicht abzusehen. Man könne dazu derzeit nicht offiziell Stellung beziehen, hieß es dazu im Konzern.

Forschungs- und Entwicklungsbudgets werden gekappt

Ob sich die ambitionierten Pläne VWs finanzieren lassen, bleibt abzuwarten. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass die Coronakrise einer Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) voll auf die Forschungsausgaben der Unternehmen durchschlägt. Knapp vier von zehn der 250 befragten Betriebe haben demzufolge ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten reduziert oder sogar ganz gestoppt, hieß es in einem Bericht des Handelsblatts, das sich auf die Ergebnisse der Umfrage beruft. In der kriselnden Automobilindustrie seien es mittlerweile sogar vier Fünftel.

Softwareprobleme haben den Start des ID.3 begleitet, mit dem VW eigentlich in Sachen Elektromobilität durchstarten wollte.
Softwareprobleme haben den Start des ID.3 begleitet, mit dem VW eigentlich in Sachen Elektromobilität durchstarten wollte.
Foto: VW

Wie sich das auswirken kann, haben BMW und Mercedes gezeigt. Die beiden VW-Konkurrenten lassen ihre geplante Zusammenarbeit für die Entwicklung der nächsten Technologiegeneration im Bereich automatisiertes Fahren vorerst ruhen. Aktuell sei nicht der richtige Zeitpunkt für eine Kooperation gegeben, hieß es zur Begründung. Als problematisch identifizierten die Verantwortlichen den Aufwand für die Entwicklung einer gemeinsamen technologischen Basis. Dazu kämen schwierige unternehmerische und konjunkturelle Rahmenbedingungen. Beide Konzerne betonten, eigene Initiativen und Plattformen mit Partnern verfolgen zu wollen. Eine Zusammenarbeit zu einem späteren Zeitpunkt sei weiterhin möglich, verlautete von Seiten der BMW- und Mercedes-Verantwortlichen. Soll wohl heißen: Wenn die Krise überwunden ist und die Zeiten wieder besser werden. Bloß wann?