Everything as a Service - XaaS

Wie Software künftige Produkte definiert

29.11.2021
Von   IDG ExpertenNetzwerk

Konrad Krafft ist Gründer und Geschäftsführer des Beratungs- und Softwarehauses doubleSlash Net-Business GmbH. Er hat Allgemeine Informatik mit Schwerpunkt Künstliche Intelligenz studiert und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Entwicklung digitaler Services, insbesondere im Bereich von Unternehmensprozessen und Softwareprodukten. Als Experte befasst er sich mit der Industrialisierung von Software-Entwicklung und neuen digitalen Geschäftsmodellen.

Wir bewegen uns auf eine Everything-as-a-Service-Ökonomie zu, in der Produkte über Zusatzservices aus der Cloud immer individueller werden. Dies hat auch Folgen für die Produktentwicklung.
Das von modernen Autos bekannte Konzept, neue Funktionen via Software-Update freizuschalten, wird sich bald auf die ganze Produktwelt ausweiten.
Das von modernen Autos bekannte Konzept, neue Funktionen via Software-Update freizuschalten, wird sich bald auf die ganze Produktwelt ausweiten.
Foto: metamorworks - shutterstock.com

"Software is eating the world", stellte bereits 2011 der Netscape-Mitbegründer Marc Andreessen fest. Und Begriffe wie "Digitale Transformation" oder "Vierte industrielle Revolution" hören und lesen wir jeden Tag. Allen gemeinsam ist: Produkte werden zunehmend intelligenter, vernetzter und vor allem digitaler. Damit einher geht, dass der Wunsch von Kundinnen und Kunden nach Passgenauigkeit immer größer wird. Wir wollen heute Produkte flexibel nutzen, die optimal auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten sind. Der Weg dorthin führt über die Individualisierung: Durch schnell anpassbare Software – mit flexibel buch- und nutzbaren digitalen Services.

Die Entwicklung geht dahin, dass Software künftig nicht nur Teil eines Produktes ist, sondern dessen Wert bestimmt. Das lässt sich schon heute in der Automobilbranche unter dem Phänomen "Software Defined Car" beobachten, wo ein immer größerer Teil der Wertschöpfung durch Software erzielt wird.

XaaS: Revival des Plattform-Gedankens

Von "Software Defined Products" spricht man bei Produkten, wo das Geschäftsmodell oder das Innovationspotenzial Software in Bezug auf das Kundenerlebnis der dominante Faktor ist.
Das Prinzip dahinter gibt es schon sehr lange: In den 1980er Jahren entwickelte sich der IBM-PC zu einer Plattform, die wegen der Software wie Word oder Excel gekauft wurde und nicht wegen der Hardware. Ein weiterer Meilenstein war das Erscheinen des Smartphones. Statt einer engen Kopplung von Hardware und Software setzt man hier auf ein Software-Ökosystem, das zusammen mit den App-Stores völlig neue Geschäftsmodelle ermöglicht. Und in der Musikindustrie haben es Streaming-Anbieter geschafft, das "Musik hören" so zu verändern, dass kaum Hardware benötigt wird. So löste Spotify die CD ab.

Dabei kann praktisch jedes Produkt "Software Defined" sein, wie die vernetzten Hausgeräte von Bosch oder der berühmte Thermomix von Vorwerk zeigen. Alles steht und fällt mit einem passenden Geschäftsmodell.
Vorreiter ist hier die Automobilbranche. Das "Software Defined Car" (oder: Software Defined Vehicle) zeigt, wie die gesamte Branche das Auto neu denkt. Für ganze Baureihen werden nur noch ein oder zwei Motormodelle gebaut. Über Softwarekomponenten entstehen daraus anschließend sieben Modelle mit unterschiedlicher Leistung. Das funktioniert genauso auch für die Ausstattung. Am Ende entscheidet die Software wesentlich darüber, was für ein Fahrzeug man fährt.

Die Everything-as-a-Service-Ökonomie

Ein Blick in die Zukunft lässt uns ahnen: Der Trend zu Everything as a Service, kurz XaaS, wird sich weiter verstärken. Der Grund dafür ist, dass Software Defined Products in den meisten Fällen vernetzt sind und Komponenten des Internet of Things (IoT) enthalten. Die Kund:innen stehen so über das Produkt ständig mit dem Hersteller-Unternehmen in Verbindung. Dadurch entwickelt sich eine Serviceökonomie, in der Produkte über eine Vielzahl an Services ergänzt werden. Diese können die KundInnen flexibel dazu buchen.

Mit vernetzten Produkten ist möglich, durch die Aktivierung von Services Zusatzfunktionen aus der Cloud anzubieten. Hersteller können diese erweiterten Softwarekomponenten in der Wertschöpfungskette für ihre Produkte selbst erstellen oder aber auch bei Lieferanten einkaufen – so wie das bei der Hardware auch der Fall ist. Damit entsteht ein technisch verteiltes Softwaresystem und damit eine Serviceökonomie, wo der Hersteller des Endproduktes frei entscheiden kann, ob er die Nutzung der Zusatzfunktion abrechnen möchte oder nicht.

Der Aufbau einer Serviceökonomie.
Der Aufbau einer Serviceökonomie.
Foto: doubleSlash

Ein Beispiel für eine Serviceökonomie ist die Navigationsfunktion im Auto. Diese besteht aus Unterfunktionen wie zum Beispiel Routing oder Karten. Sind diese Unterfunktionen nicht mehr fest integriert, sondern werden als Services integriert und von externen Providern bezogen, dann spricht man von Serviceökonomie. Der Hersteller selbst entwickelt also nicht den Service, sondern nutzt ihn, um ihn mit seinem Produkt den Kunden zur Verfügung zu stellen.

Neben dem klassischem Produktkauf wird also verstärkt auf Services gesetzt werden, die von Kunden nachgekauft werden können. Damit einher geht, dass nicht das Produkt selbst, sondern dessen Nutzung im Mittelpunkt steht.

XaaS: Die Funktion des Produktes steht im Fokus

Firmen, die es über Jahrzehnte gewohnt waren physische Produkte zu verkaufen, müssen sich grundsätzlich wandeln, um in diesen geänderten Marktbedingungen bestehen zu können. So unterscheiden sich die Prozesse im Einkauf, zur (Weiter-)Entwicklung und Pflege von Software und deren Vermarktung deutlich von denen der physischen Produkte und Hardware. Bei Fahrzeugen etwa war der Takt das Modelljahr. Die Zyklen sind bei Software Defined Products deutlich kürzer und häufiger. Es wird nicht mehr in Jahren, sondern in Monaten gerechnet.

Künftig gilt es also, Produkte zuerst von der Funktion her zu denken – und ob diese mit Software umsetzbar ist. Der Vorteil: Software Defined Products bieten maximale Flexibilität hinsichtlich der Vermarktung. Ist ein physisches Produkt erstmal produziert und verkauft, kann man es nachträglich nur schwer verbessern oder aufrüsten. Bei Software ist das anders: hier können die Hersteller jederzeit Updates bereitstellen. Die Entwicklung geht darum auch immer mehr zum Einsatz sogenannter Subscription- oder Pay-per-Use-Modelle, bei denen weniger der einmalige Verkauf, sondern eine langfristige Kundenbeziehung im Vordergrund stehen. Das wiederrum bedeutet neue Chancen für das Marketing und den Vertrieb.

Natürlich bedeutet diese Umstellung einen Invest für Unternehmen - der sich aber in vielerlei Hinsicht lohnt:

  • Flexibilität: Unternehmen können die Funktionen ihrer Produkte über Updates oder Software Features nachträglich erweitern oder verbessern - je nach Kundenbedürfnis. Beispielsweise könnten im Auto gegen einen bestimmten Geldbetrag mehr PS für ein Wochenende freigeschalten werden.

  • Günstigere Produktion: Jede Hardwareeinheit enthält alle Features. So können größere Stückzahlen in Auftrag gegeben werden. Die Nutzung einzelner Features wird über Software gesteuert.

  • Sinkende Time to Market: In kürzerer Zeit können mehr Produkte oder Modelle eines Produktes auf den Markt gebracht werden.

  • Höhere Qualität: Durch die Vernetzung von Geräten können höherwertige Dienste entstehen, die sich innerhalb ihres Lebenszyklus optimal auf die Bedürfnisse der Kunden anpassen.

  • Focus on the Customer: Kundenbedürfnisse können besser erkannt werden. Daraus ergeben sich deutlich größere Geschäftspotenziale durch neue Geschäftsmodelle.

  • Komfort: Neue Funktionen erfordern nicht den Erwerb eines neuen Geräts. Sie werden im Software-Marketplace gekauft und „Over-the-Air“ geliefert und installiert.

  • Ressourcen schonen: Einmal produzierte Hardware muss nicht sofort verschrottet werden, sondern kann durch Software-Updates länger im Betrieb bleiben. Die Entsorgung von einigen wenigen Standard-Modellen ist einfacher als bei einer hohen Anzahl unterschiedlicher Hardwaremodelle.

Um die Vorteile einer Serviceökonomie auszuschöpfen und diese mitzugestalten, müssen sich Unternehmen zu einer agilen Produktorganisation transformieren. Das bedeutet für viele Unternehmen einschneidende Veränderungen, die eine transparente und vermittelbare Strategie benötigen. Dabei braucht es für jedes Produkt Gestaltungprinzipien, die bestehende Prozeduren und starre Strukturen ablösen. Zusammenfassen kann man das in 5 Prinzipien:

  • Team Purpose: Im Wesentlichen geht es darum, die Hierarchien in den Unternehmen aufzulösen und Funktionen und Produkte des Unternehmens in Teams zu teilen, die eigenständig agieren können. Es gilt Schnittstellen zu Partnern zu identifizieren und von diesen Schnittstellen interne Aufgaben und Prozesse abzuleiten. Natürlich immer mit dem Ziel, eine perfekte Lösung für die eigenen KundInnen zu finden – egal ob intern oder extern.

  • Agile Development: Wer agil ist und auch bereit ist, das eigene Unternehmen zu digitalisieren und zu transformieren, kann wachsende Komplexität besser beherrschen und schneller auf Marktgegebenheiten reagieren. Es ist einfacher, wenn man mit den Aktivitäten beginnt, die mit dem kleinsten Aufwand den größten Effekt erzielen. So kann man sich nach und nach anpassen und die nächsten Schritte den gesammelten Erkenntnissen anpassen.

  • Data Driven: Unternehmen sind oft wahre Datenschätze. Diese Informationen aus Daten zu nutzen und weiterzuverarbeiten ist entscheidend für die Entwicklung von Software Defined Products. Wenn man die Daten teilt und somit Transparenz im gesamten Unternehmen für vorhandene Datentöpfe schafft, verstärkt sich der positive Effekt.

  • Connected: Ökosysteme sind Netzwerke von Menschen, Prozessen und Systemen. Ziel ist es, ein Ökosystem zu entwickeln, in dem nachhaltige Wertschöpfung für alle Beteiligten betrieben wird.

  • Automation: Automatisierung ist ein entscheidender Faktor, wenn es um das Steuern von komplexen Systemen geht. So wird Freiraum für neue Kreativität im Team geschaffen.

Den Risiken Sicherheit und Datenschutz begegnen

Mit der Öffnung hin zur Software gehen auch neue Risiken einher, mit denen sich Unternehmen auseinandersetzen müssen – neben generellen Wiederständen gegen Transformationsprozesse. Die größten Herausforderungen liegen im Bereich Sicherheit und Datenschutz. Vernetzte Produkte bieten eine deutlich größere Angriffsfläche für Cyberkriminelle. Zur Absicherung braucht es Experten – und die sind rar. Mit digitalen Produkten werden auch mehr personalisierbare Daten gesammelt und für Auswertungen genutzt. Daran ist erstmal nichts auszusetzen, wenn es anonymisiert und unter Einwilligung der Kunden geschieht – und sie etwa für die Entwicklung individueller Angebote eingesetzt werden. Die Unternehmen sollten ihrer Kundschaft jedoch garantieren, dass die Daten gut aufgehoben sind. Daten an Dritte zu verkaufen, verbietet sich dadurch.

Künftig werden Unternehmen und Kundschaft durch softwaregetriebene Produkte immer enger miteinander verbunden sein. EndkundInnen werden immer mehr mit neuen Funktionen umworben, die in kürzer werdenden Abständen angeboten werden. Sie haben damit die Qual der Wahl in einem wachsenden Angebot. Andererseits werden die Angebote immer genauer die Bedürfnisse der Kundschaft erfüllen und somit das Leben und Arbeiten immer weiter erleichtern. Dadurch, dass die Kundenbedürfnisse im Mittelpunkt stehen, müssen Unternehmen einsehen, wer die eigentliche Macht im Markt hat - es sind die KundInnen. Gewinner werden die Unternehmen sein, die die Transformation schaffen und lernen, noch besser die Bedürfnisse ihrer KundInnen zu kennen und so den Mehrwert zu erzeugen, für den sie gerne bezahlen. (mb/fm)