BEST-RECRUITERS-Studie

Wie sich die IT-Branche im Recruiting schlägt

21.07.2021
Von 
Agnes Koller ist Studienleiterin bei BEST RECRUITERS.
In einigen Branchen entspannt sich der Fachkräftemangel etwas - die IT zählt nicht dazu. Aber: Im Kampf um Talente reagiert die HR im Recruting sehr gut.
In Sachen Recruiting und Talentsuche haben die Unternehmen der IT-Branche im HR-Management im letzten Jahr weiter Fortschritte gemacht und zählen im Branchenranking zu den Gewinnern.
In Sachen Recruiting und Talentsuche haben die Unternehmen der IT-Branche im HR-Management im letzten Jahr weiter Fortschritte gemacht und zählen im Branchenranking zu den Gewinnern.
Foto: ADragan - shutterstock.com

Spezialisten werden nicht nur in der IT-Branche, sondern auch von Unternehmen vieler anderer Wirtschaftsbereiche heiß umworben. Doch IT-Arbeitgeber in Deutschland stecken den Kopf nicht in den Sand, ganz im Gegenteil: Sie haben die vergangenen Monate genutzt und in ihre Bewerberansprache und Recruiting-Maßnahmen investiert, wie die jährliche Bestandsaufnahme der Recruiting-Qualität in Deutschland durch die BEST-RECRUITERS-Studie belegt. Die IT-Branche hat sich von Rang 7 auf Rang 3 verbessert und steht somit im Ranking der 29 untersuchten Wirtschaftszweige mit auf dem Siegertreppchen.

Auch im Einzelranking der Top-Recruiter zeigen IT-Unternehmen dieses Jahr starke Präsenz: Mit Bechtle (Rang 10), Adesso (Rang 14) und Rohde & Schwarz (Rang 19) befinden sich gleich drei von ihnen unter den besten 20 von insgesamt 409 untersuchten Arbeitgebern in Deutschland. Den Gesamtsieg 2020/21 sichert sich Altana vor Randstad und Otto.

Die IT-Branche hat einen Sprung um vier Plätze nach vorne unter die besten Drei geschafft.
Die IT-Branche hat einen Sprung um vier Plätze nach vorne unter die besten Drei geschafft.
Foto: BEST RECRUITERS

Transparenz gibt Bewerbern mehr Sicherheit

Die Detailergebnisse aus über 230 praxisorientierten Recruiting-Gütekriterien geben Aufschluss darüber, wie gut es Deutschlands Unternehmen gelungen ist, sich entlang der Candidate Journey als krisenfeste Arbeitgeber zu präsentieren und verunsicherten Bewerbern Sicherheit zu vermitteln. Diejenigen, die potenziellen Mitarbeitern bereits vor der eigentlichen Bewerbung möglichst anschauliche Einblicke gewähren und damit zeigen, wie transparent die Kommunikation im Unternehmen läuft, wirken deren Unsicherheit entgegen.

In einigen Aspekten sind IT-Firmen hier etwas im Vorteil, da sie zum Beispiel im Recruiting traditionell auf eine transparente Darstellung der gelebten Unternehmenskultur setzen. 94 Prozent der untersuchten IT-Arbeitgeber beschreiben sie auf der Karriere-Website - und liegen damit um sieben Prozentpunkte über dem Gesamtdurchschnitt. Dabei legen sie einen starken Fokus auf das Thema Zusammenarbeit: Gut drei Viertel beleuchten, wie sie den Zusammenhalt der Teams fördern und wie sich Kandidaten den Arbeitsalltag mit den zukünftigen Kollegen vorstellen können (Gesamtstichprobe: 48 Prozent). Allerdings hat die Pandemie den Arbeitsalltag in vielen Betrieben völlig durcheinandergewirbelt und zahlreiche Beschäftigte arbeiten ausschließlich noch im Homeoffice. Fachkräfte überdenken einen Jobwechsel zweimal, da sie nicht wissen, was diesbezüglich auf sie zukommt. Hier können Arbeitgeber punkten, wenn sie gezielt auf die neuen, veränderten Rahmenbedingungen eingehen, etwa Mitarbeiter erzählen lassen, wie sie das hybride Arbeiten sowohl im Unternehmen als auch remote im Home-Office erleben.

Home sweet Home-Office

Stichwort remote: Kaum ein Thema hat in den letzten Monaten so stark polarisiert wie das Arbeiten in den eigenen vier Wänden. In vielen IT-Unternehmen war Remote Working, also die Tätigkeit an flexiblen Arbeitsorten, schon vor der COVID-19-Pandemie gang und gäbe. Insofern hatten sie anderen Branchen etwas voraus und sprechen diese Möglichkeit dementsprechend auch häufiger auf ihrer Karriere-Website an (IT: 56 Prozent vs. Gesamt: 45 Prozent). Gerade weil sich die Geister am Thema Home-Office scheiden - mit absoluten Fans auf der einen und weniger Begeisterten auf der anderen Seite, die lieber vor Ort arbeiten, lässt es sich wieder zur Arbeitgeberpositionierung nutzen. Kraftvolles Storytelling - echte Geschichten echter Menschen - bietet sich hierzu an, gepaart mit harten Fakten. Immerhin braucht es, damit Teleworking erfolgreich funktioniert, ergänzende Maßnahmen wie flexible Arbeitszeiten.

Im Employer Branding setzt die IT-Branche ebenso wie die Gesamtstichprobe primär auf Gleitzeit und Sabbaticals. Arbeitszeitkonten sind im Vergleich merklich häufiger Teil des Arbeitgeberangebots (IT: 42 Prozent vs. Gesamt: 25 Prozent) - Jobsharing hingegen bleibt eher unterrepräsentiert (IT: Acht Prozent vs. Gesamt: 14 Prozent). Gerade Letzteres kann attraktiv für fähige Freelancer sein, die nach Corona die Sicherheit einer Anstellung mit dem Freiraum für eigene Projekte verbinden und gleichzeitig Wissen weitergeben möchten.

Benefits mit Mehrwert bitte

Eine mindestens ebenso große Rolle wie die Karriere-Website spielen konkrete Stellenanzeigen im Recruiting- und Personalmarketing-Mix. Gerade im Wetteifern um begehrte IT-Talente lautet das Motto der Arbeitgeber: höher, schneller, weiter. Sie werben besonders offensiv mit Benefits, die sie den zukünftigen Mitarbeitern bieten (IT: 83 Prozent vs. Gesamt: 67 Prozent). Jedes dritte IT-Unternehmen beschreibt in den Stellenanzeigen zudem im Detail die Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten (Gesamt: 15 Prozent). Offensichtlich liegt Arbeitgebern in der IT auch viel an Diversität und Chancengleichheit, immerhin geht jedes zweite Unternehmen darauf ein. Zum Vergleich: In der Gesamtstichprobe erwähnt nur rund ein Drittel das Thema Diversity.

Dabei gerät die emotionale Ansprache der Kandidaten ein wenig ins Hintertreffen. In einer Flut an Angeboten gilt es, die Aufmerksamkeit in Sekundenbruchteilen zu gewinnen, und das gelingt am besten mit starken Bilderwelten, die Werte und Kultur des Arbeitgebers transportieren. Diese Gelegenheit machen sich im IT-Umfeld gerade einmal vier von zehn Unternehmen zunutze. Ebenso viele verzichten gänzlich auf visuelle Reize, arbeiten also nicht einmal mit Stock-Bildern. Damit vergeben sie außerdem die Chance, neben der eigenen Unternehmensmarke auch das Sicherheitsgefühl potenzieller Kandidaten zu stärken und so das nötige Vertrauen für eine Bewerbung weiter aufzubauen.

Die Macht der Bilder wird unterschätzt

In welchem Ausmaß Fotos die Erfolgswahrscheinlichkeit von Jobinseraten tatsächlich positiv beeinflussen, zeigt die aktuelle Eagle-Eye-Studie von BEST RECRUITERS. Theoretisch befragt, gibt ein Großteil der Kandidaten an, die zentralen Faktoren in der Entscheidung für oder gegen eine Bewerbung wären Jobbeschreibung, Qualifikationsprofil und Entlohnung - eine sehr rationale Auswahl also. Im Praxistest gibt jedoch die Angabe einer persönlichen Ansprechperson den größten Ausschlag. Besonders dann, wenn zusätzlich zu Namen und Kontaktmöglichkeit ein Foto der Person abgebildet ist - in diesem Fall steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Bewerber für eben diese Stellenanzeige entscheiden, um ganze 75 Prozent. Aus dem Bauch heraus haben viele IT-Unternehmen dieses emotionale Bedürfnis von Kandidaten offenbar erkannt, denn von jenen, die mit abgestimmtem Bildmaterial arbeiten, zeigt jeder Zweite entweder die HR-Ansprechperson oder potenzielle Kollegen. In der Gesamtstichprobe ist es nur ein Viertel.

Tests haben gezeigt, dass Unternehmen, die in Online-Stellenanzeigen mit grafischen Elementen sowie Bildern arbeiten, die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, das Interesse von Bewerbern zu wecken. Die IT-Branche berücksichtigt diesen Faktor bereits überdurchschnittlich.
Tests haben gezeigt, dass Unternehmen, die in Online-Stellenanzeigen mit grafischen Elementen sowie Bildern arbeiten, die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, das Interesse von Bewerbern zu wecken. Die IT-Branche berücksichtigt diesen Faktor bereits überdurchschnittlich.
Foto: BEST RECRUITERS

Schlanke Bewerbungsprozesse sind gefragt

Ist die Aufmerksamkeit gewonnen und ein erstes Vertrauensverhältnis aufgebaut, gilt es, den Bewerbungsprozess so schlank und reibungslos wie möglich zu gestalten. Je gefragter die gesuchte Zielgruppe, umso mehr sollte diesem Anspruch Rechnung getragen werden. Technisch macht der IT-Sektor seinem Kerngeschäft dabei alle Ehre: 94 Prozent bieten Talenten beispielsweise eine vollständig mobil optimierte Candidate Journey, von der Karriere-Website über Stellenmarkt und Jobinserate bis hin zur Bewerbungsmöglichkeit (Gesamt: 84 Prozent). On-the-go-Bewerbungen per Smartphone oder Tablet sind sogar bei allen in der Branche getesteten Arbeitgebern möglich.

Das Gebot in Sachen Bewerbungskanal lautet dabei: Online-Bewerbungsformular. Mobil ebenso wie am Desktop hat es nunmehr bei allen untersuchten IT-Unternehmen die E-Mail-Bewerbung abgelöst. In der tiefergehenden Analyse zeigt sich jedoch eine Schwachstelle: Um ihre Unterlagen übermitteln zu können, müssen IT-Talente deutlich mehr Daten angeben und Pflichtfelder ausfüllen als im branchenübergreifenden Vergleich. Nur 39 Prozent der getesteten Online-Bewerbungsformulare im IT-Umfeld beschränken sich auf maximal zehn Pflichtfelder (Gesamt: 54 Prozent), die anderen riskieren, dass Kandidaten den Prozess entnervt abbrechen. Im nächsten Schritt, dem persönlichen Kontakt mit Bewerbern, gelingt es IT-Unternehmen hingegen, wieder zu punkten: Sie zollen Talenten - selbst jenen, denen sie absagen müssen - wesentlich häufiger Wertschätzung, als es andere Branchen tun, wie die Analyse der Absageschreiben auf die im Rahmen der Studie versendeten Testbewerbungen zeigt. Rund die Hälfte würdigt in der schriftlichen Kommunikation Bewerbungsaufwand und/oder Qualifikationen (Gesamt: 23 Prozent). Damit ist auch schon der beste Grundstein für nachhaltiges Talent Relationship Management gelegt.

So herausfordernd disruptive Zeiten wie die aktuelle sind, so viele Chancen beinhalten sie auch für diejenigen, die sie sich gezielt zunutze machen. IT-Unternehmen haben die Übergangsphase zum New Normal vielerorts sehr professionell gemeistert und die Gelegenheit beim Schopf gepackt, gerade jetzt in ihre Recruiting-Qualität zu investieren. Speziell im Hinblick auf ihre besonderen Steckenpferde - wie Transparenz in Sachen Unternehmenskultur oder Flexibilität in der Arbeitsgestaltung - lohnt es sich, für die Zukunft am Ball zu bleiben und diese weiter auszubauen. Schließlich wird auch Recruitern anderer Branchen zunehmend bewusst, wie attraktiv diese Anreize für Kandidaten sind. (pg)

Informationen zur Studie: Seit 2011 untersucht Best Recruiters laufend die Recruiting-Qualität deutscher Arbeitgeber. Initiiert wurde die Studie 2010 in Österreich, seit 2013 komplettieren die Schweiz und Liechtenstein die DACH- (Deutschland, Österreich, Schweiz)-Stichprobe. Der Kriterienkatalog wird jährlich überarbeitet und in Zusammenarbeit mit dem internationalen wissenschaftlichen Studienbeirat an aktuelle Entwicklungen im Personalwesen angepasst. Im Studienjahrgang 2020/21 wurden 233 Kriterien aus neun Kategorien erhoben. Im Fokus stehen dabei Karriere-Website, Mobile Recruiting und Social Media sowie Inhalt und Usability von Online-Stellenanzeigen.

Das Herzstück der Studie bildet die Untersuchung des Umgangs mit Bewerberinnen und Bewerbern. Dazu werden Bewerbungen sowie Interessenanfragen an jedes Unternehmen der Stichprobe geschickt und die Rückmeldungen in Bezug auf Zeitrahmen und Inhalt analysiert. Die Auswertung erfolgt in einem dreibändigen Studienbericht, der alle Ergebnisse unterstützend mit Grafiken und Diagrammen aufschlüsselt und mithilfe ausgewählter Benchmarks und Best Practices Optimierungsempfehlungen für Recruiting-Verantwortliche bietet.