Zertifizierte Gemeinwohl-Ökonomie

Wie Unternehmen ethisch Profit erzielen

09.12.2021
Von 
Jens Gieseler arbeitet als freier Journalist in Tübingen.
Die Idee der zertifizierten Gemeinwohl-Ökonomie findet bei Firmen zunehmend Interesse. Welche Prinzipien hinter der Bewegung stecken, erfahren Sie hier.
Unternehmen, die sich der Gemeinwohl-Ökonomie verpflichten, wollen nicht um jeden Preis Profit machen. Sie schreiben Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und dekokratische Beteiligung groß. Das lockt Mitarbeiter an.
Unternehmen, die sich der Gemeinwohl-Ökonomie verpflichten, wollen nicht um jeden Preis Profit machen. Sie schreiben Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und dekokratische Beteiligung groß. Das lockt Mitarbeiter an.
Foto: Gonzalo Aragon - shutterstock.com

"Unsere Erfahrung ist, dass sich langfristig durchdachte Investitionen lohnen", stellt Andreas Nau nach mehr als 25 Jahren Unternehmensführung fest. Dabei geht es dem Easysoft-Geschäftsführer nicht nur um Ausgaben für Produktentwicklung oder Infrastruktur, sondern auch um die intensiven Beziehungen zu Kunden und Mitarbeitern. Weil das alles nachhaltige Entwicklungen sind, die allen Beteiligten dienen, war es für ihn und seinen Geschäftsführungskollegen Friedhelm Seiler ein logischer Schritt, ihre IT-Schmiede gemeinwohl-zertifizieren zu lassen.

Gemeinwohl-Ökonomie: Mit Transparenz und Fortbildung punkten

Hinter der Idee des Gemeinwohles steckt, dass ein Unternehmen natürlich Gewinne erwirtschaften muss, jedoch nicht um jeden Preis. Vielmehr soll es in einem ethisch verantwortungsvollen Wirtschaften zunächst um das Wohl der beteiligten Menschen und der Umwelt gehen. "Auf diesem Terrain fühlen wir uns gut aufgehoben", sagt der 56-jährige Ausdauersportler und bekennende Christ. So wollen die beiden Chefs mit ihrer Vision Sinnvolles erreichen, etwa dass durch ihre Software jährlich zehn Millionen Menschen an passenden Bildungsmaßnahmen teilnehmen können. Oder: Dass sich die derzeit rund 90 Mitarbeiter persönlich weiterentwickeln.

Beispiel für die Nachhaltigkeit: Als Easysoft 2016 das neue Bürogebäude in Metzingen bezog, investierte die Führung zusätzliche 100.000 Euro in digitale Haustechnik, die Heizung, Klimaanlage, Jalousien sowie Licht automatisch regelt und so Energie spart. "Damit tun wir einerseits etwas Ökologisches", so Nau, "andererseits sparen wir Ausgaben, so dass sich die Investition nicht nur amortisiert, sondern wir langfristig sogar einen ökonomischen Vorteil erzielen". 20 Grad gelten als angenehme Arbeitstemperatur. Dementsprechend ist die Heizung eingestellt. Doch selbst jetzt im Winter liefert die Sonneneinstrahlung in dem vollverglasten Gebäude viel Wärme - entsprechend wenig Leistung müssen die Heizkörper bringen. Teilweise fahren sogar die Jalousien herunter. Werden die beiden großen Tagungsräume nicht genutzt, liegt deren Temperatur bei 16 Grad. Wenn sie benötigt, können sie energieschonend und schnell hochgeheizt werden. Das funktioniert über eine App, sodass der Verantwortliche die Heizung von zu Hause aus einstellen kann und die Gäste beispielsweise ab 9 Uhr in warme Räume kommen. In sämtlichen Funktionsräumen gibt es ferner Bewegungsmelder - von den Toiletten über die Flure und das Lager bis zum Serverraum: Das Licht ist ausschließlich an, wenn Mitarbeiter diese Flächen nutzen.

Doch für Jürgen Linsenmaier ist das nur ein kleiner Aspekt des Firmengebäudes: "Easysoft hat seine Unternehmensphilosophie in einen Bau übersetzt". Von großzügigen Arbeitsplätzen und Tagungsräumen, über Slacklines und eine 16 Meter hohen Kletterwand bis zu Ruheräumen und einer voll ausgestatteten Küche - das finde man bei vergleichbaren Mittelständlern äußerst selten, sagt der schwäbische Berater für Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Tatsächlich punkteten die Metzinger bei dem Audit besonders beim Thema Mitarbeiter: Menschenwürde, Transparenz, Mitentscheidung oder Fortbildung wurden von der Auditorin hoch bewertet.

Schwieriger ist dagegen der Bereich der Lieferanten. Das sei typisch, weiß der Berater, denn kleine Mittelständler hätten kaum Möglichkeiten herauszufinden, wie etwa PCs, Laptops oder Bildschirme hergestellt, geschweige denn wie die Rohstoffe gewonnen werden. Auch bei den riesigen Rechenzentren bekommen IT-Unternehmen selten Einblicke oder können Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Auch Easysoft war bis 2008 bei einem Großanbieter. Der war zwar günstiger, doch das "bezahlte" der Entwickler für Ausbildungs- und Personalentwicklungssoftware mit schlechtem Service. Seit dem Wechsel zu einem kleineren Rechenzentrum in Freiburg erhält das Unternehmen einen schnelleren und individuellen Service, außerdem arbeiten die Badener zu 100 Prozent mit grünem Strom und die Metzinger überzeugten das Rechenzentrum davon, ein umweltverträglicheres Kühlmittel zu verwenden.

Gemeinwohl-Ökonomie: Vorausschauendes Handeln nötig

Die Gemeinwohl-Ökonomie hat sich der Österreicher Christian Felber zusammen mit zwölf Unternehmern ausgedacht, die bereits vor zehn Jahren nicht mehr an ein "höher, schneller, weiter" glaubten. Stattdessen wollten sie ein Wirtschaftsmodell entwickeln, in dem Unternehmer ethischer und vorausschauender handeln. So ärgert sich beispielsweise Wilfried Knorr: "Es kann doch nicht sein, dass die Massentierhaltung großer Agrarbetriebe subventioniert wird und sie zudem bei den Banken eine Triple-A-Bewertung bekommen". Knorr ist einer der deutschen GWÖ-Sprecher. Die Nahrungsbeschaffung, die Belastung durch Methan oder die riesigen Mengen an Gülle würden wirtschaftlich überhaupt nicht bewertet, ganz abgesehen von dem oft problematischen Umgang mit den Tieren. Dagegen erhielten Bauern, die Rinder, Schweine oder Hühner verantwortlich behandeln und schonender mit der Natur umgehen, kaum Subventionen und auch um ihre Kreditwürdigkeit sei es nicht gut bestellt. "Das ist politisch zu kurz gedacht und falsch gesteuert", kritisiert der Geschäftsführer der Diakonie Herzogsägmühle im bayrischen Peiting.

Die Gemeinwohl-Ökonomie vertritt folgende vier Werte:

  1. Menschenwürde,

  2. soziale Gerechtigkeit,

  3. ökologische Nachhaltigkeit sowie

  4. Transparenz und demokratische Beteiligung.

Diese Werte werden auf fünf Personengruppen bezogen:

  • Eigentümer,

  • Lieferanten,

  • Kunden,

  • Mitarbeiter und

  • das gesellschaftliche Umfeld.

So ergibt sich für die ausgebildeten GWÖ-Auditoren ein Raster mit 20 Feldern. Rund 15 Monate dauert der intensive Prozess in den Unternehmen. Denn die 600 weltweit zertifizierten Unternehmen stellen in dieser Zeit fest, wie verzweigt und komplex ihre Firma durch die vielen Geschäftskontakte tatsächlich ist. Die Auszeichnung gilt für zwei Jahre und muss dann wiederholt werden. Das IT-Unternehmen aus Metzingen landete als "Anfänger" mit 442 Punkten bereits im gehobenen Mittelfeld.

Ein wichtiger Aspekt der Zertifizierung ist das Branding der Unternehmen. Gerade durch Corona fragen sich vor allem jüngere Menschen, was ihnen wirklich wichtig ist. So stellen sie höhere Ansprüche an ihren zukünftigen Arbeitsplatz. Dabei geht es nicht um ein besseres Gehalt oder ein schickeres Dienstfahrzeug, sondern um ein Wertesystem, das der künftige Arbeitgeber auch tatsächlich lebt. Das fängt bei stromsparenden LED-Lampen an, geht über die Mitbestimmung der Mitarbeiter bis zu einer sinnstiftenden Tätigkeit und einem sozialen Engagement. So zahlt Easysoft beispielsweise seit 2011 allen Schülern einer angolanischen Grundschule das Essen. Kinder, die regelmäßig zu essen bekommen, müssen nicht aufs Feld, um zu arbeiten, sondern können lernen. Pro Jahr und Schüler kostet das zwar nur 48 Euro. Doch bei inzwischen rund 300 Schülern summieren sich die Ausgaben auf 15.000 Euro. Das Engagement steht für den Strategen Nau trotzdem außer Frage: "Das Projekt passt ideal zu uns, weil unsere Software Bildung und Personalentwicklung unterstützt". (pg)