Kennen Sie ITIL?

Wie Service-Desk-Projekte scheitern

Kommentar  17.02.2020
Von 
Mirko Oesterhaus ist Geschäftsführer der Consulting4IT GmbH in Waldbronn bei Ettlingen.
Sie wollen ein neues Werkzeug für den Service-Desk einführen? Dann haben Sie hoffentlich eine hohe Frustrationstoleranz.
  • Wenn neue Tools für den Service-Desk eingeführt werden sollen, orientieren sich Unternehmen oft am Vorgänger - und gewinnen damit gar nichts
  • Schlecht geschulte Mitarbeiter verbuchen Probleme unter "Sonstiges" und helfen damit niemandem
  • Dass ITIL in fast allen Betrieben gelebte Praxis ist, hat sich noch nicht überall herumgesprochen

Fragt man die Mitarbeiter im IT-Support, ob sie mit ihrem Service-Desk-Tool zufrieden sind, lautet die Antwort im besten Falle "Geht so". Warum kommt hier so gut wie nie Begeisterung auf? Liegt das vielleicht daran, dass der Service-Desk nur interessant ist, wenn er einmal nicht funktioniert? Oder daran, dass die Verantwortlichen falsche Erwartungen an das Tool stellen? Erwartungen, die das Werkzeug gar nicht erfüllen kann - nicht, weil es technisch minderwertig wäre, sondern weil es falsch implementiert wurde?

Nicht funktionierende IT ist ein Quell ständigen Ärgers. Umso wichtiger ist ein Service Desk, der seinen Job professionell erledigt.
Nicht funktionierende IT ist ein Quell ständigen Ärgers. Umso wichtiger ist ein Service Desk, der seinen Job professionell erledigt.
Foto: Kjetil Kolbjornsrud - shutterstock.com

Auf die Frage, was ein Service-Desk-Tool leisten soll, gibt es einige allgemeingültige Antworten. Es soll die Arbeit der Service- und Supportspezialisten vereinfachen, die Zusammenarbeit innerhalb der IT sowie zwischen IT und Kunde verbessern, Art und Dauer bestimmter Tätigkeiten transparent machen, Expertenwissen - zum Beispiel über eine Knowledge Base - verbreiten, durchgängige Prozesse definieren und den Arbeitsaufwand verringern.

Soweit die Theorie. Im gelebten Alltag ist es häufig so, dass das vorhandene Werkzeug die Arbeitsweise der Mitarbeiter eigentlich gar nicht unterstützt, weil die abgebildeten Abläufe den Wunschprozessen des Managements entsprechen und wenig mit den tatsächlich gelebten Prozessen zu tun haben. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass "Unzufriedenheit mit dem Tool" die häufigste Antwort auf die Frage ist, warum Unternehmen ihr Service-Management erneuern sollten. Als ob ein anderes Werkzeug etwas an den Prozessen ändern würde! Zweitwichtigstes Wechselmotiv ist die Absicht, den IT-Service-Management-Standard ITIL mit Hilfe eines Tools einzuführen. Aber wie soll das gelingen? Ein Tool bleibt ein Tool - an den Prozessen ändert es erstmal gar nichts.

Alte ITSM-Gewohnheiten

Tatsächlich laufen entsprechende Projekte meist so: Der Systemintegrator, der mit der Einführung beauftragt wurde, will von seinem Kunden eine Vorgabe für die gewünschte Konfiguration. Der aber ist mit dem Tool noch gar nicht richtig vertraut. Wenn er nun sagen soll, wie er es implementiert haben möchte, kann er sich nur an dem orientieren, was er kennt, sprich: am vorhandenen Tool. Damit bleibt die Innovation der neuen Lösung auf der Strecke.

Dazu ein simples Beispiel: Das neue System verfügt über eine Warenkorb-Funktion, mit der IT-Services online bestellt werden können. Das Unternehmen hat zum Erfassen der Service-Anforderungen bislang aber immer Tickets genutzt. Also wird er diese Anforderung auch an das neue Tool stellen. Und weil der Kunde König ist, wird der Berater das auch so umsetzen. Die neue Software, die dafür angeschafft wurde, das Service-Management zu vereinfachen und zu verbessern, bietet also keinen Warenkorb, sie wird vielmehr umständlich verbogen, damit der Support im gewohnten Stil weiterarbeiten kann.

Aber es kommt noch schlimmer: Damit das neue System der alten Lösung entspricht, ist meist ein aufwändiges Customizing notwendig. Und das dürfte der Philosophie des neuen Werkzeugs auch noch widersprechen. So entsteht dann die nächste Dauerbaustelle. Oft genug werden die Abläufe im Service-Management auch von Mitarbeitern definiert, die gar nicht für Service und Support zuständig sind. Diejenigen, die später tatsächlich damit arbeiten, müssen sich dann mit konstruierten Komplexitätsmonstern herumschlagen, die wenig mit ihrer Arbeitswirklichkeit zu tun haben.

Service Desks und der "sonstige" Ärger

Rechtzeitige Schulungen könnten solche Implementierungsfehler abfedern. Aber sie sind in den meisten Unternehmen "nice to have". Am Training der Mitarbeiter wird gerne gespart. So lernen diese nie, richtig mit dem Tool umzugehen. Umständliche Handhabungen und Workarounds schleichen sich ein, die dann irgendwann als Standard etabliert sind.

Ein Beispiel dafür liefert die Kategorisierung von Tickets. Können Mitarbeiter die Frage richtig beantworten, ob es sich bei einem Problem um einen Hardware-, Software- oder Infrastrukturfehler handelt, lassen sich Störungsmeldungen ohne Umwege den jeweils zuständigen Technikexperten zuweisen. Außerdem werden statistische Auswertungen über die Art und Häufigkeit von Fehlfunktionen einfacher und präziser, was das Problemmanagement unterstützt.

Dazu müssten die Mitarbeiter aber mithilfe von Schulungen eine Vorstellung davon bekommen, unter welcher Kategorie sie welche Störungen erfassen sollen. Anderenfalls werden sie der Einfachheit halber die meisten Störungen unter "Sonstiges" verbuchen - unter einer Kategorie also, die es bei vernünftiger Schulung gar nicht geben müsste. In vielen Service-Desks fallen zwei Drittel der Störungen unter Sonstiges. Wie sich das auf die Serviceprozesse und das Problemmanagement auswirkt, lässt sich leicht ausmalen. Die erhoffte Transparenz und Auswertbarkeit bleibt genauso auf der Strecke wie der übersichtliche und nachvollziehbare Prozess.