Digital Twin

Wie Unternehmen von einem digitalen Zwilling profitieren

07.03.2018
Von   IDG ExpertenNetzwerk und
In seinen beruflichen Stationen bei Siemens, Staufen AG, MT Aerospace und aktuell Webasto trug Dr. Walter Huber überwiegend die Verantwortung für strategische Veränderungen. Aktuell ist er bei Webasto als Director im Produktionsbereich/Manufacturing Engineering beschäftigt. Im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit hat er über 30 Industrie 4.0 Projekte umgesetzt und mehrere Firmen in Richtung Industrie 4.0 transformiert. Hierzu ist auch beim Springer Verlag das Buch mit dem Titel Industrie 4.0 in der Automobilproduktion erschienen. Ein weiteres Buch mit dem Titel Wie Technologien unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen verändert erscheint ebenfalls beim Springer Verlag.
Co-Autor von Dr. Walter Huber

Digital Twin - Produkthersteller und ihre Lösungen

Die Hersteller gliedern sich im Wesentlichen in die Gruppe der PLM-Anbieter und jene der Cloud-Dienste. Alle relevanten PLM-Hersteller verfolgen ihre eigenen, differenzierten Strategien. Die Umfassendste hat sicherlich Siemens zu bieten. Daneben gibt es natürlich auch die SAP. In Summe handelt es sich um die folgenden Anbieter, wobei die Auswahl sicherlich etwas subjektiv erfolgte:

PLM-Hersteller

  • Siemens

  • PTC

  • Dassault

Cloud- und Softwareanbieter

  • IBM

  • Microsoft

  • SAP

Im Folgenden werden die einzelnen Anbieter kurz vorgestellt. Allen Ansätzen gemeinsam ist, dass die Daten letztendlich in der Cloud des jeweiligen Herstellers landen. Hierüber wird versucht, ein entsprechendes digitales Eco-System aufzubauen - natürlich das des jeweiligen Herstellers und mit allen Konsequenzen. Demzufolge bauen alle Unternehmen eine entsprechende IIoT-Plattform auf.

Siemens

Es dürfte kaum überraschen, dass Siemens das umfangreichste Lösungsportfolio aufweist. Dies betrifft nicht nur die funktionalen Bausteine, sondern auch die Branchen. Am Anfang des Artikels wurde bereits das Elektronikwerk Amberg genannt. Über MindSphere wird seitens Siemens nicht ausschließlich eine Cloud-Lösung für Kunden aufgebaut. Sie dient auch als Integrationsplattform für die Vielzahl an erforderlichen Lösungen, nicht nur rund um den digitalen Zwilling, sondern auch zum Aufbau einer digitalen Fabrik.

Der Reifegrad der Lösungen ist hierbei natürlich auch von der jeweiligen Branche abhängig und somit unterschiedlich. MindSphere wurde anlässlich der Hannover Messe im Jahr 2017 vorgestellt. Die Plattform befindet sich somit noch im Aufbau. Zeitlich hinkt das Unternehmen seinem größten Wettbewerber General Electric (GE) etwas hinterher.

Einzelne Lösungsbausteine wie PLM (Teamcenter), MES (SIMATIC IT) etc. bieten mehr oder minder Standardschnittstellen. In der Praxis gilt es aber, diese auf die jeweiligen Bedürfnisse (unter anderem in Richtung ERP-System, also meist SAP) anzupassen. Dieser Aufwand darf keineswegs unterschätzt werden. Dies gilt aber für alle Anbieter. Namhafte Unternehmen wie Volkswagen setzen unter anderem auf die Lösungen von Siemens. Leider weist die MES-Lösung Schwächen auf.

Eine Maschinenanbindung per OPC-UA ist aktuell nicht vorgesehen. Diese wird zukünftig wohl über der Cloud-Plattform erfolgen. Auch sind die Customizing-Aufwände beträchtlich. Die neuesten Maschinensteuerungen S7-1500 verfügen über einen eingebauten OPC-UA Server. Hierüber ist eine einfache Integration in die MindSphere Cloud möglich.

Dassault

Dassault Systems legt als einer der führenden Hersteller von PLM-Systemen naturgemäß einen Schwerpunkt im Bereich der Produktentwicklung, also des Product Twins. Auch bei dem französischen Unternehmen kommt Augmented Reality zur Visualisierung der neuen Produkte zum Einsatz. Somit startet die "digitale Reise" beim CAD- und 3D-Modell. Dassault bietet SaaS-Lösungen (Software as a Service) an, um Kunden einen schnellen und kostengünstigen Start anzubieten.

Analog zu Siemens steht auch für das französische Unternehmen die Integration in die Produktion ganz oben auf der Agenda. Mit Apriso hat sich Dassault ein MES zugekauft. Analog zu Siemens erfolgt hier der Aufbau eines Lösungsportfolios für den gesamten Produktionsbereich. In Summe ist das Lösungsangebot vergleichbar mit Siemens - bleibt aber etwas hinter dem Münchner Unternehmen zurück.

PTC

Im Gegensatz zu den beiden großen PLM-Anbietern Dassault und Siemens konzentriert sich PTC stark auf das Thema Produktentwicklung. PTC hat wie seine Konkurrenten eine IoT-Plattform aufgebaut. Big-Data-Lösungen gehören ebenso zum Portfolio wie die Unterstützung der Anwender über Augmented-Reality-Lösungen. Über Big-Data-Tools und die eigene IoT-Plattform lassen sich Erkenntnisse aus der Produktnutzung ziehen. Sensoren können hierbei über die Plattform angebunden werden.

Um die Lücke im Bereich der Produktion in Form eines MES zu schließen, erfolgt seit 2013 eine Kooperation mit GE. Von der Partnerschaft profitieren beide Seiten. GE hat im Bereich von PLM entsprechende Lücken aufzuweisen. Beide Systemwelten werden entsprechend integriert. Wie bei allen anderen Anbietern gilt es auch hier, sich von Standardschnittstellen zu verabschieden. Diese werden zwar natürlich von den jeweiligen Herstellern angeboten. In der Praxis halten sie aber nicht das Versprechen, was mit entsprechenden Anpassungen und damit Aufwänden verbunden ist. Das Schnittstellenthema ist leider durch den digitalen Zwilling nicht obsolet geworden. Generell ist eine Integration der einzelnen Systemwelten vorzuziehen.

IBM

IBM geht mit "Cognitive Digital Twin" ins Rennen. Im Wesentlich verbirgt sich dahinter ein entsprechendes Integrations-Framework. Die Ausführungen hinsichtlich des Aufbaus eines digitalen Zwillings haben gezeigt, dass die Quellen der Daten aus den führenden Systemen ERP, PLM und MES stammen. Somit bedarf es zur Realisierung einer entsprechenden Integrationsleistung. Hier setzt IBM an. Zum Portfolio gehören jede Mengte Connected Services und auch Sensoren.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist natürlich die Nutzung der Daten über entsprechende Advanced-Analytics-Ansätzen. Hier kann "Big Blue" seine volle Stärke ausspielen - in Verbindung mit Cloud-Ansätzen. Inwieweit die Referenzen seitens IBM nun echte Digital-Twin-Projekte sind oder doch nur Advanced-Analytics-Referenzen ist wohl zweitrangig. Big-Data-Technologie ist das Gehirn eines digitalen Zwillings. In Summe bietet das Unternehmen einen Teilaspekt des digitalen Zwillings ab.

Microsoft

Die Strategie von Microsoft ähnelt der von IBM. Bei beiden Unternehmen handelt es sich letztendlich um Softwarehersteller, was sich natürlich in den Lösungen niederschlägt. Auch das Unternehmen aus Redmond bietet umfangreiche Advanced-Analytics-Lösungen. Microsoft hat auf der Hannover Messe 2017 einen Showcase präsentiert. Der Fokus lag auch hier auf dem Bereich der Produktion. Speziell die Themen vertikale und horizontale Integration wurden adressiert.

Daneben geht Microsoft auch in Richtung des Production Twins - also dem digitalen Abbild des Gebäudes. Natürlich darf auch bei Microsoft das Thema Cloud nicht fehlen. Alle Lösungen sind über die Azure-Cloud erhältlich. Ein weiterer Punkt ist das Thema Advanced Analytics. Parallel zu den anderen IT-Unternehmen baut Microsoft kräftig an seinem digitalen Eco-System.

SAP

SAP bietet ein breites Spektrum an Lösungen rund um den digitalen Zwilling an. Eines der jüngeren Produkte ist BIM (Building Information System), ein digitaler Zwilling für das Gebäudemanagement. SAP versucht unter anderem branchen- respektive themenspezifische Lösungen zu entwickeln und diese mit branchenübergreifenden Lösungen zu kombinieren. Beim Digital Twin für die angesprochene Branche finden unter anderem deren PLM, Asset Management und Connected Manufacturing Eingang. Hierüber ist das Unternehmen in der Lage, schnell funktional schwergewichtige Lösungen zu etablieren.

Da es sich bei BIM noch um einen jungen Spross in der SAP-Familie handelt, bleibt abzuwarten, wie der Markt darauf reagiert. Das Beispiel zeigt aber die Heterogenität der Lösungen und auch der Problemstellungen. Gebäudemanagement, Häfen oder Automobilhersteller sind nur Anwendungsbeispiele eines digitalen Zwillings. So unterschiedlich die Fragestellungen sind, so divers und umfänglich sind die jeweiligen Lösungen.

Bleiben wir beim Beispiel BIM. Hier wird der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes, also von der Planung bis zur Instandhaltung (Facility Management), abgebildet. Über den Cloud-basierten Lösungsansatz sind alle Prozessbeteiligte in der Lage, effizient zu kommunizieren und Informationen auszutauschen. Darüber hinaus wird sichergestellt, dass die Daten aktuell und vollständig sind. Die Zukunftssicherheit spielt auf Grund der Langlebigkeit der "Produkte", also der Gebäude, eine wichtige Rolle. Dies wird durch die Verwendung von entsprechenden Standards sichergestellt.

General Electric

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf GE, das schon vor einigen Jahren mit der Cloud-basierten Lösung Predix begonnen hat, sich dem Thema Digital Twin zu nähern. Der ehemalige CEO Jeffrey Immelt hat einmal gesagt: "Jedes Unternehmen wird früher oder später zu einem Softwareunternehmen." Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass GE früh die Weichen gestellt hat und sich in etwa auf Augenhöhe mit dem Erzrivalen Siemens sieht. Die IIoT-Plattform weist auf Grund der langen Historie einen entsprechenden Funktionsumfang auf.

Der digitale Zwilling eines Windrads, erstellt mit GE Predix
Der digitale Zwilling eines Windrads, erstellt mit GE Predix
Foto: GE Digital

Über die Kooperation mit PTC konnte die Lücke im Bereich PLM schnell und mit einem etablierten Hersteller geschlossen werden. Somit ist eine Gesamtlösung vom Engineering bis zur Produktion darstellbar. Das unternehmenseigene MES ist hierbei für die Steuerung und Überwachung der Produktion zuständig. Unabhängig von der jeweiligen Produktreife ist bei Einführung derartige Systeme mit einem nicht unerheblichen Anpassungsaufwand zu rechen. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen anzubindenden Maschinen. OPC-UA verspricht hier zwar eine Lösung, diese wird aber von den wenigsten MES-Herstellern unterstützt.

Fazit und Zusammenfassung

Die Einführung eines Digital Twin ist ein komplexes, umfangreiches Unterfangen. Es gilt alle Kerngeschäftsprozesse von der Produktentwicklung über die Produktion bis hin zu Sales und Aftersales einzubinden, um ein vollständiges Abbild der Realität zu erhalten. Auf der anderen Seite ist vor allzu umfänglichen Lösungen zu warnen. Der Geschäftsnutzen sollte die treibende Kraft sein. Somit gilt es, den Zwilling Schritt für Schritt - also agil - aufzubauen. So lassen sich erste Mehrwerte konkret aufzeigen, und die Komplexität ist deutlich leichter zu beherrschen.

In den Projekten gilt es, eine vertikale und horizontale Integration in Kombination mit Big Data und Advanced Analytics umzusetzen. Derartige Vorhaben waren schon in den vergangenen Jahren extrem anspruchsvoll und durch den digitalen Zwilling werden sie nicht einfacher. Die Transformation der Organisation darf bei allem technischen Tiefgang nicht außen vor bleiben. Es gilt, die Menschen mitzunehmen, denn sie müssen am Ende die neuen Systeme - auch den digitalen Zwilling - nutzen. (mb)