Post-Pandemie in der IT

Wie sich die CIO-Rolle verändert

12.07.2022
Von 


Doug Drinkwater ist ein erfahrener Tech- und Security-Journalist. Er hat unter anderem schon für CIO, CSO, InfoWorld, Macworld, Mashable, PC World und The Week geschrieben.
In zwei turbulenten Jahre haben sich die Erwartungen an die IT verschoben. CIOs ziehen Bilanz und definieren ihre Rolle neu.
Durch die Pandemie mussten sich die Rollen vieler CIOs und ihrer Teams verändern. Aus dieser Notwendigkeit können Chancen entstehen, die IT als Ganzes besser im Unternehmen zu positionieren.
Durch die Pandemie mussten sich die Rollen vieler CIOs und ihrer Teams verändern. Aus dieser Notwendigkeit können Chancen entstehen, die IT als Ganzes besser im Unternehmen zu positionieren.
Foto: fizkes - shutterstock.com

Als CIO der Oxford Said Business School war Mark Bramwells Aufgabe schon komplex genug, bevor die globale Pandemie Tausende von Studenten und Mitarbeitern zum Fernunterricht zwang. Beinahe über Nacht wurde es notwendig, Innovationen voranzutreiben und das New Normal neu zu erfinden. "Ich hatte das Gefühl, dass wir als Schule, als Team und auch ich persönlich noch nie so hart daran gearbeitet haben, die Schule betriebsbereit zu halten und sie bei der Fernarbeit, dem Vor-Ort-, Hybrid- und Online-Lernen sowie neuen Initiativen in der Pandemie zu unterstützen", bilanziert Bramwell.

Der Nahrungsmittelkonzern Tate and Lyle kündigte im vergangenen Sommer an, das Unternehmen in zwei Teile aufzuspalten, wobei das Geschäft mit Grundstoffzutaten in den Besitz einer Kapitalgesellschaft übergehen sollte. Währenddessen befand sich der CIO des Konzerns, Sanjay Patel, nicht nur im Zentrum der Aktivitäten zur Aufspaltung, sondern musste auch den Wert der IT neu definieren. "Da wir die Unternehmen nun getrennt haben, stellt sich die Frage, wie wichtig die Technologie sein wird, um diese Strategie voranzutreiben", sagt er.

Heute fragt sich der studierte Chemieingenieur Patel, der vor der CIO-Rolle als Berater tätig war: "Werde ich in der Lage sein, die IT-Funktion und meine Rolle aufzuwerten, egal ob ich oder jemand anderes diese CIO-Rolle übernimmt, so dass wir tatsächlich ein gleichberechtigter Partner am Tisch sein können?"

Für CIOs wie Bramwell und Patel ist jetzt der Zeitpunkt, um ihre Rollen und Zuständigkeiten neu zu definieren, die Grenzen ihres Aufgabenbereichs neu zu ziehen und die Wahrnehmung der IT durch das Unternehmen zu ändern, um die Leistung zu optimieren.

CIOs als strategische Partner

Durch den Druck auf die Rolle des CIO hat sich die Aufgabe verglichen mit ihrer Entstehung in den 1980er Jahren stark verändert. Zwar sind CIOs nach wie vor dafür verantwortlich, IT-Systeme zu implementieren und zu verwalten sowie die Technologie-Teams zu leiten. Allerdings liegt der Schwerpunkt stärker auf der Rolle eines strategischen Geschäftspartners. Er arbeitet mit den Führungskräften und den Fachabteilungen zusammen, um geschäftliche Veränderungen und Innovationen voranzutreiben.

Laut dem CIO-Bericht "State of the CIO 2022" bewerten 86 Prozent der Befragten die Rolle des CIO als digitaler und innovationsorientierter. 84 Prozent der Befragten sehen im CIO einen wichtigen Faktor für Veränderung, der die Führung bei der Transformation des Unternehmens und seiner IT übernimmt.

Die Vielseitigkeit der Rolle bedeutet, dass CIOs wissen müssen, welchen Wert sie einbringen, welche Fähigkeiten und Defizite sie haben und wo sie auf interne und externe Expertise zurückgreifen können. Paul Coby von Chemiekonzern Johnson Matthey scherzte einmal, dass der ideale CIO die Problemlösungskompetenz des Informatikers Alan Turing, die Erzählkunst des Biologen und Rundfunksprechers David Attenborough, die Führungsqualitäten des Revolutionärs Nelson Mandela, die strategische Vision des Innovators des Nationalen Gesundheitsdienstes Aneurin Bevan und die Computerfähigkeiten von Ada Lovelace in sich vereinen sollte.

"Es geht natürlich um die technischen Aspekte", sagte Coby auf dem Official CIO UK Summit 2021. "Aber neben den technischen Kompetenzen es ist heutzutage genauso wichtig für einen CIO, Probleme zu lösen, Komplexität zu erklären, Menschen zusammenzubringen und eine strategische Geschäftsvision zu besitzen." Ein Großteil des IT-Erfolgs liegt darin, Sprachbarrieren zu den Fachbereichen zu überwinden, und wie sich der CIO im Unternehmen positioniert.

Viele sind dabei, sich neu zu orientieren: 58 Prozent der Befragten aus Fachabteilungen, die an der Umfrage "State of the CIO" teilgenommen haben, bezeichnen ihren CIO als strategischen Berater. 2021 waren es lediglich 28 Prozent gewesen.

CIOs als Unterstützer und Mitgestalter

Stuart Hughes, Chief Information and Digital Officer (CIDO) beim Flugzeugtriebwerkshersteller Rolls Royce, ist der Ansicht, dass Technik zum Geschäft gehört. Deshalb müssten CIOs zu multidisziplinären Führungskräften werden, die einen Sitz und eine Stimme am Tisch der Unternehmensleitung haben. Sie sollten in der Lage sein, die Sprache der Wirtschaft zu sprechen, damit sie das Business als "einen von uns" und nicht als "einen von ihnen" betrachtet.

"Philosophisch gesehen, glaube ich, dass unsere Rolle darin besteht, die einzelnen Geschäftsbereiche und Funktionen zu coachen und zu unterstützen, sich selbst zu verändern, anstatt von der IT verändert zu werden", sagt Hughes. Der Erfolg sei größer, wenn IT-Investitionen und -Veränderungen von der Abteilung finanziert werden, die die übergreifende Transformationsaktivität steuert, in die auch die IT-Veränderung eingebettet ist.

Hughes erinnert sich an seine Zeit beim Bauhersteller JCB, als er sich in die Teams einbrachte, die an einer Technologie zur Asset-Verfolgung arbeiteten. Hierbei half er, eine Vision für das Produkt, ein neues Angebot sowie ein Video zu erstellen, um die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu demonstrieren und unternehmensweite Unterstützung zu gewinnen. "Mit ein wenig Geld und meiner Fähigkeit, Einfluss auf hochrangige Stakeholder zu nehmen, wurde ein ganz neuer Geschäftsbereich ins Leben gerufen, und wir entwickelten eine neue Gruppe von Unterstützern für umfassendere digitale Transformationsaktivitäten", so der Digitalchef.

Wenn Führungskräfte wechseln oder die Verantwortlichkeiten neu verteilt werden, befinden Sie sie laut Hughes oft in einer hervorragenden Position, um eine Führungsrolle oder zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. Das könne ein sanfter Weg sein, um Einfluss zu gewinnen oder die Rolle zu erweitern.

CIOs als empathische Führungskräfte

Dan West, CDIO im nordirischen Gesundheitsministerium, bezeichnet den Begriff "Grenzen" als relativ - zumindest galt das in der Zeit, als sich der öffentlich finanzierte britische Gesundheits- und Pflegesektor in der Pandemie bewähren musste. "Wir hatten Delta hinter uns und Omikron stand vor der Tür", sagte er. "Es fühlte sich endlos an und Grenzen einzuhalten hatte keine Priorität".

Erst nach der Entwicklung von Test-, Rückverfolgungs- und Schutzsystemen, dem Aufbau von Systemen für den Einsatz von Impfstoffen und deren Rollout können die internen und externen Erwartungen allmählich heruntergefahren werden. West versucht, zu einer gewissen Normalität zurückzukehren und von unrealistischen Erwartungen und unhaltbarer Intensität wegzukommen. Dazu überarbeitet er willkürliche Richtlinien, behandelt Mitarbeiter mit Respekt und arbeitet gemeinsam daran, auch mal Nein zu sagen.

Ähnlich sieht das auch Jason James, CIO des Softwareanbieters NetHealth: "Man muss bereit sein, die Erwartungen zurückzuschrauben. Das bedeutet vielleicht nicht, dass man Nein sagt, sondern dass man Ja sagt, aber verbunden mit einem realistischen Zeitpunkt." Die Belastungen durch die Pandemie hätten CIOs dazu gezwungen, empathische Führungskräfte zu werden, sagt er. Zentrale Fragen lauten nun: Wie können wir die Mitarbeiter bei der Stange halten, wenn vier Wände keine Rolle mehr spielen? Wie stellen wir sicher, dass die Mitarbeiter das haben, was sie brauchen? Wie konzentrieren wir uns auf die Soft Skills? Wie fühlen sich die Menschen im Moment? "Es ist eine ganz andere Rolle als noch vor zwei Jahren," resümiert James.

Das neue Gesicht der IT für die neue Realität

Einige Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahren ihre IT-Abteilungen umgestaltet. Das geschah vor allem, als sie der Digitalisierung Priorität einräumten und die Führungskräfte den Wert digitaler Technologien erkannten.

Victoria Higgin, CDIO der englischen Straßenbauamtes National Highways, wandelte ihr IT-Team von einem Auftragsabwickler zu einem Geschäftspartner. Dabei wurde das 270-köpfige Team für digitale Dienstleistungen durch eine neue Beziehung zu den Fachbereichen gestärkt.

Nicola Wadham, CIO des Financial Ombudsman Service mit Sitz in London, vollzog einen ähnlichen Schritt bei der Non-Profit-Organisation. Sie gründete eine Gruppe für digitale, technologische und Daten-Services mit einem stärker dienstleistungsorientierten Ansatz für die IT-Bereitstellung.

Tate and Lyle-CIO Patel setzte Technologie mit einer Ware wie Strom gleich und änderte mit diesem Rebranding die Erwartungen an das, was IT leisten kann. Informationstechnologie wurde zu digitalem Enablement, Business-Relationship-Manager sind Partner des Business und Projektmanager entwickelten sich zu Technologie-Enablern.

Der globale CIO von Lebensmittelanbieter Twinings, Sandeep Seeripat, machte seine Ziele der Geschäftsausrichtung deutlich, indem er die IT in BizTech umbenannte. "Diese Änderung unterstreicht die Tatsache, dass wir zur Arbeit kommen, um Teebeutel und Ovaltine-Produkte herzustellen und zu verkaufen, statt uns als Technologen zu sehen. Wenn es in einem Unternehmen eine Funktion gibt, die keine Grenzen kennt, dann ist es die IT", so Seeripat. (af/jd)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unsereres US-Schwestermagazins CIO.com.