Data-Warehouse-Projekte abgeschlossen

Wie TUI sein Informationschaos beseitigte

12.03.2004
MÜNCHEN (rg) - Seit 1997 arbeitet der Touristikkonzern TUI an einem umfangreichen Data Warehouse. Nachdem in einem zweijährigen Projekt zahlreiche Arbeiten im Hintergrund abgeschlossen wurden, konnte der Rollout für die einzelnen Landesgesellschaften stark beschleunigt werden.

Als TUI 1998 begann, sich an die Bereinigung seines Informationsdschungels zu machen, hatte das Großunternehmen mit einer heterogenen IT-Landschaft zu kämpfen. Die einzelnen Geschäftsbereiche betrieben eigene operative Systeme, aus denen sie ihre Daten für Auswertungen und Berichte gewannen. Die Bandbreite reichte von Buchungs-, Kundendienst- und Kostenrechnungssoftware bis hin zu Kalkulationslösungen und Systemen für die Beförderungsplanung- und Disposition. "Es gab keine einheitliche Sicht auf die Informationen und deshalb eine Vielzahl von Inkonsistenzen", erinnert sich Heinz Kreuzer, CIO bei TUI und Sprecher der Geschäftsführung der IT-Tochter TUI-Infotec. In der Folge seien uneinheitliche Listen aus verschiedenen Datenbanksystemen gewonnen worden. Die Weiterverarbeitung lief häufig über "manuelle Schnittstellen" - die Daten mussten teilweise ausgedruckt und in andere Excel- oder Access-Systeme eingegeben werden.

Bevor sich TUI an die Einführung eines konzernweiten Data Warehouse machen konnte, musste daher ein betriebswirtschaftliches Modell erarbeitet werden. Dabei definierte das Unternehmen seine gesamte Begriffs- und Datenwelt sowie die verbindenden Beziehungsgeflechte. Die TUI konzentrierte sich bei ihrem Initialprojekt auf den Bereich Touristik in Deutschland. Dabei standen die Themenfelder Hotel, Flug und Vertrieb im Vordergrund. "Man kann nicht alles in einem einzigen Projekt bewältigen", erklärt Kreuzer. Vielmehr müsse man einen Teil des Unternehmens herauspicken und sauber modellieren: "Wenn da die richtigen Leute mitarbeiten, kann man das Modell zu 90 Prozent auf andere Bereiche und Märkte übertragen." Nachdem das betriebswirtschaftliche Datenmodell stand, machte sich der Touristikkonzern daran, seinen Datenbestand zu sichten und die Qualität zu prüfen. "Die Systeme befanden sich in einem ziemlich schockierenden Zustand", so Kreuzer. Besonders problematisch sei der teilweise unsaubere Umgang mit einzelnen Datenfeldern gewesen: "Wenn ein Feld durch Systemerweiterungen oder neue Anforderungen missbraucht wird, lassen sich die dort hinterlegten Informationen oft nur noch im Zusammenhang mit anderen Feldern interpretieren."

Hinzu kam, dass Kennzahlen oder Berichtsgrößen in den verschiedenen Systemen unterschiedliche Bezeichnungen hatten. Beispielsweise waren für den Kunden die Begriffe Gast, Teilnehmer und PAX in Umlauf. Andererseits gab es Fälle, wo sich hinter einzelnen Begriffen wie Umsatz oder Deckungsbeitrag unterschiedliche Bedeutungen verbargen. Bestimmte Kenngrößen werden außerdem nicht in allen Systemen nachgehalten. Die Kategorie "provisionspflichtiger Umsatz" ist beispielsweise nur für den Vertrieb relevant. "Viel Wissen steckt da in den Köpfen der Mitarbeiter", so Kreuzer. Semantische Brüche hätten sich daher nicht mit Hilfe von Tools analysieren lassen: "Das war eine echte Sisyphusarbeit."

Um die Daten dem Modell entsprechend glattzuziehen, verfolgte TUI zwei Herangehensweisen. Wo es mit vertretbarem Aufwand möglich war, wurden die operativen Systeme selbst überarbeitet. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt die Nachbearbeitung der Daten jedoch bei der Überführung in eine Zwischenschicht. Versuche, hierfür Extraction-Transformation-and-Loading(ETL-)Tools einzusetzen, scheiterten, da diese 1997 noch nicht in ausreichender Qualität zur Verfügung standen. Kreuzers Team entwickelte kurzerhand die notwendigen Werkzeuge selbst. Mittlerweile konnten sie jedoch durch Standardlösungen ersetzt werden. "In den modernen Tools kann man Regeln und Workflows hinterlegen, so dass sich damit periodische Daten sehr viel komfortabler integrieren lassen", fasst der CIO die Entwicklung zusammen.

Volle Rückendeckung der Geschäftsleitung

Aufgrund der aufwändigen Hintergrundarbeiten musste Kreuzer neben den technischen Herausforderungen eine weitere Hürde nehmen: "Alle waren der Meinung, dass wir innerhalb kurzer Zeit schöne Zahlen und Diagramme in allen Formen und Farben vorlegen können würden." Diese Erwartungen hätten zuerst stark gedämpft werden müssen. "Selbstverständlich mussten wir uns fragen lassen, warum immer noch keine vernüftigen Zahlen zur Verfügung stehen", erinnert sich Kreuzer. In dieser schwierigen Phase hätten Einzelgespräche mit den schärfsten Kritikern geholfen. Wichtiger sei jedoch gewesen, dass das Projekt die volle Rückendeckung der Geschäftsleitung hatte. Neben dem Controlling-Chef und dem IT-Leiter zählte auch der zuständige Vorstand zu den Hauptprojektverantwortlichen. Dadurch ließ sich beispielsweise vermeiden, dass von verschiedenen Seiten fortlaufend neue Anforderungen an das Projekt herangetragen wurden.

Nachdem die Hausaufgaben gemacht waren, habe man die Benutzererwartungen mit Hilfe von Standard-Tools verhältnismäßig schnell erfüllen können, so Kreuzer: "Es gibt kaum ein System im Haus, das kurz nach seiner Einführung eine so hohe Akzeptanz erfahren hat." Die gelieferten Informationen hätten von Anfang an eine mehr als ausreichende Qualität gehabt. Das zeige auch, dass sich die Basisarbeit gelohnt habe.

Verschiedene Auswertungen lassen sich jedoch nur dann sinnvoll erstellen, wenn dabei auf historische Daten zugegriffen werden kann. Das System musste also zuerst einen Geschäftsjahreszyklus durchlaufen, bevor die erforderlichen Vergleichsinformationen zur Verfügung standen. Außerdem kamen mit der späteren Akquisition von Reisebüroketten zusätzliche Wertschöpfungsstufen zum Konzerngeschäft hinzu, die ebenfalls in das Data Warehouse integriert werden mussten. Dabei zeigte sich, dass sich das für den betriebswirtschaftlichen Bereich entwickelte Datenmodell leicht auf den neu hinzugekommenen Vertriebsbereich übertragen ließ.

Nachdem das Data Warehouse für die deutschen Gesellschaften installiert war, wurden die österreichischen und Schweizer Töchter des Konzerns integriert, da diese auf die gleichen operativen Systeme zugreifen wie die deutschen Gesellschaften. Etwas aufwändiger gestaltete sich die Einbindung der skandinavischen und britischen Unternehmensteile. Das betriebswirtschaftliche Modell konnte zwar auch hier weitgehend übernommen werden, die Datenherkunftsanalyse und Qualitätssicherung sowie die Anbindung der in diesen Landesgesellschaften genutzten operativen Systeme stellten jedoch eine erneute Herausforderung dar.

Heute umfasst das Data Warehouse ein Datenvolumen von rund 700 Gigabyte. Der tägliche Datentransfer inklusive der Einspielung aktueller Stände liegt in der Größenordnung von 50 bis 120 MB. Für die Auswertung der dort hinterlegten Informationen setzt die TUI Business-Intelligence-Tools von Cognos ein. "Wir nutzen Cognos für die Erzeugung und Verwaltung von rund 200 Data Marts", so Kreuzer. Den Benutzern stehen die Module "Cognos Impromptu" für den Datenzugriff und das Reporting zur Verfügung. Multidimensionale Analysen (Olap) erfolgen über das Tool "Cognos Powerplay". Die generierten statischen Reports werden automatisiert in eine Knowledge-Management-Umgebung auf Basis von "Livelink" von Opentext integriert und stehen allen Anwendern auch über das Internet zur Verfügung.

TUI kann über sein Data Warehouse und das darauf aufsetzende Führungs- und Decision-Support-System "Tufis" nun auf alle für das Kerngeschäft wichtigen Informationen zugreifen. Dazu zählen Daten zu Hotelkontingenten und Flugkapazitäten, aktuelle Buchungsstände oder Berichte zur regionalen Auslastung. Außerdem dient das Data Warehouse als Basis für die Erstellung von Prognosen.

In die Berechnungen fließen sowohl aktuelle als auch historische Daten ein. Ideal ist hierfür laut Kreuzer ein Zeithorizont von drei Jahren. Derartige Auswertungen verlangten allerdings ein anderes Toolset. "Wir arbeiten hier mit der Lösung des Aachener Softwarehauses Thinking Networks, das sich intensiv mit mathematischen Modellen und neuronalen Netzen auseinander gesetzt hat", erläutert Kreuzer. Den so erstellten Prognosen dürfe man jedoch nicht sofort vertrauen. Vielmehr müsse über den Vergleich mit anderen Prognosedaten und Nachbetrachtungen erst die Qualität der Vorhersagen geprüft werden. Rund eineinhalb Jahre lang wurde das System verbessert und liefert mittlerweile gute Daten.

Insgesamt zieht Kreuzer eine positive Bilanz: "Mit dem Data Warehouse sind wir in der Lage, unsere Umsatzerträge und damit die Effizienz des Unternehmens zu steigern." In den ersten beiden Jahren hatte das Projekt fast 30 Prozent des IT-Investitionsbudgets beansprucht. Nachdem eine saubere Basis geschaffen war, lag der Aufwand für Erweiterungen und den Betrieb des Systems bei zirka fünf Prozent des gesamten IT-Budgets.

Auf eine detaillierte Returnon-Investment-(RoI-)Berechnung hat Kreuzer bewusst verzichtet. "Selbstverständlich muss man sich im Vorfeld über Kosten und Nutzen eines derartigen Großprojekts detailliert Gedanken machen", räumt er ein. Sein Team habe anfangs bereits erkannt, dass die erwähnten Basisarbeiten einen Großteil der Ausgaben verursachen würden. Die Kosten für Softwarelizenzen, Datenbanken und Hardware lagen demnach nur bei 20 bis 30 Prozent der Erstinvestitionen. "Aber alle Faktoren im Sinne einer RoI-Berechnung über die Jahre auszuwerten ist sehr schwierig, vielleicht sogar unmöglich", so der CIO. Wenn das Unternehmen jedoch die Auslastung seiner Kapazitäten nur um ein Prozent verbessern könne, nähmen sich die angefallenen IT-Kosten im Vergleich zu den Einsparungen sehr klein aus.

Heute wird das Data Warehouse bei TUI nicht nur vom Produkt-Management, Vertrieb und Finanz-Controlling, sondern in fast allen Unternehmensbereichen von insgesamt 1500 Anwendern genutzt. Dennoch sind laut Kreuzer noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Hotelkapazitäten werden beispielsweise für regionale Märkte eingekauft. Das System gibt für die einzelnen Ländermärkte einen guten Überblick zur Auslastung. Ein weiterer Qualitätssprung lasse sich jedoch erzielen, wenn es gelinge, diese Informationen quellmarktübergreifend zu vergleichen, da sich so die weltweite Einkaufs- und Konsolidierungsstrategie besser steuern ließe. Das System wird weiter ausgebaut. So sollen künftig auch Informationen wie Mitbewerberdaten oder demoskopische Quellen integriert werden. Große Potenziale sieht Kreuzer außerdem in der Verarbeitung von unstrukturierten Daten. Der Transfer des so vorliegenden Wissens in codierte Informationen stelle TUI jedoch vor Probleme: "Um das zu bewältigen, fehlt uns im Moment noch die richtige Technik."

Steckbrief

Projektart: Einführung eines Business-Intelligence-Systems.

Branche: international agierender Touristikkonzern.

Zeitrahmen: Basisprojekt von 1997 bis 2000, seitdem mehrere Erweiterungen und internationaler Rollout.

Stand heute: Läuft produktiv.

Aufwand: Fast 30 Prozent des IT-Budgets in den ersten beiden Jahren. Für Betrieb und Erweiterungen schlagen zirka fünf Prozent zu Buche.

Produkte: Data Warehouse unter AIX auf DB2-Datenbanken, BI-Tools von Cognos, ETL-Tools von Informatica.

Dienstleister: TUI Infotec.

Umfang: für den Gesamtkonzern.

Ergebnis: Einheitliche Datenstruktur, schneller Zugriff auf Berichte und Analysen.

Herausforderung: Bereinigung der Datenbasis.

Nächster Schritt: Marktübergreifende Analysen, Integration von unstrukturierten Daten.

Das Unternehmen

Mitte der 90er Jahre beschloss das Management der Preussag AG, in den Wachstumsmarkt Touristik zu investieren. Ein rasanter Prozess begann. Seit 1998 gehört die Hapag-Lloyd AG und damit eine eigene Reisebürokette und Fluglinie zum Konzern. Im gleichen Jahr erwarb das Unternehmen den Pauschalurlaubanbieter TUI Deutschland sowie die Reisebürokette First. Im Jahr 2000 folgten die Übernahmen der britischen Thomson Travel Group sowie eine Beteiligung am französischen Reisekonzern Nouvelles Frontières, der 2002 vollständig übernommen wurde. Heute verfügt der Konzern weltweit über etwa 200 touristische Marken. Der Wandel der Preussag AG zum weltweit größten Touristikkonzern wurde am 26. Juni 2002 mit der Umfirmierung in die TUI AG abgeschlossen.

Die TUI-Gesellschaften bilden alle Stufen der touristischen Wertschöpfungskette ab - vom Reisebüro über den Veranstalter und die Fluggesellschaft bis hin zum Hotel und der Zielgebietsagentur. Im Geschäftsjahr 2002 erwirtschafteten die rund 70000 Beschäftigen einen Umsatz von rund 20 Milliarden Euro. Über 60 Prozent stammen aus dem Touristikbereich.