Auf die Chefs kommt es an

Wie sich Entwickler motivieren lassen

13.12.2021
Von 
Adam Mullen ist Director of Engineering für Shipping bei Vinted, einer C2C-Plattform für secondhand Mode in Europa.
Dass gerade bei stressigen IT-Jobs die Motivation der Entwickler auf der Strecke bleiben kann, dürfte nicht überraschen. Gerade deshalb sind Führungskräfte gefragt, ideale Rahmenbedingungen zu schaffen.
In der Softwareentwicklung muss der Teamspirit unbedingt funktionieren, denn Mitarbeiter müssen sich vertrauen und gegenseitig unterstützen.
In der Softwareentwicklung muss der Teamspirit unbedingt funktionieren, denn Mitarbeiter müssen sich vertrauen und gegenseitig unterstützen.
Foto: Robert Kneschke - shutterstock.com

In der IT-Branche kommt es immer wieder zu sogenannten Sprints. Unter einem "Sprint" versteht man einen kurzen, fest definierten Zeitraum, in dem ein Scrum-Team ein bestimmtes Arbeitskontingent erledigt. Der Name ist allerdings nicht zu 100 Prozent treffend. In Sprints sollten Kapazitäten und Tempo so geplant werden, dass Teams ihre Arbeit für eine längere Zeit - also wie ein Marathon - durchhalten können.

Manchmal kommt es auch zu "Crunches". Dieser Begriff beschreibt in der Softwareentwicklungsbranche, wie viele Überstunden gemacht werden, um ein Projekt abzuschließen oder einen Termin einzuhalten. Dabei sollte es sich allerdings um Ausnahmen handeln, und nicht um einen fixen Bestandteil des regelmäßigen Zyklus.

Unabhängig davon, welche Zyklen Unternehmen etablieren, hängt die kognitive Kapazität der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von ihrer Ausdauer und Belastbarkeit ab. Schwindet die Ausdauer eines Teams, so verliert es die notwendige Motivation. Eine der wichtigsten Aufgaben von Führungskräften ist daher, auf die ersten Anzeichen der Überforderung zu achten und den Teams zu helfen, sich mehr auf die Belastbarkeit als auf die Ausdauer zu konzentrieren.

Aus unserer jahrelangen Erfahrung in der Softwareentwicklung ergeben sich fünf Grundregeln, wie sich solche Teams am ehesten motivieren lassen:

Fokus auf Unternehmenskultur

"Culture eats strategy for breakfast", meinte bereits der US-amerikanische Ökonom Peter Drucker. Kultur ist also das Fundament, auf dem wir aufbauen sollten. Jedes Unternehmen pflegt eine andere Unternehmenskultur. Es ist sinnlos, den Plan eines anderen Unternehmens blind zu kopieren. Arbeitgeber brauchen einen individuellen Plan, der ihre Mitarbeiter langfristig an den Betrieb bindet.

Wichtig ist, eine Kultur zu etablieren, in der sich alle Teammitglieder gegenseitig unterstützen und ermutigen. Mitarbeiter brauchen ein konkretes Ziel, auf das sie hinarbeiten, mit dem sie wachsen und für das sie auch Verantwortung übernehmen können, ohne sich davon überfordert zu fühlen.

Die Kultur unseres Unternehmens zum Beispiel bevorzugt Individuen und Interaktion gegenüber Prozessen und Tools. Deshalb können wir, sobald das Gefühl einer Überforderung auftritt, unseren Kollegen die Sicherheit vermitteln, auch Aufgaben abzugeben oder gegebenenfalls umzustrukturieren. Verständnis und Ermutigung sind wichtige Kernwerte, um die Lust auf die Arbeit aufrecht zu erhalten.

Zuhören können

"Management" bedeutet, dafür zu sorgen, dass die Arbeit erledigt werden kann. Damit dies reibungslos klappt, muss man erst zuhören, um zu verstehen. Es gibt kein Standardrezept, dem man blind folgen kann, denn jedes einzelne Mitglied der unterschiedlichen Teams wird zu verschiedenen Zeiten andere Dinge und Hilfestellungen von den Führungskräften benötigen.

Bevor dann vorschnell halbgare Lösungsansätze ausgetüftelt werden, ist es notwendig, sich mit den einzelnen Individuen sorgfältig auseinander zu setzen, um herauszufinden, wo das Team momentan steht und welche Herausforderungen zu bewältigen sind. Kann die Arbeit nicht vernünftig erledigt werden, sorgt dies für Frust und Leistungsabbau, was wiederum zu unzufriedenen Mitarbeitern und Motivationsabfall führt.

Auch die Kommunikation darf nicht auf der Strecke bleiben: Visionen sind klar darzustellen, Hindernisse zu beseitigen und der nötige Raum gegeben werden, um Probleme offen anzusprechen und anschließend lösen zu können.

Was man gerne macht, macht man gut

Wer nur für den Gehaltscheck am Ende des Monats arbeitet, wird auf Dauer nicht glücklich. Mitarbeiter müssen sich ihrer Stärken bewusst werden. Dazu zählen die Aufgaben, die einerseits viel Freude bereiten, und die sich andererseits auch noch ausbauen lassen. Indem wir unseren Teams helfen, diese Stärken zu erkennen und auszuüben, ermöglichen wir jedem Einzelnen, Interessen in Talent umzuwandeln und so mehr Freude bei der Arbeit zu empfinden.

Vinted beispielsweise verfolgt die Mission, die für jeden Mitarbeiter eine Herzensangelegenheit ist: Secondhand Mode zur ersten Wahl zu machen und das weltweit - und das bei 45 Millionen Nutzerinnen. Verdeutlicht man dies den Kollegen aus der IT, blicken sie mit Stolz und Zuversicht auf ihre täglichen Aufgaben. Denn sie können etwas programmieren, das den Menschen ermöglicht, einen tatsächlichen Einfluss auf die Umwelt zu haben.

Neugierde fördern

Entwickler lieben es, Rätsel zu lösen - und haben außerdem das Glück, dass sie auch genau dafür bezahlt werden. Wenn Rätsel zu "gelösten Problemen" werden, werden sie durch neue Herausforderungen ersetzt. Die vorher Erfolg bringenden Werkzeuge und Denkweisen werden dann nicht mehr hilfreich sein. Wer nicht die neuesten Programme und Möglichkeiten kennt und anwenden kann, verliert schnell den Anschluss in der digitalen Welt.

Unternehmen sollten über ein klares Fortbildungsbudget für ihre Mitarbeiter verfügen, das diese dann frei für die gewünschten Weiterbildungsmöglichkeiten einsetzen dürfen. Ob sie ein bestimmtes Seminar besuchen, Konferenzen oder Schulungen - die Entwickler sollten frei entscheiden können, in welchem Bereich sie mehr lernen möchten. Nicht alle Weiterbildungsmöglichkeiten erfordern ein Budget. Beispielsweise bieten wir unseren Teammitgliedern "Onboarding-Buddies", Mentoren und auch tagtäglich die Unterstützung des gesamten Teams an.

Sich in der Nachfolge üben

Niemand hat immer Recht. Oft sind wir in unserem Job als Führungskraft oder Manager zu konzentriert darauf, die Führung zu übernehmen, wodurch wir vergessen, auch denjenigen, die wir unterstützen, das Rampenlicht zu überlassen. Vielleicht möchte ein Teammitglied beispielsweise an seiner Rhetorik und dem öffentlichen Auftreten auf Konferenzen arbeiten.

Durch das Üben von Präsentationen innerhalb des Teams lässt sich an dieser Fähigkeit arbeiten. Dabei hilft es, mehr Freiräume zu schaffen und Verantwortungsbereiche abzugeben, damit die Mitarbeiter die Chance bekommen, neue Erfahrungen zu machen und die Zügel auch einmal selbst in die Hand zu nehmen.

Die Teams müssen ein Gespür dafür bekommen, auch Risiken einzugehen und etwas zu wagen. Da kann es durchaus helfen, sich selbst als Manager etwas zurückzunehmen und den anderen Teammitgliedern zu vertrauen. Dieses Vertrauen wird sich positiv auf die Motivation und das Schaffen der Teams auswirken.

Findet man einen guten Mix aus diesen fünf Faktoren werden nicht nur die Mitarbeiter nachhaltig davon profitieren, sondern das ganze Unternehmen. Denn letztendlich funktioniert eine Firma nur, wenn sich diejenigen, die den ganzen Betrieb am Laufen halten, wertgeschätzt und motiviert fühlen.